Lagunaria: Wasser im Tanz seiner Spiegelungen

Das Publikum sollte schon eine poetische Ader haben und eine Sehnsucht nach Stille und Weite, um an Giovanni Pellegrinos Dokumentarfilm „Lagunaria“ Gefallen zu finden. Es ist diese abstrakt versponnene Annäherung an die Lagunenstadt Venedig, die „Lagunaria“ so sehenswert macht. Der Filmverleih RealFiction bringt das poetische Filmessay ab 21. Dezember 2023 in die Kinos.

Die weibliche Erzählstimme beginnt eine Sage von einer „Stadt, die größer ist als Raum und Zeit“. Dazu schwebt eine Dronenkamera über eine von Adern durchzogene Küstenlandschaft. Das mag ein Flussdelta sein, entpuppt sich aber als Lagunenlandschaft. Ein Stück flaches Gewässer, dass von restlichen Meer beinahe vollständig abgetrennt ist. Mit den Gezeiten und mit der Zeit versandet eine Lagune, wird flacher und die Adern verlagern sich mit dem pulsieren des Wassers.

Dann geht die Erzählung weiter mit Menschen, die auf der Suche nach jener Stadtlegende sind. Sie stranden, aus Schiffen werden Häuser, aus Häusern ein Gemeinwesen. Mit all seinen Herausforderungen im Laufe der Jahrhunderte. Eine Stadt, deren Ruf um die Welt reicht und immer wieder Besucher:innen anlockt.

Ein Film als Brücke zur Stadt im Wasser

Es ist unschwer zu erkennen, dass „Lagunaria“ ein Film über Venedig ist. Der Filmmacher Giovanne Pellegrini, nicht zu verwechseln mit dem 1675 in Venedig geborenen Maler selbigen Namens, hat bislang vor allem Kurzfilme über Venedig gemacht. „Lagunaria“ ist sein Langfilm-Debut. Und in einer Szene des Films rudert Pellegrini selbst allein auf einer Gondel durch das von der Covid19-Pandemie beruhigte Venedig.

Es gibt etliche Filme und Dokus über Venedig. viele davon beleuchten Teilaspekte, und auch Naturdokus über die Lagune hat es schon gegeben. Aber wie der Film an einer Stelle selbst feststellt, viele Besucher kommen in die Stadt um das Bild zu finden, das sie bereits kennen. Viele kehren dann enttäuscht zurück. Es ist also für Filmschaffende wichtig einen eigenen Zugang zur Stadt und den Bildwelten zu finden.

„Lagunaria“ gelingt dieses Kunststück durchaus. Dafür gibt es im Grunde zwei wesentliche Aspekte. Erstens diese eigenwillige Erzählung, die sich anhört wie eine alte Sage, oder aber ein Märchen aus der Zukunft, das auf unsere Zeit zurückblickt. Vorgetragen wird jener Text aus dem Off von der Schauspielerin und Künstlerin Irene Petris mit sirenenhafter, betörender Stimme. Ebenso ätherisch wie die Nebel über den winterlich ruhigen Wassern.

„Die Lagune hat die Stadt in Nebel gehüllt…

Zweitens und für einen Film vordergründig wesentlicher entfernt sich die Kamera von der Stadt, um sich ihr zu nähern. Was zeitlich früh in der Erzählung verortet ist, ist geographisch an den Rändern der Lagune, vergleichsweise weit weg vom Stadtkern gefilmt. Hier kommen Aufnahmen mit Dronenkamera ebenso zum Einsatz wie Szenen, in denen der Mensch durch bloße Anwesenheit schon Störenfried ist. In diesen Phasen entwickelt „Lagunaria“ eine fast meditative Qualität, die durch die Soundscapes noch unterstützt wird.

Ich kann nicht verhehlen, dass mich das fasziniert. Ähnlich dem menschenleeren Venedig in der Pandemie wie es „Moleküle der Erinnerung“ zeigte. Ebenso wie es den Auftakt zu den Thrillern „La Isla Minima“ und „Freies Land“ prägt. Geographie prägt den Charakter und prägt die Erzählung. Oder wie die Cartoonfiguren Calvin und Hobbes einst feststellten: „Man kriegt den Tiger aus dem Dschungel, aber den Dschungel nicht aus dem Tiger.“ Doch ich schweife ab, weil auch „Lagunaria“ Raum lässt für Gedanken und Impulse, für Assoziationen und Staunen.

Ebenso wichtig ist es für das Publikum offene Augen zu haben für eben jene Bilder, die noch nicht bekannt sind. Das zu entdecken oder heraus zu spüren, was noch nicht abgelichtet und präsentiert wurde. Und „Lagunaria“ bietet hier einige Ansatzpunkte. Auch und vor allem im Zusammenspiel von Erzählung und bildlicher Umsetzung. Sicherlich ist der Fischer, der vor seiner Stelzenhütte den Tagesfang sortiert, nicht jener erste Seefahrer, der sich hier niederließ, aber näher kommt eine gegenwärtige Annäherung nicht. Zumindest nicht ohne Fiktionalisierung.

…um sie vor seinen Bewohner zu verstecken.“

Auch muss der oder die Betrachter:in erst einmal darauf kommen, jene als betrunkene Seemänner zu bezeichnen, die orakelten, dass Venedig untergehen würde „wie ein verhasstes Schiff“. Und damit einen noch größeren Run auf die Stadt im Wasser auslösten. Solcherlei Erzählung bleibt immer etwas abstrakt, etwas mythisch und vielleicht auch etwas pathetisch. Doch wenn die Bilder dazu angetan sind die Sage zu unterstützen, kann daraus etwas Eigenes und sehr Schönes entstehen. Aber das liegt in der Wahrnehmung der Betrachter.

Es gibt in „Lagunaria“ aber auch Sequenzen, in denen die mythologische Ebene der Erzählung derbe in die Realität geholt wird. Wenn etwa Aktivisten die Wohnungsnot sichtbar machen, indem sie Touristische Privat-Unterkünfte ausfindig machen. Oder aber, wenn flächig vermüllte Bereiche der kleineren Inseln aufgezeigt werden. Die Restaurationsarbeiten an Häusern und Kirchen-Mosaiken fügen sich besser in das poetische Bild, das „Lagunaria“ über weite Strecken zeichnet.

Was „Lagunaria“ aber auf keinen Fall sein will ist, was der Serenissima auch vorgeworfen wird: „Verkommen zu sein zu einem vulgären Museum seiner selbst“. Die Stadt im Film ist wiederaufgetaucht aus dem Nebel und sich selbst scheinbar wieder näher als lange Zeit zuvor.

Oft genug vergessen die Besucher Venedigs, dass die Lagune um den Stadtkern herum viel größer ist als angenommen. Hier finden sich vielschichtige Lebensräume ebenso wie wunderbare und verwunschene Stimmungen. Wer ein Faible für diese Sehnsucht hat, bei der der Horizont verschwindet, sollte sich die Bilder auf der großen Leinwand nicht entgehen lassen. Darüber hinaus weiß auch die Erzählung sirenenhaft vorgetragen von Irene Petris einen eigenen Zauber zu entfalten. so entsteht ein etwas anderes Venedig-Bild.

Film-Wertung: 8 out of 10 stars (8 / 10)

Lagunaria
OT: Lagunaria
Genre: Doku, Film-Essay, Geographie
Länge: 89 Minuten, I, 2023
Regie: Giovanni Pellegrini
Erzählerin: Irene Petris
FSK: ohne Altersbeschränkung, ab 0 Jahren
Vertrieb: Real fiction
Kinostart: 21.12.2023

Filmseite bei Realfiction mit Terminen & Kinos

Copyright der Stills: GinkoFilm