Gehen und Bleiben: Der Geist von Uwe Johnson

Da unterhalten sich die Mutter und die Tochter, ob man in der Ostsee noch baden könne, nachdem sie soviele Tote aufgenommen hat? Die Frage bleibt, der Betrachter an der Küste hat sich längst verabschiedet. Und doch macht sich Dokumentarfilmer und Filmessayist Volker Koepp auf eine Reise ins Meckenburgische um dem Schriftsteller Uwe Johnson nachzuspüren. Die beinahe dreistündige kontemplative Reise erscheint nun am 16. Februar 2024 in der Edition Salzgeber für das Home-Entertainment.

Die „offizielle Inhaltsangabe“ von „Gehen und Bleiben“ ist so nichtssagend wie allumfassend. Mit den Texten von Uwe Johnson begibt sich Filmmacher Volker Koepp in die literarischen und biografischen Gegenden Uwe Johnsons. Wahlweise ins Mecklenburgische. Dort trifft er Menschen mit denen er über Uwe Johnson redet, auch und gerade über die Nachwehen des Krieges, die Motive des Gehens und des Bleibens, die sich durch Johnsons Werk ziehen.

Einige der Gesprächspartner:innen haben eher homöopathische Verbindung zu Johnson selbst, sind Abkömmlinge von Zeitgenossen und Weggefährten; ein Kind des Konfirmationspfarrers, ein Kirchenmusiker der Gegend, die Johnson durchwandert und durchlebt hat. Andere sind tatsächliche Weggefährten, Schulfreunde oder weiter entfernt Bekannte. Dann wieder sind da die zeitgenössischen Künstler mit Abstammung oder Wahlheimat in dieser Nordost-Deutschen Landschaft.

Es hilft, ein bekanntes Gesicht, eine bekannte Stimme zu haben, um sich auf dieser Reise immer wieder einzunorden. Schauspieler Peter Kurth, selbst gebürtig in Güstrow, aufgewachsen in Goldberg, erledigt den Job des filmischen Ruhepols und Ausgangspunkts zu dem die Wanderungen, das Mäandern immer wieder zurückkehrt, mit stoischer Gelassenheit; ein Findling in der Feldmark.

„Wie jemand so einen Weg gegangen ist, hat an sich schon eine Faszination.“

Bisweilen kommt sich das Publikum – oder eigentlich der Rezensent – vor wie in einer bebilderten Fontane Wanderung. Nur Mecklenburg statt Brandenburg. Was war, was ist, was wird hier sein? Die Frage nach Sinn und Ziel stellt sich nicht mehr, sobald der Wanderer respektive der Zuschauer unterwegs ist. Der Weg selbst ist Sensation genug. Hat Beobachtungen am Wegesrand zu bieten wie Beschreibungen in großer Literatur und im lebendig formulierten Detail. Nachdenken über die Natur der Dinge, über die Prägung durch die Landschaft. Oder den Kuckuck im Güstrower Dom.

Ob das jetzt eine Literaturdoku ist, wage ich zu bezweifeln. Nach Heimatfilm fühlen sich Koepps Streifzüge nun auch wieder nicht an. Aber auch nirgendwo dazwischen, vielmehr parallel dazu. Das ist definitiv nicht für jede:n unterhaltsam, mich allerdings hat es doch ohne größere Längen durch die Landschaften mit den Leuten getragen.

Ich mag Worte und ich mag Landschaften, mit oder ohne Leute. Ich bin Geograph und von Natur aus interessiert. Nachzulesen etwa in Betrachtungen zu „Der Schatten des Körpers des Kameramannes“, „Vaterlandsverräter“, „N – Wahnsinn der Vernunft“, Notizen aus dem Rechten Osten“, „Lagunaria“, „Arena 196“, „Das Zen-Ritual“und so weiter, und so fort. Zumindest solange das Dargebotene einen Reflexionsraum bietet, über das Sein das eigene und das fremde. Das Abstrakte und das Konkrete. Den Möglichkeitenraum.

„Was kann ich einer Dame von Stand aus Königsberg schon sagen?“

Uwe Johnson aber, der eigentlich per Geburt gar kein Mecklenburger sei – wie spitzfindig angemerkt wird-, hat sich in der DDR dann doch nicht so zuhause gefühlt, dass er bleiben mochte. Auch der Bruderstaat BRD war irgendwann nicht Heimat genug, da lässt sich gleich nach Amerika oder England gehen. Immerhin bleibt da die Nähe zum Wasser, die Mystifizierung und Dekonstruktion des Flusses durch Zeit und Raum. Und immer wieder die Reibungshitze der vermeintlich prägenden Mecklenburger Zeiten.

Hier und Heute und in dem Film ist Uwe Johnson wenig präsent, eher eine Ahnung als eine Manifestation. Dem Nachbarn des Hauses, in dem Johnson seine Kindheit verbrachte, ist zwar bekannt, wer hier aufwuchs, aber auch gleichgültig. Andere Kulturschaffende arbeiten sich an und neben dem Schriftsteller ab. Und haben vielleicht ihren Platz gefunden, wer mag das schon beurteilen. Nur scheint das Reden über, Nachdenken um Uwe Johnson nicht immer ein liquides, ein inneres Bedürfnis das nun endlich in die Kamera fließen darf. Auch darin liegt etwas Literarisches. Ein Nachdenken über Heimat und Identität.

„Als er dieses Mal ausstieg im britischen Sektor von Berlin verstand er es als einen Umzug.“

In Hamburg wird über Fußball-Idol Uwe Seeler gerne von „Uns Uwe“ geredet, sofern mensch HSV-Fan ist. Hält mensch es mit dem Stadtteil-Rivalen FC St. Pauli, so wird daraus „Euch Uwe“. Mit Johnson ist es ähnlich, gerne wird er als gesamtdeutscher Schriftsteller betrachtet, von DDR wie BRD gleichermaßen eingenommen und ist am Ende weder noch, sondern größer als Kleingeistiges. Die norddeutsche Küstenregion scheint entscheidend. Oder um es neudeutsch zu sagen. Thing globally, act locally. Geht so etwas auch im Literarischen?

Volker Koepps Film bietet etwas schwer Fassbares an. „Gehen und Bleiben“ ist so sehr im Mecklenburgischen verblieben wie es Uwe Johnson nie sein konnte oder mochte. Das mag auch Kostengründe haben. Es ist aber auch der Mutmaßung geschuldet, dass hier mehr Geheimnis und Wahrheit über Uwe Johnson zu finden sein mag als in der Diaspora. wobei der Film eigentlich auf sehr zugewandte Weise den Lebenden, den Anwesenden, den Redenden einen Ort bietet, über die Orte nachzudenken.

Was soll der alte britische Surfer auf der Insel Sheppey an der Themsemündung schon groß mutmaßen, was einen deutschen Schriftsteller hier wollte. Einer, der mit 50 Jahren viel zu früh verstorben ist und die Hälfte seines Lebens außerhalb der mecklenburgischen Heimat verbracht hat. Vielleicht hat Uwe Johnson einfach gerne Schiffe beobachtet?

Das filmische Essay „Gehen und Bleiben“ versucht sich den Spuren des Schriftstellers Uwe Johnson in seiner mecklenburgischen Heimat zu nähern. Das ist inhaltlich und in seiner assoziativen Ausgestaltung sicherlich nicht für jedefrau und jedermann interessant und keineswegs eine wissensvermittelnde Künstlerbiografie. Und dennoch: Das ist schon schön, wenn das Publikum sich einlassen mag auf diese „Reisen im Kopf“.

Film-Wertung: 8 out of 10 stars (8 / 10)

Gehen und Bleiben – Uwe Johnson. Folgen des Krieges
OT: Gehen und Bleiben
Genre: Dokumentarfilm, Literatur, Heimat.
Länge: 179 Minuten, D, 2023
Regie: Volker Koepp
Mitwirkende: Peter Kurth, Hanna & Heinz Lehmbäcker, Judith Zander
FSK: ohne Altersbeschränkung
Vertrieb: Edition Salzgeber
Kinostart: 20.07.2023
DVD- & Digital-VÖ:16.02.2024