Nebenan: Kneipenthriller

Ein bekannter Schauspieler hat auf dem Weg zum Casting noch etwas Zeit und trifft in der nahegelegenen Berliner Eckkneipe auf seinen unbekannten Nachbar. Das ist weniger erfreulich als es sein könnte. Daniel Brühl inszeniert sein Regiedebüt nach eigener Idee und einem Drehbuch von Daniel Kehlmann. Na dann Prost.

Daniel (Daniel Brühl) ist ein international gefragter Schauspieler, der mit seiner Familie in einem Berliner Loft lebt. Als er zu einem Casting nach London aufbricht, entschließt er sich kurzerhand, die Limousine wegzuschicken und später ein Taxi zu nehmen. Statt am Flughafen zu warten, geht Daniel das Vorsprechen in der Kneipe ums Eck seines Loft durch.

Doch so richtig zum Arbeiten kommt er nicht, denn am Tresen von Wirtin Hilde (Rike Eckermann) sitzt Daniels unbekannter Nachbar Bruno (Peter Kurth). Bruno ist ein alleinstehender Endfünfziger, der in der DDR aufgewachsen ist und so seine Probleme mit dem prominenten Nachbarn hat.

Daniel hat den Nachbarn, der im Hinterhaus auf derselben Etage wohnt, noch nie wahrgenommen, nimmt dessen Unfreundlichkeiten einfach als Neid entgegen. Doch nach und nach erstaunt es den Schauspieler, was der Nachbar so alles über ihn weiß. Was als blöde Kneipenpöbelei beginnt wird zu einem psychotischen Konflikt.

„Wollen Sie ein Autogramm?“ „Ja.“

Wer noch nie morgens in der Kneipe um die Ecke gesessen hat, fragt sich ja gelegentlich schon, wer sich da um diese Uhrzeit herumtreibt. Das Szenario in „Nebenan“ ist durchaus denkbar. Neben dem Faktotum, das vor sich hinbrabbelt, sitzt ein alteingesessener Stammkunde da, der eben morgens nach der Nachtschicht sein Feierabend-Bier genießt. Dann taucht noch der Yuppie im Viertel auf, der sich für bodenständig hält.

Dabei geht es in „Nebenan“ keineswegs um Gentrifikation, auch nicht um die innerdeutsche Vergangenheitsbewältigung und auch nicht um Klassenunterschiede. Es geht nicht um Milieustudien und auch nicht um eine Parodie auf die Filmbranche. Obwohl all das in „Nebenan“ thematisiert wird. Im Grunde genommen reden Bruno und Daniel ja auch die ganze Zeit nur.

„Haben Sie einen Stift? „Nein.“

Worum geht es dann eigentlich? Sicher gibt es mehrere Wege das schwarzhumorige Psychodrama zu sehen und je nachdem wo die Zuschauer gerade Anknüpfungspunkte finden, liegt wohl die eigentliche Thematik des Films verborgen. Für mich prallen in „Nebeneinander“ unterschiedliche Gesellschaftsphären aufeinander, die üblicherweise parallel existieren, ohne voneinander Notiz zu nehmen. Man lebt eigentlich aneinander vorbei; wäre da nicht die nervige Nachbarschaft. Was, wenn dadurch der gesamte Lebensentwurf in Frage gestellt wird?

Daraus ergibt sich ein Konfliktpotenzial, das insofern cineastisch ist, als dass das Stück, das Drehbuch und auch die typisierten Figuren vor allem Projektionsflächen sind. Denn was ist Film wahrhaftiger als eine Projektionsmöglichkeit der eigenen Sehnsucht?

„Haben Sie Papier?“ „Nein. Nimm doch die Serviette.“

Dem international gefragten Schauspieler Daniel Brühl kam die Idee zu dem Film aufgrund eigener Erfahrungen in der Branche und mit Fans. Der Autor Daniel Kehlmann („Die Vermessung der Welt“, „Ich und Kaminski“) hat daraus ein perfides Script gewoben, das auf sehr vielen Ebenen funktioniert und den Darstellern Brühl und Kurth („Gold“, „Herbert“) ein Schaulaufen ermöglicht, wie das immer seltener vorkommt.

Nuanciertes Spiel und überzogene Charakterisierung wechseln sich fließend ab und sorgen für konstante Spannung, die dann doch wieder nicht gelöst wird. Immer wieder scheint die Sache beendet, doch die Schraube wird nur weiter angezogen. Aber das mag jede:r selbst sehen.

„Deinen letzten Film fand ich auch nicht gut.“

Als Regiedebüt eines Schauspielers ist „Nebenan“ insofern eine sichere Sache, weil sich Set und Cast und Produktion überschaubar halten. Das war es dann aber auch schon mit der sicheren Wette. Die so wichtige Besetzung ist von Simone Bär, einer Meisterin ihres Fachs, bis in kleine Nebenrollen herausragend zusammengestellt. Ebenso wichtig ist es für das psychotische Kammerspiel, dass die Figur des Daniel für den Darsteller Daniel Brühl schon sehr persönlich ausgefallen muss, ohne dabei tatsächlich persönlich zu sein.

Die internationalen Blockbuster-Dreharbeiten sind da ein gelungenes Momentum, da Brühl in dem dritten „Captain America“-Film aus dem gigantischen Marvel-Comic-Franchise einen Bösewicht spielt. Etwas Derartiges schimmert in „Nebenan“ kurz auf, ist aber nicht als tiefgründige Kritik am System Hollywood ausgeführt.

Überhaupt nimmt „Nebenan“ wie bereits erwähnt viele Themen auf, ohne sie zu vertiefen. Was einige Kritiker:innen dem Film zum Vorwurf gemacht haben. Denn letztlich ist das oberflächliche Palavern nichts anderes als ein Ausdruck des klischeehaften Stammtischgelabers. Das ja so gerne herangezogen wird, wenn dem einfachen Mann von der Straße wieder aufs Maul geschaut wird, wenn er ausspricht, was man ja wohl noch mal sagen darf. Filmmission in „Nebenan“ also erfüllt. Hinreißende Mehrdeutigkeiten und Interpretationsebenen vorgetragen von tollen Schauspielern.

Das perfide Kneipen-Kammerspiel würde auch auf der Theaterbühne funktionieren. Dennoch zeigt der Regisseur Daniel Brühl ein Gespür für das Filmische der Situation. Allein den beiden großartigen Darstellern Daniel Brühl und Peter Kurth dabei zuzusehen, wie sie ihre Nicklichkeiten und Konflikte austragen ist ausgesprochen sehenswert.

Wertung: 7 out of 10 stars (7 / 10)

Nebenan
OT: Nebenan
Genre: Drama, Komödie
Länge: 90 Minuten, D, 2020
Regie: Daniel Brühl
Darsteller: Daniel Brühl, Rike Eckermann, Peter Kurth
FSK: ab 12 Jahren
Vertrieb: Warner, Amusement Park Film, Good Movies
Kinostart: 15.07.2021
DVD-VÖ: 15.09.2022