Wege übers Land: Der Zukunft zugewandt

Mag sich kaum noch einer daran erinnern, dass Deutschland mal zweigeteilt war. Filmschaffen aus der DDR wurde in der BRD nicht beachtet und auch seit der deutschen Einheit versteckten sich viele Formate in den Landesprogrammen und auf rändlichen Sendeplätzen. In der Reihe DDR TV-Archiv veröffentlicht Studio Hamburg Filme und Serien aus der DEFA-Produktion. So auch im November 2021 die Wiederveröffentlichung des fünfteiligen „Fernsehromans“ „Wege übers Land“. Die Serie von 1968 hat auch heute noch viel zu bieten.

Normalerwiese würde ich an dieser Stelle zuerst die Handlung darlegen und dann auf das Filmische und Gesellschaftliche der Serie eingehen. Eine grobe Verortung scheint mir allerdings angerbracht bei einer Serie, die bereits mehr als 50 Jahre auf dem Buckel hat. Autor Helmut Sakowski („Daniel Druskat“)hat diese Serie extra für das Fernsehen geschrieben, daher die im Vorspann verwandte Bezeichnung „Fernseh-Roman“.

Später ist die Geschichte der Magd Gertud auch als Roman in Buchform erscheinen und wurde 2005 noch einmal im Aufbau Verlag veröffentlicht. An Gertruds Schicksal lassen sich sowohl die Kriegsjahre als auch die Gründungszeit der DDR veranschaulichen. Helmut Sakowski hat wie viele sozialistische Autoren oft aus der Sicht des einfachen Volkes erzählt, so auch in „Wege übers Land“.

In Sachen Serienformat ist „Wege übers Land“ mit seinen Episodenzeiten sehr frei umgegangen und daher wurde die ursprünglich 5-teilige Serie später auch schon Mal in sechs Episoden aufgeteilt, die dann ähnliche Ausstrahlungslänge gewährleisteten. Außerdem muss noch erwähnt werden, dass die DVD-Box beim Studio Hamburg Enterprises eine Wiederveröffentlichung ist. Die Rechte für das Fernseharchiv der DDR lagen zuvor bei Telepool, wo auch die regelmäßig DDR-Filme und –Serien veröffentlicht wurden. „Wege übers Land“ ist in identischer Ausstattung bereits 2010 erschienen. Nun aber zur Handlung. Anschließend noch mehr zu Qualität der Serie.

Die Serien-Handlung

Das Dorf Rakowen in Mecklenburg im Jahr 1939: Die junge Magd Gertrud Habersaat (Ursula Karusseit) beim Großbauern Jürgen Leßtorff (Armin Müller-Stahl) in Stellung. Der verwitwete Bauer hat ihr die Ehe versprochen, doch dann kommt der Polenfeldzug dazwischen. Nun kündigt sich Leßtorffs Rückkehr an und Gertrud gibt dem nationalsozialistischen Bauernsohn Emil Kalluweit (Erik S. Klein) zunächst einen Korb, als der sie nach einer Heirat fragt.

Doch Leßtorff will von seinem Versprechen nichts mehr wissen und verkehrt nun mit der Gräfin Palvner (Angelika Domröse). Hier lernt der Großbauer auch den Generalgouverneur für die polnischen Gebiete kennen, Hans Frank. Nach dem flotten Polenfeldzug sollen Deutsche die zurückgewonnenen Ostgebiete bewirtschaften und die polnischen Bewohner zukünftig als Wanderarbeiter im Reich dienen.

Auch Kalluweit hat sich um einen Hof im Osten bemüht und Gertrud willigt schließlich doch in eine Heirat ein. Am Tag der Hochzeit kommt es anderweitig zu Aufregung: Ein Polizeitransport mit politischen Gefangenen ist in der Gegend überfallen worden. Mit dabei war auch der Maschinenschlosser und Kommunist Willi Heyer (Manfred Krug), der selbst erst seit einigen Wochen wieder auf freiem Fuß ist und dessen Frau gerade verstorben ist.

Die Jahre in Polen

Gertrud und Emil ist in Polen kein Glück beschieden. Die deutschen Besatzer gehen bestialisch mit den Einheimischen um. Der Hof den Kalluweit bekommen soll ist bei seiner Ankunft noch nicht einmal geräumt. Der Offizier Schneider beruhigt die Neuankömmlinge. Am Bahnhof wird Gertrud Zeugin einer Verschickung und steht plötzlich mit einem fremden Kind da, dessen Eltern im Transportzug sind.

Weil das fremde Kind keine Papiere hat, reist Gertrud nach Krakau, wo Leßtorff ein landwirtschaftliches Amt innehat und bittet ihn um Papiere für das Kind. Im Tausch muss sich die ehemalige Magd um ein weiteres Kind kümmern. Zurück auf dem Kalleweit‘schen Hof, verabschiedet sich ihr Ehemann Emil. Er hat sich von dem Neuanfang im Osten und der Heirat mehr versprochen. Doch den Ausschlag sich an die Front zu melden, gibt SS-Offizier Schneider, der Kalluweit zu den Exekutionskommandos verdingen will. Willi Heyer, der in Polen in einem KZ einsitzt, gelingt die Flucht, weil die Genossen einen polnischen Professor retten wollen, den Willi begleiten soll.

In den Kriegswirren verliert auch Gertrud alles. Auf dem großen Flüchtlingsteck, der vor der Roten Armee nach Westen zieht, verliert sie auch den Rest an Hab und Gut. Dafür drückt ihre ein Rotarmist einen frierenden Säugling in den Arm. Und so kommt Gertrud Monate später völlig mittellos wieder im Mecklenburgischen Rakowen an.

Aufbau

Auch Willi Heyer kehrt ins ländliche Mecklenburg zurück. Als neuer Bürgermeister versucht er Rakowen von alten Nazis und Sympathisanten zu befreien. Doch auch der Hunger und der Mangel in den ersten Jahren nach dem Krieg machen dem Bürgermeister zu schaffen. Gertrud, die sich lauthals über die Zustände beschwert, bringt den Bürgermeister zum Handeln.

Der Aufbau der sowjetische Besetzen Zone (SBZ) zur Deutschen Demokratischen Republik (DDR) ist schwierig und nicht alle sind zu überzeugen, dass Kommunismus und Planwirtschaft die richtigen Ansätze für eine bessere Gesellschaft sind. Willi Heyer hat viel zu tun, während sich Gertrud vor allem um ihre eigene Hofstelle kümmert und zusieht, wie die heranwachsenden Kinder langsam flügge werden.

Das Serienformat

Insgesamt umfasst der großartig besetzte Fernsehroman „Wege übers Land“ eine Zeitspanne die von 1939 bis etwa 1953 geht, als es in der DDR darum geht Fortschritt in die Landwirtschaft zu bringen, oder anders gesagt Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaften (LPGs) zu gründen. Entstanden allerdings ist die Serie erst 1968 also nicht aus der direkten Auseinandersetzung mit der Gegenwart, sondern als historisches Drama-Format. Ein wichtiger historischer Einschnitt zwischen Ende der Serienhandlung und Entstehung des Drehbuchs war der Bau der Berliner Mauer 1961.

Ausgestrahlt wurden die fünf Teile der Serie in einer Woche im September 1968. Teil 1 behandelt die Stimmung in Rakowen nach dem Polenfeldzug 1939 und endet mit der Hochzeitsfeier von Gertrud und Emil. Dafür nimmt sich die Serie 85 Minuten Laufzeit. Anschließend spielt der 2. Teil ausschließlich in „zurückeroberten“ Ostgebieten und macht in 112 Minuten die Greuel und das Unrecht der Besatzer deutlich.

Teil 3 setzt im Winter 44/45 ein und zeigt Gertrud auf der Flucht, ihre Ankunft in der mecklenburgischen Heimat, Entnazifizierungsbemühungen und den ersten Aufbau. Mit 121 Minuten ist dies der längste Teil der Serie. Bei späteren TV-Ausstrahlungen, in denen sechs Teile ausgestrahlt wurden, machten die Programmverantwortlichen aus Teil 2 und 3 die rund siebzigminütigen Teile 2 bis 4.

Teil 4 überspringt dann wieder einige Jahre und setzt 1953 ein. Immer noch sind Gertrud Habersaat und Willi Heyer die Hauptfiguren der Erzählung, aber das Handlungsmoment geht auch schon auf die junge Generation über. Gertruds Kinder wollen selbst etwas erleben. Organisatorisch klappt noch nicht alles in der jungen DDR. Dafür nimmt sich die Serie 57 Minuten Erzählzeit.

Der abschließende 5. Teil dauert 70 Minuten und erzählt letztlich von den erfolgreichen gesellschaftlichen Umgestaltungen. Wieder wird in Rakowen geheiratet. Ein versöhnliches Ende für die Dorfgemeinschaft und die Held:innen der Arbeit.

Historische Darstellung und sozialistische Weltanschauung

Zentralbild-DEFA frie 24.9.68 Berlin: „Wege übers Land“ – Szenefoto

Auch wenn die letzten beiden Episoden des Serienformats „Wege über das Land“ allerlei geschwurbelte sozialistische Propaganda enthält und die kommunistische Idee auf objektive Wissenschaft und Produktivität gründet und die Liebe in eine Form der proletarischen Kameradschaft verwandelt, ist die Serie von 1968 herausragend. Sicher lässt sich an der theatherhaften Austattung der Innenräume und den bisweilen arg dramatisch vorgetragenen Dialogen ebenso herumkritteln wie an den Belehrungsbemühungen der Serienmacher, die vor allem im letzten Drittel überdeutlich durchschlagen. Aber all das fällt wenig ins Gewicht, weil die Serie eben auch eine starke historische Darstellung der Heimatfront in der Kriegszeit anbietet. Und zwar aus einer selten gezeigten Perspektive, jener der armen arbeitenden Landbevölkerung.

Darin zeigt „Wege übers Land“ vielleicht Parallelen zu Hans Falladas „Wolf unter Wölfen“ vor allem aber steht der „Fernseh-Roman“ ganz in der Tradition des 1928 gegründeten „Bund proletarische-revolutionärer Schriftsteller“ (BPRS), aber auch der realsozialistischen Erzähltradition. Die ersten drei Kapitel der Serien-Erzählung, vor allem die Zeit in Polen, leisten etwas, was im bundesdeutschen Film-und Fernsehschaffen schlicht nicht erzählt wurde.

„Heim ins Reich“

Die Hofnahme in Polen wird hierzulande weithin geschichtlich und politisch selten thematisiert. Dabei wurden auch all jenen Deutschstämmigen, die „Heim ins Reich geholt wurden“ zwischenzeitlich auch in den Ostgebieten zur Bewirtschaftung herangezogen. Die Versprechungen, die Ernüchterung, das Unmenschliche „vom Hof jagen“, die tödlichen Transporte werden in Folge 2 von „Wege übers Land“ ebenso bildstark wie dezent und in der deutschen Fernsehgeschichte auf einmalige Weise dargestellt. Der Generalgouverneur Hans Frank ist übrigens eine historische Figur.

Die Szene am Bahnhof ist dramaturgisch und logistisch herausragend und bei allen Abstrichen an sonstiger Ausstattung und verfügbaren Fernsehbudget, ganz großes Kino. Vielleicht hat sich der große polnische Filmmacher Andzej Wadja in seiner Inszenierung des Massakers von „Katyn“ dieser Szene erinnert und sie als Inspiration genutzt. Ich jedenfalls erkenne Ähnlichkeiten. Und dabei gelingt es der Serie „Wege übers Land“ jederzeit ohne explizite Darstellung auszukommen. Greueltaten werden angedeutet aber nicht gezeigt, weshalb die FSK-Freigabe ab 6 Jahren absolut gerechtfertigt ist, aber nicht bedeutet, dass Kinder die Serie ohne Erklärungen sehen sollten.

Der Charme des Landlebens

Darüber hinaus hat die Serie Charme und Humor, die sich rustikal über die Jahrzehnte gerettet haben. Das liegt auch an den großartigen Darstellern. Mag man Christa Lehmann als Gertrud Mutter einen gewissen Bühnentonfall abhören, so wirkt Erik S. Klein als Emil Kalluweit wie eine Perfekte Verkörperung seiner kleinbürgerlichen Rolle. Auch Armin Müller-Stahl und Manfred Krug, die beide im Nachgang der Biermann-Ausbürgerung die DDR verlassen haben, spielen großartig auf. Das frühe Filmschaffen der beiden wird nach wie vor zu selten gewürdigt.

Hauptdarstellerin Ursula Karusseit, die 2019 verstarb und jahrzehntelang als Charlotte Gauss „In aller Freundschaft“ (1998 – 2019) zu sehen war, würde für ihre Darstellung in „Wege übers Land“ wie das ganze Kollektiv ausgezeichnet. Ihre rustikale aber mitfühlende Art als Gertrud trägt die Serie auch durch ihre Untiefen.

Im Grunde genommen nimmt „Wege übers Land“ vorweg, was der westdeutsche Autorenfilmer Edgar Reiz in seiner TV-Serie „Heimat –Eine Chronik in elf Teilen“ über ein Dorf im Hunsrück meisterhaft erzählt. Und dann mit „Heimat 2“, „Heimat 3“ und „Die andere Heimat“ fortschreibt und variiert. Vielleicht ist „Wege übers Land“ nur eine weitere deutsche Heimatserie, aber dass Gertruds Schicksal neu heute zu fesseln weiß, zeugt von großer Erzählkunst. Aus der Zeit heraus ist „Wege übers Land“ ambitioniert und ziemlich einzigartig.

Serien-Wertung: 8 out of 10 stars (8 / 10)

Wege übers Land – Ein Fernsehroman in 5 Teilen
OT: Wege übers Land
Genre: TV-Serie, Drama, Historisches
Länge: ca. 444 Minuten, DDR, 1968
Regie: Martin Eckermann
Idee: Helmut Sakowski
Darsteller:innen: Ursula Karusseit, Armin Müller-Stahl, Angelica Domröse, Manfred Krug
FSK: a 6 Jahren
Vertrieb: Studio Hamburg (Reihe: DDR-TV-Archiv)
TV-Erstausstrahlung: 22.09.1968 in der DDR
DVD-VÖ Erstveröffentlichung: 2010
DVD-VÖ Wiederveröffentlichung: 19.11.2021