Freies Land: Blüten des Bösen

Die Spannung in Christian Alvarts Thriller „Freies Land“ ist greifbar. Da sollen zwei Polizisten, die sich nicht besonders gut riechen können, einen Vermisstenfall in der Provinz untersuchen, der sowieso niemanden zu interessieren scheint. Eine frustrierende, finstere Angelegenheit, die aber zu den stärksten deutschen Filmen des Jahres zählt. Nun erschient der kraftvolle Thriller bei Eurovideo als DVD und Blu-ray für das Home-Entertainment.

Kommissar Patrick Stein (Trystan Pütter) setzt seinen Mercedes erstmal in den Graben, als er in die ostdeutsche Provinzstadt unterwegs ist, in der zwei Schwestern verschwunden sind. Die jungen Mädchen waren als Flittchen verschrien und es wundert niemanden, dass sich die Teenager vom Acker gemacht haben. Was willste hier noch anfangen, an der polnischen Grenze? Jetzt wo’s die DDR nicht mehr gibt, haste innner Stadt doch viel bessere Möglichkeiten.

Als wäre die Autopanne nicht schon nervtötend genug, muss sich Stein auch noch ein Bett mit seinem ostdeutschen Kollegen Baum (Felix Kramer) teilen; sein Zimmer ist schon weitervermietet. Der ostdeutsche Kollege hat so seine eigenen Methoden und setzt eher auf kumpelhaftes Ermitteln und Rumhorchen, während der Besserwessi vor allem schnell wieder zu seiner hochschwangeren Frau zurück will.

Es scheint tatsächlich als wären die Mädchen abgehauen, aber dann taucht die misshandelte Leiche einer Schwester auf. Kurz darauf, gibt es Hinweise auf weitere vermisste junge Frauen aus der Gegend. Viele Anhaltspunkte haben die beiden Kommissare nicht, aber ihre Zusammenarbeit wird immer besser.

Bei „Freies Land“ handelt es sich um ein Remake des spanischen Thrillers „La Isla Minima –Mörderland“ von 2014. Der mehrfach ausgezeichnete Thriller lief hierzulande seinerzeit kaum in den Kinos, dabei hätte der atmosphärische Thriller eine große Leinwand verdient gehabt. (Hier geht’s zur Vorstellung von „La Isla Minima“.) Der Film ist zu Beginn der 1980er Jahre angesiedelt, also kurz nach der Franko-Diktatur. Christian Alvart („Pandorum“, „Banklady“) und sein Co-Autor Siegfried Kramml verorten ihre deutsche Version 1992 in Ostdeutschland, also kurz nach der Wende.

Die grundlegenden Konfliktlinien der spanischen Vorlage werden beibehalten und überraschenderweise fügt sich das Setting ebenso stimmig wie glaubhaft an das Ufer der Lausitzer Neiße. Doch es gibt auch unausgesprochene gesellschaftliche Konflikte, die dem kriminalistischen Geschehen eine psychologische und dramatische Tiefe verleihen und aus dem Krimi auch ein beachtliches Sozialdrama machen.

„Freies Land“ lebt von seiner eigenwilligen Landschaft, die kalt und winterlich karg ins Bild gesetzt wird, und Alvart, der auch die Kameraarbeit übernommen hat, findet überraschenderweise sogar Landschaften die dem spanischen Thriller entsprechen. Hinzu kommt eine reduzierte Lichtqualität und eine abweisende, ungastliche Bildästhetik, die die Befindlichkeiten der Charaktere perfekt wiederspiegelt.

Kantige Typen, verhärmte Existenzen, alle großartig besetzt, und verzagtes Durchhalten prägen das Leben in diesem vergessenen Landstrich, in dem die versprochenen blühenden Landschaften noch auf sich warten lassen, während es scheint, als sei hier ein rechtsfreier Raum, in dem sich Lügen und hohle Versprechungen breit machen.

Mittendrin die beiden höchst unterschiedlichen Polizisten, die so packend in ihre Charaktere abtauchen, dass es beinahe unheimlich ist. Vor allem Felix Kramer („Warten auf’n Bus“) trumpft als ostdeutsche Kante von einem Kerl mächtig auf. Um daneben überhaupt noch gesehen zu werden, braucht es schon einen starken Gegenpart, den Trystan Püttner wahrlich wehrhaft dagegensetzt. Allein den beiden Typen zuzusehen, macht den Thriller schon sehenswert.

„Freies Land“ ist selbst als Adaption eines anderen Thrillers ein sehr starkes Kriminaldrama. Die großartigen Hauptdarsteller tragen den Film auch durch seine unausgesprochenen Verletzungen und die Sprachlosigkeit enttäuschter Hoffnungen. Für eine deutsche Produktion, man muss es leider immer noch so sagen, ist „Freies Land“ eine herausragende, kraftvolle Seltenheit.

Film-Wertung: 7.5 out of 10 stars (7,5 / 10)

Freies Land
OT: Freies Land
Genre: Thriller, Drama, Krimi
Länge: 128 Minuten, D, 2019
Regie: Christian Alvart
Vorlage: Film “La isla Minima“ (E, 2014)
Darsteller: Felix Kramer, Nora Waldstätten, Trystan Pütter
FSK: ab 16 Jahren
Vertrieb: Telepool, Eurovideo
Kinostart: 09.01.2020
DVD- & BD-VÖ: 23.07.2020