Notizen aus dem rechten Osten

Das Vorurteil hält sich beständig und wird in unregelmäßigen Abständen auch mit Nachrichten gefüttert: der Osten der Bundesrepublik, das was früher das Gebiet der DDR war, ist politisch rechts dominiert. Zwischen blühenden Landschaften und Landflucht tollen sich nicht nur AfD und Pegida sondern auch Neonazis auf der Jagd nach Anhängern. In diesem Frühjahr 2018 schicken sich gleich zwei Dokumentarfilme an, den Osten zurückzufordern. Die beiden Heimatfilme „Wildes Herz“ (Kinostart: 12.04.2018) und „Über Leben in Demmin“ (Kinostart: 22.03.2018) zeigen dabei mehr als stumpfe Parolen.

Statt sich des Themas Rechtsruck im Osten nun schlicht in Form von Filmbesprechungen zu nähern und die beiden sehenswerten Filme einfach vorzustellen, lohnt es sich bei der Betrachtung ein bisschen auszuholen und ein paar der braunen Ablagerungen seit der deutschen Einigung von 1990 aufzukratzen.

Denn zumindest im Gebiet der ehemaligen Bundesrepublik Deutschland, also dem „Westen“ – oder vielleicht nur in den Milieus, in denen ich mich bewegte –, meinte ich vorurteilsmäßig von Beginn an eine gewisse Skepsis gegenüber dem Osten zu spüren, die über die Auswirkungen unterschiedlicher politischer Systeme hinausging.

„Braune Ratten kriechen aus ihren Löchern“ (Slime, „Nazis Raus“)

Mit den ausländerfeindlichen Ausschreitungen in Rostock-Lichtenhagen 1992 war dann klar, dass mit der Wiedervereinigung oder dem faktischen „Anschluss“ der DDR an die Bundesrepublik auch ein Gutteil unterschwelligen nationalistischen Gedankengutes im neuen vereinigten Deutschland aufs Tableau kommen würde. Viele im Westen machten sich die Erklärung einfach und die zu knappe Kausalkette zwischen faktisch nicht existierendem Nationalsozialismus im realexistierenden Sozialismus der DDR auf.

Das Argument deckt sicherlich einen Teil der Problematik ab, aber ein ebenso wesentlicher Faktor für das „Wiedererstarken“ rechten Gedankengutes ist jene rechtsäugige Blindheit der Justiz, die von linken Aktivisten gerne behauptet wird. Und sicher sind viele Menschenfänger aus der ehemaligen Bundesrepublik in den Osten gegangen und haben die Sorgen und Nöte der Menschen für ihre Propagandazwecke ausgenutzt.

Seither ist viel Wasser die Oder und die Neiße heruntergeflossen, der NSU hat die Unfähigkeit und Naivität der deutschen Staatsorgane demonstriert und der Journalist Thomas Kuban hat undercover in der rechten Szene recherchiert und mit „Blut muss fließen“ einen erschreckenden Bericht über die internationale Vernetzung der rechten Szene abgeliefert.

„Lügenpresse! Lügenpresse“ (Volkes Stimme)

Und dennoch manifestierte sich der Unwillen der gutbürgerlichen Deutschen ausgerechnet in Dresden mit den Pegida-Demonstrationen und die Alternative für Deutschland feiert in den so genannten „neuen“ Bundesländern erheblich größere Wahlerfolge als im Westen. Hier hat man über die Jahre auch immer mal wieder rechte Parteien in den Parlamenten, aktuell sitzt auch in Hamburg die AfD im Senat, aber medial kommt das Problem irgendwie oft genug noch als ein ostdeutsches rüber. Aber vielleicht bin ich da auch einfach selektiv in meiner Wahrnehmung.

Unabhängig von dusseligem und unnützem Patriotismus hat der Mensch aber Gefühle für seine Heimatregion und mag es nicht, wenn andere Fraktionen Schindluder mit dem Image der Heimat treiben. Charlie Hübner beispielsweise stammt aus Mecklenburg-Vorpommern. Und irgendwie verwundert es überhaupt nicht, dass der gefeierte Bühnen und Film-Schauspieler und kultige Rostocker „Polizeiruf 110“-Kommissar es blöd findet, dass seine Mecklenburger Heimat als rechtes Reservat wahrgenommen wird, vor allem, weil das ja faktisch gar nicht so ist. Um das zu beweisen und zu untermauern, schickt sich die Doku „Wildes Herz“, deren Regisseur Charlie Hübner zusammen mit Sebastian Schulz ist, an, den Mecklenburger Punk-Rock von „Feine Sahne Fischfilet“ in die Kinowelt zu schicken.

„Noch nicht komplett im Arsch“ (Feine Sahne Fischfilet)

Die Band um Sänger Jan „Monchi“ Gorkow ist ebenso heimatverbunden wie politisch links-alternativ. Monchi selbst war jahrelang in der Fußball-Ultra-Szene von Hansa Rostock unterwegs und hat seinen Eltern einigen Kummer bereitet. Irgendwann aber ist der Schalter gekippt und Monchi und seine Kumpel begannen zusammen Musik zu machen und zusammen gegen rechts zu punken. Das sorgte bundesweit für Aufmerksamkeit und gute Plattenkritiken.

Und zur Landtagswahl 2016 hat sich die Band aktive Wähleraufklärung gegen die AfD vorgenommen: Unter dem Motto „Mecklenburg-Vorpommern – Noch nicht komplett im Arsch“ veranstaltete die Band diverse Gigs und Events. Unter anderem auch ein Open Air Festival in Demmin. Jener Hansestadt, in der alle Jahre wieder von Rechtsgesinnten und Deutschnationalen im Mai ein Trauermarsch abgehalten wird, während andernorts der „Tag der Befreiung“ gefeiert wird.

Dieses Demmin, eine Hansestadt von gerade einmal rund 5.000 Einwohnern, ist Gegenstand von Martin Farkas Doku „Über Leben in Demmin“. Der Titel ist bewusst so zweideutig gewählt, um eine Brücke zu schlagen zwischen Demmins tragischer Vergangenheit zum Ende des Zweiten Weltkrieges und der Gegenwart, in der die noch verbliebenen Einwohner der Kleinstadt regelmäßig wieder mit Einschränkungen zu kämpfen haben, weil Demo und Gegendemo im stupiden Rhythmus erstarrter Demonstrationsroutine die Innenstadt lahm legen.

Und bei eben jener gefilmten Demo ist auch Jan „Monchi“ Gorkow als linker Gegendemonstrant im Bild zu sehen. Das ist nicht verwunderlich, denn Regisseur Martin Farkas ist von Haus aus Kameramann und auch bei „Wildes Herz“ als Kameramann und Editor mit dabei. Und während Charly Hübners Portrait des Energiebündels Monchi den Zuschauer eher an die Mecklenburger Küste führt und zeigt, dass man auch auf dem Land coole Hobbies kultivieren kann und nicht in spießiger Verödung vor sich hin vegetieren muss, befragt Martin Farkas alte und junge Demminer über dies und jenes, vor allem aber über den Massenselbstmord und die „Trauermärsche“.

„Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln.“ (Grundgesetzt, Artikel 8, 1)

Die Stadtverwaltung genehmigt die so genannten Trauerzüge mit dem stoischen Verweis, auf das Demonstrationsrecht, wobei zu klären ist, ob das dann tatsächlich am 8. Mai, also dem Jahrestag der Kapitulation, sein muss, oder nicht viel eher am Jahrestag des Massensuizids, der einige Tage vorher stattfand. Es ist auf jeden Fall befremdlich, wenn die wenigen „Trauernden“ von zahlenmäßig überlegenen Gegendemonstranten begleitet und Hundertschaften der Polizei beschützt werden, nur um bei der Ansprache dann sprachliche Kapriolen wie Schmähungen der „Horden der Roten Armee“ zu lauschen. Irgendwie erinnert das an die gerade aktuellen „Montagsdemos“ in Hamburg, die unter dem Motto „Merkel muss weg“ stehen.

Zunächst ist man geneigt, den jungen Anwohnern, die sich das Ganze „interessiert anschauen“, zuzustimmen, dass man die paar Gestalten doch einfach ohne mediale und demonstrierte Aufmerksamkeit laufen lassen sollte – und gut ist. Aber spätestens mit dem verbalen Ausrutscher, einmal mit dem Maschinengewehr in das Gesocks zu halten, ist dann wieder Feierabend mit Toleranz – auf beiden Seiten.

Während Monchi und Feine Sahne Fischfilet und auch Charly Hübner ganz klare Kante fahren und sich deutlich links positionieren hält es der Dokumentarfilmer Martin Farkas differenzierter. Bei ihm kommen ziemlich viele Leute zu Wort und sein Film ist bemüht, keine Position zu beziehen, sondern zu beobachten. Wer sich selbst entlarven mag, soll das tun. Aber so gelingt es „Über Leben in Demmin“ auch, Augenzeugen von damals Schilderungen des Kriegsendes zu entlocken, die jene fatale Hysterie zwar nicht erklären, aber zumindest erhellen können. Und ganz nebenbei gelingt es dem Film auch auf leise Art, dem Zuschauer seine eigenen Vorurteile aufzuzeigen. Aber das mag jeder selbst sehen.

Die beiden Dokus „Wildes Herz“ und „Über Leben in Demmin“ sind beide nicht nur aus politischen Gründen sehenswert, sondern auch als ostdeutsche Heimatfilme. Und gerade darum sollten sie in Westdeutschland Zuschauer finden. Aber die Realität sieht anders aus, Filme mit ostdeutscher Thematik haben es im Westen schwer, selbst wenn sie alle betreffen wie seinerzeit die Treuhand-Doku „Goldrausch – Die Geschichte der Treuhand“. Aber Aufklärung ist der beste Weg zu mündigen Bürgern. Wer sich nicht dafür interessiert, was um ihn herum passiert, muss sich nicht wundern, wenn die Dinge in Schieflage geraten.

Wildes Herz
Genre: Doku, Musik,Politik, Ostdeutschland
Länge: 94 Minuten, 2017
Regie: Charly Hübner, Sebastian schulz
Mitwirkende: Feine Sahne Fischfilet, Materia, Campino, Jan „Monchi“ Gorkow
FSK: ab 12 Jahren
Vertrieb: Neue Visionen
Kinostart: 12.04.2018

Film-Wertung:7 out of 10 stars (7 / 10)

facebook-seite Wildes Herz (wer sich nach dem Datenskandal noch traut)
In Hamburg: ab 12.04. im 3001 Kino

Über Leben in Demmin
Genre: Politik, Ostdeutschland, Geschichte,
Länge: 90 Minuten, 2017
Regie: Martin Farkas
FSK: ab 12 Jahren
Vertrieb: Edition Salzgeber
Kinostart: 22.03.2018

Film-Wertung:7 out of 10 stars (7 / 10)

offizielle Film-Homepage
In Hamburg: am 07.04.2018 im Metropolis Kino mit Regisseur und Psychoanalytikerin