Glauben: Wen es nichts mehr zu sagen gibt

Im November 2021 zeigte RTL+ die Miniserie „Glauben“ nach einem Originaldrehbuch von Bestseller-Autor Ferdinand von Schirach. Darin geht es um einen Missbrauchsprozess, der eine ganze Kleinstadt zerrüttet. Die mit Peter Kurth und Narges Rashidi großartig besetzte und von Constantin Film produzierte Mini-Serie erscheint nun im November 2022 bei OneGate auf DVD für das klassische Home-Entertainment.

Der Berliner Anwalt Dr. Richard Schlesinger (Peter Kurth) hat auch schon bessere Tage gesehen. Aktuell ist der Jurist mal wieder in Geldnöten und muss daher als Bereitschaftsanwalt auch Nachtschichten schieben. Seine neue Klientin soll ihren Ehemann erschossen haben. Alle Indizien sprechen gegen die Frau.

Schlesinger gilt als begnadeter Strafverteidiger. Doch er ist abgelenkt. Er schuldet chinesischen Kredithaien Geld und ist in Zahlungsverzug. Die Geldeintreiberin Azra (Narghes Rashidi) hält zwar hohe Stücke auf den Anwalt, der sie auch mal verteidigte, aber auf die Nuss gibt es trotzdem. Berufsethos.

Das Volksempfinden in den Mühlen der Justiz

Doch Azra bittet Schlesinger später nicht nur um einen Gefallen, sondern sie beauftragt ihn, einen Gastwirt zu verteidigen. Das Brisante daran ist, der Gastwirt ist in einem Missbrauchsskandal quasi als Drahtzieher angeklagt. Der Kindesmissbrauch in der Kleinstadt Ottern hat enorme Kreise gezogen. Mehr als zwanzig Personen sind des systematischen Missbrauchs angeklagt. Der Prozess wurde von dem Gericht in drei eigenständige Verfahren aufgeteilt. In allen übernimmt der junge, ambitionierte Staatsanwalt Cordelis (Sebastian Urzendowsky) die Anklage.

Als Schlesinger in Ottern eintrifft wird vor Gericht bereits seit acht Monaten wegen der Angelegenheit verhandelt. Der Prozess gegen den Gastwirt soll der abschließende sein. Azra und Schlesinger treffen in Ottern auf eine polarisierte Bevölkerung und Schlesinger wird ablehnend empfangen, weil er Kinderschänder vertritt. Doch schon bald fallen dem Anwalt die dünne Beweislage und erstaunliche Vorgehensweisen auf. Die aufgeheizte öffentliche Meinung macht es nicht einfacher, einen kühlen Kopf zu behalten.

„Wissen sie warum es die sozialen Medien gibt? Die Menschen halten nicht aus still zu sein, wenn es nichts mehr zu sagen gibt.“ (Schlesinger)

Jurist und Bestseller-Autor Ferdinand von Schirach widmet sich mit Vorliebe juristischen Sujets („Der Fall Collini“) und moralischen Fragen von gesellschaftlicher Tragweite („Terror –Ihr Urteil“). Auch in „Glauben“ geht es um einen realen Vorfall: Die Wormser Prozesse. Darin wurden von 1994 bis 1997 in großem Umfang Anklagen wegen Kindesmissbrauchs verhandelt, die schließlich mit dem Freispruch aller Angeklagten endeten.

Die Wormser Prozesse gelten als einer der größten Justizskandale der deutschen Nachkriegsgeschichte. Ein Angeklagte nahm sich in der U-Haft das Leben und von den betroffenen Kindern wurden viele erst missbraucht, als sie in der Folge in Heime verbracht wurden. (erste Infos dazu liefert der Wikipedia-Eintrag)

„Nichts mit Kinder?“

Doch die fiktive Handlung in Ottern in der Mini-Serie „Glauben“ ist eben nicht das reale Worms. Viele Prozesselemente wurden übernommen, doch die Handlung wurde in die Gegenwart verlegt. Das hat zur Folge, dass die sozialen Medien eine andere, präsentere Rolle spielen. In ihrem Empörungsreflex entsteht eine Ebene gesellschaftlicher Vorverurteilung, die weit über das hinausgeht, was seinerzeit in den klassischen Medien reflektiert wurde.

Außerdem und vor allem, sind die Handlungselemente rund um den Otterner Prozess eingebettet, in eine Rahmenhandlung. Diese erzählt von einem ungewöhnlichen „Ermittlerduo“. Dieser „Fall für Zwei“ geht eben nicht in Rechtschaffenheit auf, sondern lebt von der dubiosen Aura der Geldeintreiberin. Deren Motive sich in dem Prozess einzuschalten bleiben unausgesprochen, werden nur angedeutet. Allerdings ist die wehrhafte Frau vor allem pragmatisch und weniger an Rechtsprechung interessiert. Das gibt dem ganzen Serienunterfangen eine „Dirty Harry“-Note, in der es durchaus vorkommt, das Gesetz in die eigene Hand zu nehmen.

Das hat selbstredend Auswirkungen auf die Zuschauer:innen-Sicht auf den ehemaligen Staranwalt. Peter Kurth ist immer sehenswert („Altes Land“, „Nebenan„) Wie rechtschaffen kann und wird Dr. Schlesinger agieren? Bleibt er ein integrer Verteidiger, oder gilt es noch Schulden zu bezahlen? Diese Zwiespältigkeit trägt sehr dazu bei, dass „Glauben“ so faszinierend ausgefallen ist. Die Dialoge der beiden gehören schon zu dem Besten was das Krimi-Genre jüngst so abgeliefert hat.

„Wir können doch niemanden verurteilen, nur weil wir empört sind.“ (Schlesinger)

Da nimmt das Publikum auch in Kauf, dass einige der kontroversen Themen wie aufgesagt wirken. Gerade das gegenseitige Monologisieren zwischen Kinderpsychologin beziehungsweise Staatsanwalt einerseits und Strafverteidiger andererseits fällt gelegentlich arg belehrend aus.

Abgesehen davon ist die Inszenierung mit ihrer eher kurzen Spielzeit zackig und auf den Punkt und die jeweiligen Episoden sind kurzweilig und ebenso klar und konzis, also knapp und gedrängt, wie das auch für Ferdinand von Schirachs Prosa gilt.

Es ist immer schwierig, wenn Fiktion von wahren Begebenheiten inspiriert ist. Das „Kunstwerk“ steht zwar für sich selbst, aber die Bezüge zur Realität müssen doch stimmig hergestellt werden. „Glauben“ gelingt dies in einigen Aspekten hervorragend, in anderen weniger überzeugend. Allerdings ist das Justiz-Thriller Format schon sehr erfrischend und der Anwalt und die dubiose Geldeintreiberin sind ein furioses Paar. Die Serie ist packende Abendunterhaltung.

Serien-Wertung: 7 out of 10 stars (7 / 10)

Glauben
OT: Ferdinand von Schirach: Glauben
Genre: TV-Serie, Drama, Justiz
Länge: 231 Minuten (ca 7 x 33), D, 2021
Regie: Daniel Prochaska
Drehbuch: Ferdinand von Schirach
Darsteller:innen: Peter Kurth, Katharina M. Schuber, Sebastian Urzendowsky, Narges Rashidi,
FSK: ab 16 Jahren
Vertrieb: One Gate
DVD-VÖ: 04.11.2022