Die purpurnen Flüsse – Staffel 2: Moderne Exorzismen

Wie sich gezeigt hat, ist der grantelige Kommissar Pierre Niemans serientauglich. Das liegt auch an seine Partnerin Camille Delauny. Zusammen sind die beiden jedenfalls ein äußerst erfolgreiches Team, wenn es in Frankreich um abstruse Mordfälle geht. Auch die zweite Staffel der französisch-belgisch-deutschen Koproduktion, die beim ZDF als Montagskrimi läuft, hat es in sich und weiß mit hohem Spannungsfaktor zu fesseln. Edel Motion veröffentlicht die zweite Staffel von „Die purpurnen Flüsse“ nun für das klassische Home-Entertainment auf DVD und Blu-ray.

Serienneulinge und Neugierige seinen beruhigt, man kann die zweite Staffel der Krimi-Serie ohne jegliches Vorwissen genießen. Wie bereits in dem erfolgreichen Thriller „Die purpurnen Flüsse“ (2000) mit Jean Reno, werden die Ermittler nicht lange etabliert, sondern tauchen immer direkt vor Ort auf, wenn irgendwo in Frankreich seltsame Morde geschehen. So kommt man auch rum und Niemans Dienstwagen ist zwar immer noch ein schicker Volvo, aber nun ein SUV.

Der Serienaufbau ist ebenfalls quereinsteiger-freundlich. Die zweite Staffel besteht wie die erste aus acht Folgen, von denen jeweils zwei einen abgeschlossenen Fall ergeben, der so auf 100 Minuten Spielfilmlänge kommt (der Film wurde dann im ZDF ausgestrahlt). Das Prinzip ist bekannt und wird gerade bei britischen Produktionen gerne verwendet. Für das Home-Entertainment ist das insofern interessant, weil die ursprüngliche Episodenfolge eingehalten wird und nicht das Spielfilmformat der TV-Ausstrahlung. Genug der Vorrede, nun geht es an die Fälle.

Alte Riten im Jungbrunnen

Zunächst schickt das Pariser „Zentralbüro für Gewaltverbrechen“ Commandant Niemans (Olivier Marchal) und seine Lieutenant Camille Delauny (Erika Sainte) zu einem seltsamen Ritualmord. In „Zum Sterben schön“ (OT: „Innocentes“) wird in der luxurösen Schönheitsklinik Clinagen eine Patientin tot aufgefunden. Sie wurde wie bei früheren Hexenprozessen geschoren, aufgehängt und mit einem seltsamen Symbol geritzt.

Die Klinikleiterin Professorin Vialle (Christiane Paul) will den Klinikbetrieb ohne Störungen weiterlaufen lassen und verdächtigt einen herumlaufenden Psychopathen. Währenddessen graben Niemans und Delauny weiter. Im Bergdorf, das wirtschaftlich von der Klinik abhängig ist, benehmen sich nicht nur die Jugendlichen seltsam. Und dann stößt Camille tatsächlich auf Spuren eines Hexenkultes.

Es gelingt der zweiten Staffel von „Die purpurnen Flüsse“ mit dem Auftaktfall schnell die Zuschauer in den Bann zu ziehen. Der Auftakt zaubert eine ebenso mysteriöse wie düstere Stimmung hervor. Diese moderne Frankenstein-Variation gefällt mit eigenwilligen Dorfbewohnern und einigen unvorhergesehenen Wendungen. Die Auflösung kommt dann eher ruppig ums Eck und lässt bei der Durchführung der Morde einige Fragen offen. Auch scheint es in der zweiten Staffel etwas blutrünstiger zuzugehen als bislang. (6/10)

Kreuzritter und Kirchenräuber

Erneut werden Camille und Niemans zu einen Ritual-Mord gerufen, dieses mal in die strukturschwache nordfranzösische Region nahe der Belgischen Grenze. In „Zeit der Bestrafung“ (OT: „Furta Sacra“) deutet alles auf ein satanistisches Verbrechen hin: ein Priester wurde an eine auf dem Kopf stehendes Kreuz geschlagen. Zudem wurden auch noch Reliquien aus der Kirche gestohlen. Der Provinzpolizist Courroyer (Marc Riso) macht zunächst nicht den hellsten Eindruck. Weder trifft er sich mit den Ermittlern am Tatort, noch gibt es am Treffpunkt irgendwas Fall-Relevantes zu sehen. Die Diözese ist schnell mit einem Anwalt vor Ort. Die Kirche weist weit von sich, dass der Tote ein Pädophiler war oder dass hier Satanisten am Werk waren. Ein weiterer Mord führt Camille und Niemans dann auf eine andere Spur.

„Zeit der Bestrafung“ ist clever konstruiert und mit hohem Tempo inszeniert. Die wendungsreiche Geschichte offenbart aber auch einige leichte Schwächen was den Ermittlungsverlauf anbelangt. Selbstredend ist die polizeiliche Fußarbeit nicht gerade fotogen, aber es ist schon erstaunlich, mit welcher Geschwindigkeit sich Niemnans Detailwissen aneignet und scheinbar urplötzlich eine neue Spur aus dem Hut zaubert. Das ist zwar resolut vorgetragen, aber für Zuschauer:innen nicht immer nachvollziehbar. Aber auch dieser Fall weiß wieder mit finsteren Schauwerten und geradezu kongenialen Locations zu gefallen. (7/10)

„Die Wiege des Voodoo“

Kids lassen in „Das Ritual“ (OT: „Kenbaltyu“) ihre Dronen in einer verlassenen Fabrikhalle um die Wette fliegen. dabei stoßen sie auf den ausgeweideten und inszeniert abgelegten Leichnam eine jungen Farbigen. Für die Kleinstadt mit hoher Arbeitslosigkeit und einen halb-legalen Migrantenlager ist so ein Leichenfund sozialer Sprengstoff. Niemans trifft auf einen alten Kollegen, der ihm erst einmal klar macht, dass die Polizei im „Dschungel“ genannten Lager nicht eingreift und auch selten hineingeht. Nun geht Camille, getarnt als ehrenamtliche Helferin, in den quasi rechtsfreien Raum. Dort stößt sie auf Ablehnung, sobald sie nach dem seltsamen Zeichen auf der Stirn der Leiche fragt.

Das Zeichen ist einem alten, fast vergessenen afrikanischen Dämon namens „Kenbaltyu“ zugeordnet, der von Menschen Besitz ergreift um andere zu bestrafen. Schnell verlieren sich die Ermittler im Dunstkreis von Voodoo, Zauberei und Schlepperbanden. Auch wenn es Niemans und Delauny erneut mit einem „Ritualmord“ zu tun haben, so ist der dritte Fall für mich der Höhepunkt der Staffel.

Das Migrantenlager wirkt sehr authentisch ausgestattet und die Lage in einem ehemaligen Gewerbegebiet, also einer Industriebrauche ist ebenso realistisch wir trostlos gewählt. Die Story haut vielleicht vielleicht ein paar reißerische Elemente zuviel heraus. Und der selbsternannten Lager-Iman, der der Terror-Gruppe Boko Haram nahestehen soll, ist ein allzu offensichtlicher Bösewicht. Dennoch: die Grundspannung ist hoch und Camilles Undercover-Einsatz sorgt für ziemlich viel Action. (7/10)

Fingerabdrücke und DNS

Abschließend in „Das Geheimnis des Blutes“(OT: „La Lignée de Verre“) wird es für Camille persönlich. Sie hat ohnehin schon Stress mit ihrem gerade erwachsenen Sohn Leo (Audran Cattin), als der einen sehr abstrusen Neustart hinlegt. Vor Jahren wurde in Lyon der zwölfjährige Sohn der adeligen Familie Montferville entführt und nie wieder aufgefunden. Nun sitzt er vor dem Tor des Schlosses und sorgt bei Mutter Caroline Montferville (Claude Perron) für verzückte Zustände.

Als Camille und Niemans der Sache ein Ende bereiten wollen, werden sie nicht nur von der Familie, sondern auch von der örtlichen Polizei daran gehindert, auch weil sich Camille aufführt wie eine Furie. Sie versucht verzweifelt Kontakt zu ihrem gut abgeschirmten Sohn aufzunehmen. Währenddessen tut Niemans, was er am besten kann, und ermittelt in der Vermisstensache. Doch in dieser Gegend scheinen Leuten wild um sich zu schlagen, wenn man ihnen zu nahe kommt.

Mit dem Abschlussfall der zweiten Staffel ist die Serie wieder bei ihrem ursprünglichen Thema angekommen, den purpurnen Flüssen, den Adern des Körpers, dem Lebenssaft Blut. Die persönliche Verwicklung sorgt für eine andere emotionale Note in dem Thriller, der die Dekadenz des alten Adels und die Schwierigkeiten der Erziehung wirkungsvoll aufbauscht. (6/10)

Steigerung der Effekte

Insgesamt scheint diese zweite Staffel etwas schwächer, oder anders formuliert: etwas weniger ausgefeilt, ausgefallen zu sein als der Serienauftakt. Einiges ist recht marktschreierisch und vom Schema gehen drei der Fälle als „Ritualmord“ los. Wobei auch die inhaltliche Ausrichtung schnell klar ist: Übersinnliches ist dazu da, ganz diesseitig und faktisch aufgeklärt zu werden. Egal wie viele Dinge es zwischen Himmel und Erde gibt. Für Esoterik ist bei Niemans kein Platz.

Das ist vor allem den Drehbüchern geschuldet, die häufig abrupt wirken, oft auf Gezeter an Stelle von Dialogen setzen und vor allem auf temporeiche Handlungsverläufe ausgerichtet sind. Dazu kommt bei den Morden auch immer Gratwanderung zwischen ernsthaften Auslaoten eines Milieus und blutrünstiger Sensationsgier, die mir bislang nicht aufgefallen ist. Vielleicht mag das mit dem Produktionstempo zusammenhängen, eventuell mit den Koautoren, die die Skripte für den Hauptautor und Ideengeber Jean-Christophe Grangé ausformulieren.

Der purpurne Look

Optisch hingegen sucht die Serie ihresgleichen, es ist dem Produzenten und Machern tatsächlich gelungen einen eigenen Serien-Look zu kreieren. Der ist zwar an den des ursprünglichen Thrillers angelehnt, wird aber wesentlich durchstrukturierter und durchgehender inszeniert. Da sind die eindrücklichen Landschaften, die man eigentlich auch mal besuchen könnte, wenn nicht gerade ritualgemordet und gemetzelt wird. Und auch die starken Gebäude und Kulissen, die immer wieder aufs Neue einen Grad des Verfalls zeigen, der durchaus symbolisch für den Zustand einer Gesellschaft ist, die solche Gewalttaten hervorbringt.

Auch wenn die zweite Staffel der düsteren Thriller-Serie „Die purpurnen Flüsse“ deutlich reißerischer und bisweilen schematischer ausgefallen ist als in der vorausgegangenen Saison, sollten Fans und Liebhaber spannungsgeladenen Thriller auf ihre Kosten kommen. Bildstark und mit eigenwilligen Ermittlern behauptet „Die Purpurnen Flüsse“ seinen eigenständigen Platz unter den modernen Krimi-Serien. Fortsetzung folgt.

Serien-Wertung: 6 out of 10 stars (6 / 10)

Die purpurnen Flüsse – Staffel 2
OT: Les rivières pourpres – Saison 2
Genre: Thriller, Krimi, TV-Serie
Länge: ca. 400 Minuten (8 x 50 Minuten), D/B/F, 2020
Idee: Jean-Christophe Grangé (auch literarische Vorlage & Drehbücher)
Regie: Ivan Fegyveres, David Morley et al.
Darsteller: Olivier Marchal, Erika Sainte, Christiane Paul,
FSK: ab 126 Jahren,
Vertrieb: Edel Motion, ZDF Enterprises
DVD- & BD-VÖ: 04.12.2020
Auch als Video on Demand (VoD) erhältlich.