Nightsiren: Wölfe und Nattern

Ein junge Frau kommt nach vielen Jahrzen wieder in ihren Geburtsort in einem abgelegenen Teil der Slowakei. Doch willkommen scheint sie hier nicht zu sein. Mit „Nightsiren“ legt die slowakische Regisseurin Tereza Nvotová bereits ihren vierten Spielfilm vor, aber den ersten, der international Beachtung findet. Dabei hat sicherlich ein goldener Löwe bei den 2022er Filmfestspielen in Locarno beigetragen. Der Mystery-Horror hat es in sich, auch wenn das Hinterwäldler-Setting beinahe klassisch ist. Neu für das Home-Entertainment bei Busch Media ab dem 26.Mai 2023.

Eine junge Frau wandert durch ein bewaldetes Gebirge bis zu einer verlassenen Hütte. Es scheint, als kenne sie sich aus und sie richtet sich in der strom- und wasserlosen Einsiedelei ein. Bald allerdings taucht eine Horde Junger Leute auf, die wissen wollen, was die Frau hier treibt?

Wie sich herausstellt, ist Šarlota (ausgesprochen Karlotta, Natalia Germani) in dem Haus aufgewachsen und nun zurückgekehrt um Erbschaftsangelegenheiten zu regeln. Am nächsten Tag weiß im Rathaus niemand Bescheid und der Bürgermeister ist verreist. Šarlota beschließt zu warten und freundet sich mit der jungen Mira (Eva Mores) an.

Während die beiden das Haus wieder instand setzen, beginnt Šarlota nachzuforschen, was mit ihrer Familie und der Nachbarin Otyla geschehen ist. Doch die Dorfbewohner bleiben wortkarg und maulfaul. Šarlota hat mit ihrer eigenen Vergangenheit und Gegenwart zu kämpfen, und auch Mira sieht sich zunehmend der Ablehnung der Dörfler ausgesetzt. Während die Mittsommerwende näherrückt, spitzen sich die Feindseligkeiten zu.

Im Grunde kann das Publikum die Handlung und die Verortung von „Nightsiren“ (OT: „Svetlonok“, etwa „Helle Nacht“) schnell als genrerisch, also genreüblich abtun, aber das mag für viele Horror- und Mystery-Thriller gelten. Die Angelegenheit entwickelt sich schnell zu einer beklemmenden Folk-Horror-Sache. Das ist dann schon wieder spezieller und geht eher auf alte Mythen, Aberglauben und Sektierertum ein.

„Wenn die Nacht am tiefsten ist“ (Ton, Steine, Scherben)

Es gibt einen Haufen packender Folk-Horror-Filme, angefangen mit Robin Hardys „The Wicker-Man“ von 1973, der ein eher unrühmliches Remake verpasst bekam. Aktuell wird „Nightsiren“ von vielen Kollegen gerne in der Nähe zu Ari Asters („Beau is Afraid“) „Midsommar“ oder Robert Eggers „The Witch“ gestellt, wenngleich da noch ein wenig Klasse und Budget fehlen.

Allerdings ist die Art von Grusel- oder Schockwirkung auf die es hinausläuft eine andere als in herkömmlichen Horrorthrillern. Schrilles Geigenfiepen wird das Publikum hier ebenso vermissen wie Springteufel und Hackebeile. Statt dessen wird die Stimmung sorgsam aufgebaut und mit ruhigen Sounds und fotogen unausgeleuchteten Schatten angefüllt. Dann wieder kontrastieren derbe, brutale Alltäglichkeiten in des Tages Licht das Geschehen. Da werden Kinder geschlagen, Gänse geschlachtet, Frauen nebenbei im Stall besprungen und immer wieder behauptet, man sei unter anständigen, gläubigen Leuten.

Ein bisschen aus der Zeit gefallen wirkt dieses Ambiente schon. Die trashige Schwarzbrenner-Szene der US-amerikanischen Appalachen hat es immerhin zu Doku-Soap-Ruhm („Moonshiners“) geschafft. Wenn es um rumänische Klosterdramen („Jenseits der Hügel“) geht, wird solche arthausige Abgeschiedenheit abgefeiert und das albanische Drama „Luanas Schwur“ hat ähnliche traditionsverhaftete Frauenfeindlichkeit jüngst auf andere Art thematisiert. Insofern muss das Publikum sich wohl einlassen, auf diese Gegend, diese Leute und diese Geschichte.

„Burning Down the House“ (Talking Heads)

„Nightsiren“ spielt nicht mit der Rückständigkeit, sondern zeigt eine klare kausale Verbindung von früherer Hexenjagd zu heutiger Ausgrenzung selbstbestimmter Frauen, die ihre traditionellen Rollen verlassen. Und da hat Šarlota einiges zu bieten. Die Krankenschwester hat ein Kindheitstrauma zu bewältigen und ist nicht nur wegen der Erbschaftsangelegenheiten hier in der hohen Tatra aufgetaucht, sondern auch, um vor ihrer gerade beendeten Beziehung wegzulaufen.

Immer wieder tauchen Wolf und Schlange in dem Wäldern um das Dorf herum auf. Stellen Šarlota bedrohlich oder begleitend, immer auch als Symbole und immer auch mit einem Touch von naturreligiösem Erleben. Von den dunstverhangenden Lichtungen klärt sich die Sicht über die Täler und Bergspitzen erst mit der aufgehenden Sonne. Bis dahin ist noch viel Nacht zu überstehen.

Die Art von Film lebt von der Atmosphäre und „Nightsiren“ weiß von der ersten Minute an zu fesseln und baut die Stimmung langsam auf. Die eindrucksvolle Landschaft ist ebenso imposant in Szene gesetzt wie die beklemmende, feindliche Stimmung in dem Bergdorf, wo die Zeit im Mittelalter stehen geblieben scheint, inclusive prügelnder Kerle, keifender Waschweiber und bigottem Aberglauben.

Film-Wertung: 7 out of 10 stars (7 / 10)

Nightsiren
OT: Svetlonok
Genre: Horror, Drama
Länge: 106 Minuten, Sk, 2022
Regie: Tereza Nvotová
Darsteller:innen: Natalia Germani, Eva Mores, Juliana Olhová
FSK: ab 16 Jahren
Vertrieb: Busch Media, Alive
Kinostart: Nicht in Deutschland
Digital-VÖ: 26.05.2023
DVD- & BD-VÖ: 26.05.2023