Oppenheimer: Ein amerikanischer Prometheus

Als Physiker war der Theoretiker J. Robert Oppenheimer sicher ein brillanter Kopf, doch vor allem ist er als „Vater der Atombombe“ in die Geschichte eingegangen. Es mag auch Christopher Nolans Hang zur Quantenphysik geschuldet sein, dass der Regisseur einen Film über „Oppenheimer“ dreht. Die drei Stunden lange Bilderschau hat Etliches an Stars und Schauwerten aufzubieten, ist aber auch erschlagend und bisweilen vertrackt erzählt. „Oppenheimer“ ist wie der zeitgleich anlaufende „Barbie“-Film einer der am heißesten erwarteten filme des Jahres. Zu sehen ab 20. Juli 2023 in den Kinos.

Der Physiker J. Robert Oppenheimer (Cilian Murphy) wird zu einer inoffiziellen Befragung vorgeladen, die klären soll, ob er weiterhin eine Sicherheitseinstufung erhält, um für die US-Amerikanische Atomkommission zu arbeiten. Währen dieser Befragung werden auch andere Beteiligte befragt, die Oppenheimer und seine Arbeit an der Entwicklung der Atombombe begleitet haben.

Oppenheimer gibt in Erinnerungen Zeugnis seines Lebens und seiner Arbeit. Von frühen Studienjahren in England und ganz Europa, um die Quantenphysik in den USA zu verbreiten. Über die politische Verbundenheit mit sozialistischen Weltanschauungen bis hin zur Leitung des „Manhattan Projektes“, der Forschung an einer Atombombe, um den Wettlauf um die neue Zerstörungskraft gegen Nazideutschland zu gewinnen.

Quantenphysik in die USA bringen

Nach dem Krieg wurde Oppenheimer dann vom Lewis Strauss (Robert Downey Jr.) zum Professor in Princton berufen und wirkte weiter in der Atomkommission mit. Oppenheimers Anliegen war dabei immer auch eine internationale Kontrolle der Kernernergie, um ein Wettrüsten mit der UdSSR zu verhindern. Zu Beginn der 1950er Jahre, der McCarthy-Ära, waren die USA geprägt von einer panischen Angst vor dem Kommunismus. Auch Oppenheimer muss sich für seine Kontakte zu „vermeintlichen“ Kommunisten öffentlich verantworten. Ebenso wie Lewis Strauss, der in einer dritten, in Schwarz-Weiß gefilmten Zeitebene vor dem Ausschuss aussagen muss.

Der Engländer Christopher Nolan („Interstellar“, „The Dark Knight rises“) lebt seit Jahren in den USA und zählt zu den wichtigsten Regisseuren Hollywoods. In der Tat sind viele von Nolans Werken komplexe Filmkunst, die gleichzeitig ein breites Publikum ansprechen und daher Blockbuster-Qualitäten haben. So auch „Oppenheimer“, in dem sich namhafte Darsteller:innen wie in klassischen Monumentalfilmen die Klinke in die Hand geben. Oscar-Preisträger Rami Malek („Bohemian Rhapsodie“) etwa ist in zwei Szenen zu sehen.

Darstellerisch getragen allerdings wird „Oppenheimer“ von Cilian Murphy („Sunshine“, „In time“, „Peaky Blinders“), der den Physiker großartig und absolut sehenswert verkörpert. Daneben macht Matt Damon („Air“, „Les Mans“) als General Leslie Groves, was er in diversen Rollen gerne tut, er kommt als handfester Pragmatiker mit Problemlösungskompetenz ins Bild. Emily Blunt („The English“, „Sunshine Cleaning“) gibt Oppenheimers Gattin mit einer hausfräulich ausgebremsten Intelligenz. Und zeigt damit auch, was so viele Familienangehörige der am „Manhattan Projekt“ beteiligten Forscher erduldet haben, als in der Wüste von Los Alamos eine eigene, in sich geschlossene Stadt aufgebaut wird, nur um die Geheimhaltung der Forschung zu gewährleisten. Ein perfekter Nährboden für Verfolgungswahn.

Forschen gegen den Endsieg

Das alles wird von Christoper Nolan und seinem Team nach dem Sachbuch „American Prometheus“ von Kai Bird und Martin Sherwin in Szene gesetzt. Nolan hat durchaus ehrgeizige cineastische Ambitionen. Er filmt „Oppenheimer“ auf Zelluloid und in 70 mm Format (Optimiert für IMAX) und auch die Effekte sollen weitgehend real sein, so dass am Set tatsächlich Dinge explodiert sind. Das ist löblich, kunstvoll und beachtlich, auch wenn wohl die meisten „Oppenheimer“-Zuschauer den Film nicht in angemessener Projektion (wenn überhaupt im Kino) zu sehen bekommen.

Es scheint so, als müsse soviel Bildraum auch mit Information ausgefüllt werden. Auch akustisch müssen Oppenheimers Gedankenwelt und das Spiel der Atome, die es zu spalten gilt, dargestellt werden und kaum eine Szene ist nicht von Score untermalt. Das mag kongenial sein, das Publikum allerdings kommt in den 181 Minuten selten einmal in einen Zustand, indem es nicht mit Überfülle von Sinneseindrücken bombardiert wird. Kein Wunder, dass Mann und Frau erschlagen aus dem Kinosaal wanken.

Mir persönlich ist es lieber, wenn Bild und Erzählung auch Raum zum Atmen haben und dem Publikum die Möglichkeit der Anteilnahme anbieten, statt zu präsentieren, was der Film als seine Version der Wahrheit darstellt. Christopher Nolan folgt einer anderen, entgegengesetzten Idee von Film.

Feinde und Verbündete und Joseph McCarthy

Zudem fügen sich nicht alle Atmosphären zu einem Planeten. Die wenigen privaten Szenen haben eine beinahe biedere, rustikale Anmutung, die Befragungen in beiden Film-Ebenen reiten fast generisch auf der Politinszenierung und dem Trauma der McCarthy-Ära herum. Und dann ist da noch die Stadt in der Wüste, die Wes Andersons „Asteroid City“ so absurd nachgebaut und vorweggenommen und karikiert hat.

Oppenheimer reitende Erkundungen der Wüste erinnern verwirrend an William Wylers „Weites Land“ (OT: „Big Country“, 1958) mit Jean Simmons und Gregory Peck. Aber vielleicht ist auch das eine Verbeugung vor dem großen amerikanischen Versprechen, vor dem Aufbruch zu neuen Horizonten. Mit denen die Regierenden immer wieder so hadern, dass sie ihre herausragenden Persönlichkeiten auch immer wieder hinabziehen müssen auf den Boden der Alltäglichkeit.

In diesen Zeiten einen Film über die Entwicklung der Atombombe zu drehen gibt zumindest zu denken. Das Rüstungs-Gleichgewicht der Supermächte ist bereits in den 1990ern mit dem Zusammenbruch des Kommunismus in Schieflage geraten. Aktuell und auch zu Zeiten des Filmdrehs ist Russland in einen Krieg verwickelt, der ein globaler Brandherd sein kann. „Oppenheimer“ ist aber vielleicht auch kein Film über die Bombe, sondern über die Macht der Idee, die Berechnung des Möglichen und über die Überheblichkeit, die oft genug mit Genialität einhergeht. Aber das mag jede:r selbst sehen.

Christopher Nolans „Oppenheimer“ ist ein episches Unterfangen, das seine Wirkung auf der Leinwand stilsicher und selbstbewusst entfaltet. Inmitten der feuernde Impulse bleibt Cilian Murhpy in der Titelrolle ebenso durchlässig wie standhaft. Das allein wäre schon den Gang ins Kino wert.

Film-Wertung: 7 out of 10 stars (7 / 10)

Oppenheimer
OT: Oppenheimer
Genre: Historienfilm, Biografie
Länge: 181 Minuten, USA, 2023
Regie: Christopher Nolan
Darsteller:innen: Cilian Murphy, Emily Blunt, Matt Damon, Florence Pugh, Robert Downey jr.
FSK: ab 12 Jahren
Vertrieb: Universal Pictures International
Kinostart: 20.07.2023