Karen Pirie – Echo einer Mordnacht: Rituale in Ruinen

Da bekommt eine junge, engagierte Polizistin einen Fall zugewiesen, der lange zurückliegt, aber immerhin Karrieremöglichkeiten bieten. Nur um dann festzustellen, dass sie den Job nur kriegt, weil die Bosse gerne eine Frau am Start hätten. Soviel zum Thema Gleichberechtigung. In der Miniserie „Karen Pirie – Echo einer Mordnacht“ zeigt sich einmal mehr, dass Qualität auch etwas mit Sorgfalt zu tun hat. Die Krimi-Gemeinschaft mag sich auf eine Ermittlerin freuen, die gekommen ist um zu bleiben. Kein Wunder, wenn Thriller-Queen Val McDermid die Romanvorlage schrieb. Nach Ausstrahlung als ZDF Sonntagskrimi nun bei Edel Motion auf DVD im Home-Entertainment.

Wer wüsste als Fussball-Fan nicht mehr, wo er war, wenn die eigene Mannschaft herausragend gewinnt. Oder der Lieblingsfeind verliert, wie bei der Europameisterschaft 1996 in Großbritannien, als England im Halbfinale episch gegen Deutschland verliert. Für die Schotten in einem Pub in dem Städtchen St. Andrews Grund genug den Jägermeister herauszuholen und zu feiern. Dusseliger Weise wird im Laufe der Nacht eine der Bedienungen, Rosie Duff, tot auf dem Friedhof der Stadt aufgefunden. Der Fall wird nie aufgeklärt, doch die drei jungen Studenten, die die Tote fanden, wurden auch später noch verdächtigt, schuldig davon gekommen zu sein.

26 Jahre später greift eine junge Podcasterin den Fall wieder auf. Und erzählt in ihrem True Crime-Podcast von dem ungelösten Fall. Das gefällt den Polizeioberen in St. Andrews absolut nicht und so beschließen DCS Jimmy Lawson und DI Simon Lees den „Cold Case“wieder aufzurollen. Am Publicity-trächtigsten wäre es wohl, wenn eine Frau die Ermittlungen leiten würde. So kommt die altehrwürdige Gemeinde an der Küste von Fife zu anderem Ruhm denn als Kulisse für Golftuniere.

So kommt DS Karen Pirie zu ihrer Beförderungsmöglichkeit und einem neuen Team, das aus einem einzigen, aber hilfsbereiten Constable besteht. Dafür gibt es in Karens Beziehung Stress, denn ihr neuer Freund ist auch Kollege, und DS Phil Parhatka ist erstmal männlich verschnupft, weil er auf die Aufgabe gehofft hatte.

Die älteste Uni Schottlands

Es ist wie es ist, und Karen und ihr Kollege DC Jason Murray arbeiten sich durch die alten Unterlagen und stochern schnell in verlassen geglaubten Wespennestern. Die Brüder des Mordopfers sind mehr als verschnupft, dass die Polizei wieder am Start ist und die ehemaligen Verdächtigen sind inzwischen als Professor, Arzt und Künstler angesehene Stützen der Gesellschaft, die keinen alten Staub aufgewirbelt haben wollen.

Ich gestehe, das ich gerne Serien gucke und auch gerne kriminalistisch unterwegs bin. Allerdings hat sich in Sachen Krimi- beziehungsweise Thrillerunterhaltung in den letzten Jahren ein Überangebot breitgemacht, das zwar mit Produktions- und Schauwerten punkten kann, aber oft genug über Staffeldauer nicht packend genug erzählt ist, um dranzubleiben. Oder mit derart plumpen, klischeehaften oder überfrachteten Charakteren aufwartet, dass das Zuschauen zur therapeutischen Tortur wird. Das ist übrigens nicht nur bei TV-Serien zu bemerken, sondern gilt auch für das belletristische Krimi-Serien-Genre, das wirkt als wäre es von Verlagen nach Erfolgsrezept in Auftrag gegeben worden.

Val McDerrmid nun wieder hat etliche lesenswerte Thriller und Krimi-Serien geschrieben und aktuell sogar mehrere gleichzeitig am Start. Aber die Grand Dame des zeitgenössichen Thrillers enttäuscht selten und weiß immer wieder mit überraschenden Momenten und Charakteren aufzuwarten. Erfolgreich verfilmt und dann mit höchst unterhaltsamem TV-Seriellem Eigenleben unterhielt „Hautnah – Die Methode Hill“ (OT: Wired in Blood) über mehrere Staffeln mit einem eigenwilligen Psychiater als Polizeiberater.

Reformationsstadt Europas

Nun also eine junge Polizistin und als Handlungsort Schottland, die Heimat der Autorin. Seit 2002 ist Karie Pirie auf Ermittlungen. „Echo einer Mordnacht“ (OT: The Distant Echo, Deutscher Romantitel „Echo einer Winternacht“ –was ja zum TV-Mordtermin nicht passt, da die Handlung um 20 Jahre aktualisiert wurde) ist ihr erster Fall. Die Figur ist insofern charmant, als dass sie eben nicht auf den ersten Blick charismatisch und erfolgsverwöhnt – oder im Gegenteil verlebt – daherkommt, sondern eher bodenständig und „normal“. Ihre Qualitäten als Mensch und Ermittlerin kommen erst im Laufe der Staffel zum Vorschein. Da wäre die extrem realistische Beziehungskiste und da wäre auch der scheinbar naive Mitstreiter. Vom Serien-Setting her funktioniert „Karen Pirie“ auch aufgrund des emanzipatorischen Momentums.

Der Fall selbst ist klassisches „Cold Case“-Material. Es gibt diverse Verdächtige, Zeitsprünge zwischen aktueller Ermittlung und damaligen Geschehnissen und gegen Ende mag es etwas zu abrupt auf eine Auflösung zusteuern. Aber besser lange spannend am Krimirätseln und dann etwas ernüchtert als umgekehrt und über lange Serienzeit auf ein absehbares Ende zusteuernd, oder von offensichtlichen Sackgassen abgelenkt.

Karen Pirie überzeugt mit guten Storytelling und solidem Spannungsaufbau. Das ist handwerklich traditionell und immer wieder gut gemacht, auch was die Etablierung des Personals angeht und – das muss an dieser Stelle leider gesagt werden – viel viel besser als das handelsübliche, schnell produzierte Serienfutter. „Karen Pirie“ liefert als Thriller-Serie schlicht und ergreifend britische Qualität ab.

In der kurzweiligen Auftaktserie „Echo einer Mordnacht“ zeigt die Ermittlerin Karen Pirie, dass sie mehr ist als nur ein hübsches Gesicht, dass die Polizeiführung bei Bedarf in den Medien vorzeigen kann. Die Mini-Serie beweist Qualität, weil sie routiniertes Storytelling mit realistischen Schauwerten und charismatischen Figuren verknüpft. Das ist weit mehr als in der heutigen schematisierten Serien-Landschaft üblich ist, ragt mit Understatement heraus und sorgt für spannende Unterhaltung.

Serien-Wertung: 8 out of 10 stars (8 / 10)

Karen Pirie –Staffel 1: Echo einer Mordnacht
OT: Karen Pirie, Season 1: The Distant Echo
Genre: TV-Serie, Thriller, Krimi
Länge: 270 Minuten, (Bonusmaterial ca 40 Minuten), UK, 2022
Regie: Gareth Bryn
Vorlage: the Distant Echovom Val McDermid (deutsch: Echo einer Winternacht)
Darsteller:innen: Lauren Lyle, Stuart Bowman, Zach Watt, Anna Russel-Martin
FSK: ab 12 Jahren
Vertrieb: Edel Motion, ZDF Enterprises
Digital-VÖ: 25.7., 01.08. 08.08.2023
DVD-VÖ: 11.08.2023