Styx: Überraschungen auf hoher See

Mit seinem zweiten Spielfilm „Styx“ beweist Autorenfilmer Wolfgang Fischer, dass er etwas zu sagen hat. Premiere feierte das Kammerstück auf hoher See bei der Berlinale im Februar 2018. Jetzt startet „Styx“ mit einer grandiosen Hauptdarstellerin Susanne Wolff endlich regulär im Kino. Die „Neue deutsche Welle“-Sängerin Frl. Menke hatte in den 80er Jahren den Hit „Tretboot in Seenot“; Susanne Wolffs Charakter muss da ganz andere Herausforderungen meistern.

Die deutsche Rettungsärztin Rike (Susanne Wolff) hat sich bestens auf ihren wohlverdienten Urlaub vorbereitet. Allerdings würde wohl nicht jeder den Einhand-Segeltörn als Erholung ansehen. Rike will von Gibraltar aus allein mit einer  Jacht zu einer Insel im südlichen Atlantik segeln. Die Ärztin schafft Vorräte an Bord und legt mit dem technisch hervorragend ausgerüsteten Schiff ab. Die resolute und kontrolliere Frau hat alles unter Kontrolle.

Auch auf den Sturm, in den sie auf hoher See gerät, ist sie vorbereitet und übersteht alles unbeschadet. Mit Wetterkapriolen war schließlich zu rechnen. Mit einem havarierten überfüllten Flüchtlingskutter allerdings nicht. Der kleine Kutter ist Leck geschlagen und das völlig überfüllte Boot ist nicht mehr seetüchtig. Land ist weit und breit nicht in Sicht und Rikes Jacht ist zu klein, um auch nur ein paar der Mesnchen aufzunehmen.

Rieke folgt dem Seenotprotokoll und setzt einen SOS-Funkspruch ab. Erst nach einer gefühlten Ewigkeit antwortet ein Containerschiff, dessen Route in relativer Nähe verläuft. Der Kapitän sagt, er habe die Küstenwache kontaktiert, und er rät Rike, abzuwarten und sich dem Flüchtlingskahn nicht alleine zu nähern. Doch nichts geschieht und bis sich die zuständige Küstenwache endlich per Funk meldet, ist bereits ein jugendlicher Flüchtling (Gidion Oduor Wekesa) an Bord der Jacht. Ohne schwimmen zu können, ist er einfach ins Wasser gesprungen, hoffend, dass Rike einen Ertrinkenden wohl retten wird.

Regisseur Wolfgang Fischer („Was du nicht siehst“) legt sein Drama formal als Dreiakter an, bei dem die Natur eine wesentliche Rolle spielt. Meer und Wetter sind die einzigen sichtbaren Antagonisten der Hauptfigur. Nach der Exposition der „Heldin“ als starke, kontrollierte und unabhängige Frau, behält sie auch noch in der zweiten Phase die Kontrolle, wenn sie ihre Jacht durch den Sturm führt, erst danach stellt der Film ihre scheinbare Kontrolle über Lebenssituationen in Frage und konfrontiert sie mit den Flüchtlingen.

Wie schon in seinem Spielfilmdebüt „Was du nicht siehst“ das beinahe ein Jahrzehnt zurückliegt, beginnt auch „Styx“ als vermeintliches Genre-Kino, ein Abenteurer-Film, ein Survival-Drama auf hoher See wird quasi gekapert von einem psychologischen und moralischen Dilemma. Vergleichbar ist „Styx“ zumindest anfangs mit dem hochgelobten Survival Drama „All is Lost“, in dem Robert Redford allein auf hoher See von einem Sturm überrascht wurde. Dort war der Sturm das Ereignis des Films, in „Styx geht es nach dem Sturm erst richtig los, wenn alle Zuschauer auf den sprichwörtlich falschen Dampfer sitzen. Das ist hochdramatisch und vor allem deswegen so intensiv, weil „Styx“ eben nicht verkopft daher kommt. Nu je, die falsche Fährte Survival-Drama relativiert sich ja, je mehr die Zuschauer vorab wissen.

„Styx“ wurde von Kameramann Benedict Neufels in relativ langen Takes gedreht, was dem Film eine Natürlichkeit der Abläufe verleiht. Zudem wurde auch tatsächlich auf dem Meer und in dem Boot gedreht, was dazu führt, dass sich die Intensität und Authentizität des Segeltörns auch auf die Leinwanderfahrung überträgt. Allein das körperliche Beherrschen dieser Situationen, die Exaktheit der Bewegungen macht deutlich wie sehr die Ärztin Rike „Herr (bzw. Frau) der Lage“ ist. Das ist umso wichtiger, da nur so auch drastisch erkennbar wird, wie sehr ihr diese Kontrolle, die eine Lebenseinstellung ist, entgleitet.

Die Symbolik der Situation ist offensichtlich. Rikes Handlungsunfähigkeit ist stellvertretend für das alte Europa, das sich mit den afrikanischen Flüchtlingen, die über das Meer kommen, schwer tut. Dabei wird oft vergessen, was „Styx“ genauso zeigt wie Gianfranco Rosis „Fuocoammare“ (deutsch „Seefeuer“, der 2016 den goldenen Bären gewann) oder auch Markus Imhofs im April gestartete Doku „Eldorado“, nämlich, dass es sich bei den Flüchtlingen um Menschen handelt, denen akut schlicht und ergreifend geholfen werden muss. Das vermeintliche Dilemma der segelnden Ärztin, ist eigentlich keines, denn es ist ein gesellschaftliches Versagen, das nichts anderes ist als eine humanitäre Katastrophe. Unabhängig davon, wer ein Recht auf Asyl hat und wer nicht.

Ich lege mich mal fest: „Styx“ ist einer der 5 besten deutschen Filme des Jahres. Auch und gerade weil er es schafft einem vermeintlichen Abenteuerfilm einen moralischen Diskurs abzuringen, der in seiner persönlichen Dringlichkeit schon fast ein politisches Statement ist. Abgesehen davon, ist „Styx“ handwerklich großartig gemacht und Susanne Wolf zeigt in dieser furiosen Rolle all ihr Können. Ihr zuzuschauen ist schon den Gang ins Kino wert. Vielleicht sollte man „Styx“ zu den Oscars schicken? Aber da war Fuocoammare ja schon als Doku…

Film-Wertung: 9 out of 10 stars (9 / 10)

Styx
Genre: Drama, Abenteuer,
Länge: 94 Minuten , D, 2018
Regie & Drehbuch : Wolfgang Fischer
Darsteller: Susanne Wolff, Gedion Wekesa Oduor,
FSK: ab 12 Jahren
Vertrieb: Zorro Film
Kinostart: 13.09.2018