Arena 196: Lektionen in Staatsbürgerkunde

Als die Dreharbeiten zur Politik-Doku „Arena 196“ begannen, war nicht abzusehen, dass sich der beobachtete Wahlkreis bei der Bundestagswahl 2021 zu einem „politischen Hotspot“ entwickelt. Für die unterhaltsame Doku mag das ein Glücksfall sein, weil sich exemplarisch besser die politische Gegenwart abbilden lässt. Sicher aber, wäre „Arena 196“ auch ohne den Trubel sehr sehenswert und informativ ausgefallen. Interessierte Mitbürger:innen können sich ab dem 26. Oktober 2023 im Lichtspielhaus ihres Vertrauens selbst ein Bild machen.

Bei Bundestagswahlen hat der Wahlkreis Südthüringen die Nummer 196. Er umfasst die Städte Sonneberg, Schmalkalden-Meinigen und Hildburghausen. Insgesamt leben hier etwa 230.000 Menschen, etwas weniger als in der Schleswig-Holsteinischen Landeshauptstadt Kiel. Das Filmmacher-Ehepaar Yvonne und Wolfgang Andrä haben den beschaulichen, ländlich geprägten Wahlkreis 2021 für einen Dokumentarfilm ausgewählt.

Darin wollten die Filmmacher die aufgestellten Direktkandidaten bei ihren Aktivitäten im Wahlkampf begleiten. Zum Zeitpunkt des Drehbeginns waren sieben Kandidaten bekannt. Alles wurden angefragt, ob sie bei dem Filmprojekt mitmachen wollten. Außer dem AfD-Kandidaten sagten alle zu. Letztlich zur Wahl standen insgesamt zwölf Direktkandidaten.

Bekanntheitsgrade abfragen

Doch es gab noch weitere Einschränkungen. Weil der Direktkandidat der CDU zurücktrat, wurde Hans-Georg Maaßen nachnominiert. Maaßen sagte zunächst seine Mitwirkung zu, stoppte diese dann aber nach dem ersten Drehtag. Hans-Georg Maaßen war von 2012 bis 2018 Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz. Anlässlich gewalttätiger Ausschreitungen in Chemnitz 2018, äußerte sich Maaßen kontrovers und würde daraufhin zunächst in das Innenministerium versetzt und im November in den vorzeitigen Ruhestand befördert.

Seither fiel Maaßen immer wieder durch vermeintlich antisemitische, verschwörungstheoretische und rechtsextremistische Aussagen auf. Seine Kandidatur als Direktbewerber für den Deutschen Bundestag rief den Verein Camact auf den Plan. Die „Bürgerbewegung, mit der über 2,5 Millionen Menschen für eine progressive Politik streiten“, organisiert Online-Kampagnen und Spendenaktionen um politischen Druck aufzubauen.

Bei der Bundestagswahl 2021 wollte Campact verhindern, dass Maaßen das Direktmandat bekommt und appellierte an die zur Wahl stehenden Parteien, sich auf einen Gegenkandidaten zu einigen. Der Apell verhallte unbeachtet und letztlich rief Campact dazu auf dem SPD-Kandidaten zu wählen, da dessen Chancen zu gewinnen am größten seien. Die Kandidaten von Die Linke, FDP und Grüne beeinflusst die Aktion in ihrem Wahlkampf erheblich. Der Direktkandidat der ÖDP, der sich ohnehin eher mit grundsätzlicher Aufklärung und Basisarbeit beschäftigen muss, weil niemand der kleinen, aber seit Jahrzehnten präsenten Partei den Einzug im den Bundestag zutraut. Viele halten es daher für Verschwendung ihres Stimmrechtes die ÖDP zu wählen.

„Bündnispartner from Hell“

„Arena 196“ geht als Film sportlich zur Sache und klärt erst einmal die Spielregeln in dieser Wettkampfstätte. Anschließend werden die Kandidat:innen vorgestellt und in ihrem Tun begleitet. Dabei hält sich das Filmteam zurück und kommentiert ebensowenig wie fragend eingegriffen wird. Das inhaltliche Ergebnis des Filmprojektes ist spannender Weise also offen. Zuschauer:innen könnte das als Direct Cinema, als bestimmte Form des Dokumentarfilms, bezeichnen, selbst wenn zwischenzeitlich stimmungsvolle Luftaufnahmen die Thüringer Landschaft einfangen und die Implikationen der Musikauswahl durchaus diskutabel sind.

Sehr schnell wird „Arena 196“ zur Lehrstunde in parlamentarischer Demokratie. Die Frage, welchen Einfluss die Campact-Kampagne auf das Wahlgeschehen hat, lässt sich trefflich hin und her wenden. Spannend ist tatsächlich zu sehen, wie die Kandidaten und die Parteien mit dem unerwarteten außerparlamentarischen Faktor umgehen. Durch die Auswahl des Wahlkreises geht es auch um die deutsche Einheit und das Verhältnis zwischen Ost- und Westdeutschland. Daneben ist gut zu beobachten, wie sich die Kandidaten als Personen und Politiker:innen verhalten und auf welche Weise sie die Gunst der Menschen zu gewinnen versuchen.

Kritisch anzumerken wäre eventuell die Frage, warum nicht mehr Direktkandidaten in das Projekt einbezogen wurden, da auch der SPD-Kandidat erst zwei Monaten nach Anfrage zugesagt hat. Möglicherweise hat das logistische Gründe, möglicherweise fehlte der planerische Vorlauf, möglicherweise versprachen sich die Filmmacher:innen davon keinen inhaltlichen Mehrwert?

Es wäre nicht Sinn der Sache in der Film-Rezension inhaltliche Standpunkte zu vertreten, obschon der Rezensent klare Auffassungen und politische Ansichten hat. Vielmehr bietet „Arena 196“ Gelegenheit auf nahbarer, persönlicher Ebene in die Politik in Deutschland einzutauchen. „Arena 196“ ist kein Blick hinter die Kulissen des „Machtapparates“, der Deutschland lenkt, und will es auch nicht sein. Wohl aber zeigt die Doku auf ziemlich unverstellte Art wie unser Heimatland so tickt. Dass ist schon sehr sehenswert.

Die Impressionen vom Wahlkampf zur Bundestagswahl 2021 zeichnen nicht nur ein Bild der engagierten Politiker:innen, sondern zeigen auch auf, wie unterschiedlich Politik- und Demokratieverständnis ausfallen können. Das ist nicht nur für Interessierte sehenswert, sondern eine notwendige Lektion in Staatsbürgerkunde, die durchaus zu Diskussionen anregen könnte. Der Film-Vorstellung liegt die 90minütige Schulversion zugrunde.

Film-Wertung: 8 out of 10 stars (8 / 10)

Arena 196 – Zwischen Wende, Wahl und Wirklichkeit
OT: Arena 196 – Zwischen Wende, Wahl und Wirklichkeit
Genre: Doku, Politik
Länge: 106 Minuten (Schulversin 90 Min.), D, 2023
Regie: Yvone & Wolfgang Andrä
Mitwirkende: Frank Ullrich, Stephanie Erben, Hans-Georg Maaßen, Sandro Witt, Stephan Schellenberg, Gerald Ullrich,
FSK: ab 0 Jahren, ohne Altersbeschränkung
Vertrieb: Barnsteiner Film
Kinostart: 26.10.2023

Filmseite bei Barnsteiner
Wikipedia-Eintrag zu Camact
Wikipedia-Eintrag zu Wahlkreis 196