The English: Die Rache der Herzogin

Diese Lady scheint nicht zu wissen, worauf sie sich da eingelassen hat. Cornelia Locke ist im Wilden Westen angekommen um den Tod ihres Sohns zu rächen. Wäre da nicht der ehemalige Army-Scout von Stamm der Pawnee gewesen, sie hätte den ersten Tag nicht überlebt. So aber erzählt die englisch-amerikanische Koproduktion „The English“ in sechs Episoden von den Reisen dieser ungleichen Weggefährten, die doch gemeinsam haben, dass sie Außenseiter sind. Nachdem die Serie bereits bei Amazon Prime in Stream zu sehen war, veröffentlichte Polyband Medien die Serie Ende April 2023 als DVD und Blu-ray für das klassische Home-Entertainment.

Eli Whipp (Chaske Spencer) hat auch einen Pawnee-Namen, aber er war so lange in Diensten der Armee, dass er als Sergeant sogar einigen Soldaten Einhalt gebieten kann, als diese die Familie eines gefürchteten, aber zur Strecke gebrachten Indianerhäuptlings massakrieren wollen. Eli quittiert den Dienst und macht sich auf in seine Heimatgegend um dort ein paar Acres Land einzufordern, das ihm als Veteranen zusteht.

Die Warnung des Kameraden, Eli möge sich vorsehen, denn hier sei er zwar einer von „ihnen“, aber dort draußen sei er einer von „denen“, nimmt er mit. Der ehemalige Späher findet sich schnell gebunden und in der Gewalt von Richard Watts (Ciaran Hinds) wieder, der in der Einöde von Texas sein willkürliches Regime führt.

Die gerade angekommene englische Lady, Cornelia Locke (Emily Blunt „A Quiet Place„), weiß zwar kaum, worum es geht, will den Indianer aber freikaufen. Ein Angebot das Watts nicht ablehnen kann: Er schlägt Cornelia bewusstlos, und hat sowohl das Geld als auch die Rothaut und zudem noch eine hübsche kleine Lady zum Zeitvertreib.

„Ich suche Rache für meinen Sohn.“ (Cornelia)

Und weil dies erst der Auftakt der Serie „The English“ ist, ist es kaum gespoilert, dass sowohl Eli als auch Cornelia lebend aus der Sache herauskommen. Cornelia ist auf dem Weg nach „Westen“, wo sie den Mann vermutet, der für den Tod ihres Sohnes verantwortlich ist. Eli nordet den „Westen“ erstmal ein und muss ohnehin in die Richtung.

Der Ritt ist lang und beschwerlich und die Herzogin hat eine Tasche voller Geld dabei. Nicht gerade unauffälliges Gepäck. Das zieht Wegelagerer, so genannte Bushwacker, ebenso an wie desertierte Soldaten, umherziehende Quacksalber und rachdedurstige Indianer. Denn die Pawnee sind unter den indigenen Stämmen nicht wohl gelitten. Auch, weil sich viele wie Eli als Scouts gemeldet haben.

Am anderen Ende der Reiseroute ist der Engländer Thomas Trafford gerade dabei, eine Rinderzucht aufzubauen. In der Stadt Hoxem, oder dem Siedlungsflecken, der mal Hoxem werden will, kommt es aber immer wieder zu Zwischenfällen unter den Siedlern. Der alternde Sheriff Robert Marshall (Stephen Rea) versucht die Ruhe zu bewahren und die Ordnung aufrecht zu halten. Nicht gerade einfach hier, so weit ab von der Zivilisation.

„Wegen einem Jungen wer‘ ich nicht weinen.“ (Eli)

Die sechsteilige Mini-Serie „The English“ basiert auf einer Originalidee und einem Originaldrehbuch von Regisseur und Produzent Hugo Blick. Blick ist ein alter Hase im TV-Geschäft und legte bereits etliche hochgelobte Serien für die BBC vor. Unter anderem „The Honorable Woman“, „The Shadow Line“ und „Black Earth Rising“ die vor einiger Zeit bei Arte ausgestrahlt wurde.

Nun also ein Aufbruch ins Western-Genre. Wobei die Sub-Genres vielschichtig sind und eigentlich seit den 1990ern fast ausschließlich Anti-Western oder Neo-Western gedreht werden, die sich dadurch auszeichnen, dass sie die klassische Heldenrolle anders interpretieren. Und der klassiche Spaghetti-Western hat großen Einfluss auf die Erzählung und den Look von „The English“.

Das hat auch damit zu tun, dass in der spanischen Extremadura gedreht und produziert wurde. Blick selbst sagt im Interview, dass die lokale Crew überraschend geschult und stilsicher war, was Western-Ausstattung angeht. Schließlich hatte auch Serigo Leone hier gedreht. Dabei fällt dem Cineasten auch immer wieder Terry Gilliams ewig gescheitertes „Don Quichote“-Projekt ein, das eine eigene Doku bekam, bevor der Film letztlich noch realisiert wurde.

Die Landschaft ist also ebenso stimmig wie die Kulissen, die vor Ort aufgebaut wurden und dadurch anders und realistischer wirken als Studiobauten. Ein weiterer sehr gelungene optischer Aspekt sind die großartigen Kostüme von Kostümbildnerin Phoebe de Gaye, die eine der gefragtesten und originellsten im Seriengeschäft ist („Killing Eve“, „Three Musketiers“). Die Schauwerte wissen also jederzeit zu überzeugen. So auch der Soundtrack und der animierte Serienvorspann, der in rustikaler Papier-Reiß-Optik eine archaische Anmutung erzeugt.

„Nicht ganz die Lady, die ich erwartet hab‘.“ (Watts)

Bliebe noch die herausragende Riege an namhaften Darstellern, die sich zu sehenswerten Wegbegleitern und Begegnungen von Emily Blunt („Looper“, „Victoria“) und Chaske Spencer gesellen. Ciaran Hinds, Toby Jones, Nichola McAuliffe, Rafe Spall und Valerie Pachner um nur einige zu nennen, die durchaus im Gedächtnis bleiben.

Ein wenig hat „The English“ in seiner derben, brutalen Art vom ruchlosen Italowestern, vieles in seiner schrägen Eigenwilligkeit erinnert an die Coen Brüder und das herausragende Team-up der beiden Außenseiter, als Frau und als Indigener, wandelt auf den Pfaden des großartigen, schockierenden, historischen Rachethrillers „The Nightingale“ von Jennifer Kent, der bei seiner Festivalpremiere zum Teil ausgebuht wurde. Auch hier machen sich eine ehemalige Strafgefangene und ein Aborigine auf um Rache zu nehmen. „The English“ ist gefälliger, aber nicht weniger herausfordernd.

„Sie sind alles was ich von einem Mann erwarte.“ (Cornelia)

Die Serie ist in sechs Episoden aufgebaut wie ein Road Movie. Zusammengehalten wird die Handlung nicht vom Schicksal, sondern von einer Zeitenwende, einem markanten Zeitpunkt in der US-Amerikanischen Geschichte. Im Jahr 1890 ruft der erste U.S. Census, als eine Volkszählung, das Ende der so genannten Frontier aus. Die Frontier bezeichnete immer diffuse Grenze zum „Indianergebiet“. Das ließ sich nun scheinbar nicht mehr aufrecht halten, da die Besiedelung so weit nach Westen vorgerückt war.

Zeitgleich mit dem Ende der Frontier kommt es im Dezember 1890 noch zu einem grausamen Massaker an indigener Bevölkerung am Wounded Knee Fluss. Von hier aus – beziehungsweise einem ähnlichen Akt der Barbarei – entfalten sich die Wege der Figuren, kreuzen sich und nehmen unerwartete Richtung auf. Aber das mag jede:r selbst sehen. „The English“ ist vielleicht nicht große Revolution im Western-Genre aber ein herausragender Genrebeitrag und eine packende Serie.

Es ist vor allem die ungewöhnliche Figurenkonstellation, die „The English“ so außergewöhnlich macht. Das entspricht auch dem modernen Blick, der zeitgemäß Wert auf Diversität legt. Das mag auch Kalkül sein, geht aber sowas von auf und wird angesichts der epischen Serie komplett nebensächlich. Emily Blunt und Chaske Spencer liefern in den Hauptrollen großartige Darstellungen ab. Die Szenerie ist von ungeahnter Weite für eine TV- beziehungsweise Streaming-Produktion. Trotz einiger erzählerischer Flachwasserzonen ist „The English“ eine herausragende und einzigartige Neo-Western-Serie mit vielen kleinen und großen Aspekten.

Serien-Wertung: 8 out of 10 stars (8 / 10)

The English – Die komplette Serie
OT: The English
Genre: TV-Serie, Western
Länge: 320 Minuten (6 x ca 53 Minuten), Bonus ca 15 Minuten
Idee: Hugo Blick
Regie: Hugo Blick
Darsteller:innen: Emily Blunt, Tom Hughes, Stephen Rea, Chaske Spencer
Bonusmaterial: Interviews, Featurettes zu Making Of, Kulissen und Kostümen
FSK: ab 16 Jahren
Vertrieb: Polyband
Digital-VÖ: 28.04.2023
DVD- & BD-VÖ: 28.04.23

Serienseite bei Polyband

Copyright der Stills: Drama Republic,Diego López Calvín