Der Pass – Staffel 1: …will auch immer artig sein.

Freunde hochwertiger TV-Serien dürfen sich inzwischen immer öfter auf deutsche Eigenproduktionen freuen. Vor allem Sky Deutschland sorgte mit den aufwändigen Koproduktionen „Babylon Berlin“ und „Das Boot“ für sehenswertes Serienfutter. Nun wird mit „Der Pass“ eine weitere Serie auf DVD und Blu-ray veröffentlicht, die nicht nur bei Sky lief, sondern auch im ZDF als Sonntagskrimi ausgestrahlt wurde. Ausgerechnet bei der deutschen liebstem Genre – Krimi- muss der Zuschauer ein bisschen Geduld aufbringen, bis „Der Pass“ ein furios finsteres Eigenleben entwickelt.

Für den österreichischen Kommissar Gideon Winter (Nicholas Ofczarek) sind die Zuständigkeiten bei diesem Mordfall schnell geklärt: Sollen die deutschen Kollegen das Tötungsdelikt doch aufklären. Winter hat keinen Bock, sich an diesem winterlichen Gebirgspass den Hintern abzufrieren. Er überlasst der Kollegin Ellie Stocker (Julia Jentsch) den Fall gerne. Doch die Leiche mit dem seltsamen Pferdeschweif in den Händen wurde nicht nur direkt auf der deutsch-österreichischen Grenze abgelegt, es gibt auch in beiden Ländern Spuren zu dem Fall. Notgedrungen wird der lustlose Herr Kommissar in die flugs gebildete Sonderkommission geschickt.

Während sich Winter extrem desinteressiert gibt, sieht die junge deutsche Kommissarin hier ihre Karrierechance. Doch schon bald tauchen weitere zur Schau gestellte Tote auf. Der Mörder wird von der Presse schnell der „Krampus-Mörder“ genannt; nach seinem Vorgehen, das wie eine Bestrafung wirkt. Vor allem der Reporter Charles Turek (Lukas Gregorowicz) hängt an dem Fall, da der Mörder direkt mit ihm Kontakt aufgenommen hat. Trotz mühseliger Polizeiarbeit bleiben Ermittlungserfolge aus und der Druck auf die Kommissare wird größer. Doch Winter hat eigentlich ganz andere Angelegenheiten zu regeln.

Zuständigkeiten und Bocklosigkeit

Es scheint ein kluger Schachtzug der Endemol Produktionsfirma gewesen zu sein, sich die Krimi-Idee zu dem Thriller-Hit „Die Brücke“ (2011) quasi schützen zu lassen. Nun muss scheinbar jede Krimi-Serie, deren Leiche auf irgendeiner Grenze liegt und die binational ermittelt, erwähnen, dass man sich von dieser Idee inspirieren ließ. So auch „Der Pass“. Und gerade in der ersten Folge wirkt die deutsch-österreichische Produktion noch wie eine hölzerne Kopie. Eine Kopie, die sich bemüht mit überzeichneten Polizisten-Charakteren künstlich interne Spannung zu erzeugen.

Da es in „Der Pass“ zunächst auch um die Laufarbeit der Ermittler geht, bleibt außer der schaurig-düsteren Alpen-Atmosphäre wenig Herausragendes vom Serienanfang hängen. Dann wird in der dritten Folge auch noch die Identität des Mörders veröffentlicht und die Serie begleitet ihn über weite Strecken. So verliert der Thriller-geschulte Zuschauer vollends den Glauben an das Format. Doch dann geschieht Seltsames. Spätestens ab der vierten Folge mausert sich „Der Pass“ zu einem Thriller-Format, in dem jedes kleine Rädchen ineinander greift. Ein Format, das mit einer Abgründigkeit und desillusionierten Weltsicht in psychologische Tiefen vordringt, die Serien nur äußerst selten gelingen.

Wie es zu dieser Wandlung – oder besser neuen Bewertung – kommt, ist nicht leicht nachzuvollziehen. Meine These ist, dass ich mich beim Schauen zu sehr von dem Aspekt des vermeintlichen „Remakes“ einlullen ließ. Dabei dann nicht merkte, dass „Der Pass“ eigentlich auf etwas ganz anderes beabsichtigt als schlicht ein teurer, vollgepackter Umzugswagen für die „Brücken“-Idee in die Alpen zu sein.

Altes alpines Brauchtum herauszuwühlen ist immerhin schon mal ein Unterscheidungsmerkmal. Auch die Sky-Serie „Das Boot“ brauchte solche Distinktionsmerkmale. Neben dem düster malerischen Momentum, das die diabolischen Krampus-Masken hervorrufen, dient das Pass genannte Ritual vor allem dazu Doppeldeutigkeiten zu schaffen. Ebenso wie die scheinbar absurde Auftaktszene der Serie, als in gleißender Sommerhitze ein LKW geöffnet wird.

Immer wieder Rückschläge

Im Grunde genommen verstecken die Autoren und Regisseure Cyrill Boss und Philip Stennert hinter solchen verwirrenden Effekten das eigentlich Bedrohliche. Das Böse, das unsere Zeit so unwirtlich macht. Die Gefahr konstanter Überwachung, die anschwellende Macht falscher Propheten, die Willkür von Terrorakten und die Isolation des Individuums – letztlich die Auflösung der Gesellschaft.

Auch was das ungleiche Ermittlerduo anbelangt, geht „Der Pass“ seinen ganz eigenen Weg. Ohne dabei Länderklischees auszuwalzen oder allzu sehr an Stereotypen zu kleben. Obschon die Namen durchaus Programm sind – Stocker und Winter… Tatsächlich entwickeln sich die Polizisten zu Menschen, die etwas versuchen, immer wieder versuchen – und immer wieder Rückschläge auffangen müssen. Ein zermürbender Wettlauf, in dem der Mensch nur den Kürzeren ziehen kann.

Plötzlich beginnt man nicht nur zu verstehen, was die scheinbar naive Ellie Stocker antreibt. Man beginnt sich für die ehrgeizige, aber freundliche Polizistin zu interessieren, ebenso wie für den grantelnden Ex-Wiener, der auch in der Grenzprovinz um Salzburg nicht vor seinen Kontakten zur organisierten Kriminalität sicher ist. Beinahe animalisch reagiert der heruntergekommene, zwielichtige Nihilist aus reiner Existenznot. Selbst der so fürchterlich normale Täter, entwickelt eine Persönlichkeit, die eben nicht von der Krimi-Stange ist, sondern eigenwillig, mit Schwächen und Eitelkeiten und gehörigen Neurosen.

Spätestens seit „Das Schweigen der Lämmer“ (1991) weiß der Thriller-Fan, dass die Unauffälligen die Schlimmsten sind. Die netten Nachbarn. Jene, von denen nie jemand böse spricht, weil sie schlicht so unauffällig sind, dass sie unter dem Radar und der sozialen Kontrolle bleiben. Umso schwieriger ist es, einen solchen Täter überhaupt fesselnd darzustellen – sofern er denn mal ans Licht gezerrt wird. Und genau das tut „Der Pass“. Der Thriller zerrt den zwanghaften Psychopathen ins Rampenlicht. Dorthin, wo er sich so gerne wünscht, dorthin, wo er es aber im „richtigen“ Leben nicht aushält. Genau damit tauscht „Der Pass“ Thriller-Spannung gegen Suspense im Hitchcock‘schen Sinne. Wir sehen, wie das Böse in Gestalt von Gregor Ansbach (Franz Hartwig) plant, agiert – und oft genug die Oberhand behält.

Die erste Staffel der Thriller-Serie „Der Pass“ überrascht und verstört. Das ist so gut, man möchte glauben, der Mythos vom Krampus sei wahr. Glauben, der Brauch des Pass-Laufens habe auch in unseren Zeiten noch reinigende Wirkung und die Kollegen Stocker und Winter wären nicht artig gewesen.

Serien-Wertung: 8 out of 10 stars (8 / 10)

Der Pass – Staffel 1
Länge: ca. 480 Minuten (8 x 60), D/AUS 2018
Genre: TV-Serie, Thriller, Krimi
Regie & Idee: Cyrill Boss, Philip Stennert
Darsteller: Julia Jentsch, Hanno Kofler, Franz Hartwig, Nicholas Ofczarek
FSK: ab 16 Jahren
Vertrieb: Sky Deutschland, Eye See Movies, Alive
DVD- & BND-VÖ: 05.12.2019

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