Altes Land: Knorrig wie windschiefe Obstbäume

„Wat de Buer nicht kennt, dat fret he nich‘!“ Man sagte landwirtschaftlich geprägten Landstrichen schon immer nach, sie wären leidlich konservativ und Neuem gegenüber eher ablehnend. Vor ein paar Jahren machte die Journalistin und Autorin Dörthe Hansen das „Alte Land“ südlich von Hamburg zum Schauplatz einer Familiengeschichte, die über mehrere Generationen erzählt wird. Nun hat Sherry Horman den unaufgeregten Roman ebenso bodenständig wie bildstark verfilmt. Neulich noch im ZDF, nun bei Pandastorm im Home-Entertainment als DVD.

Die junge Anne von Kampcke (Svenja Liesau) hat sich in den Kopf gesetzt, mit ihrem kleinen Sohn Leon bei ihrer Halbtante Vera Eckhoff (Iris Berben) einzuziehen. Die wortkarge Vera hat’s nicht so mit Menschen und die Mitbewohner passen ihr nicht in den Kram. Vor allem, weil dadurch ihre eigene Familiengeschichte wieder lebendig wird, und das nachdem sie gerade erst ihren Ziehvater Karl Eckhoff (Milan Peschel) beerdigt hat.

Nach Kriegsende wurden Vera und ihre Mutter Hildegard von Kampcke (Birgit Schöink) als ostpreußische Flüchtlinge dem Eckhoffschen Hof zugewiesen. Die verwitwete Bäuerin Ida Eckhoff (Karoline Eichhorn) ist alles andere als begeistert, vor allem weil ihr Sohn Karl immer noch vermisst wird. Sie lässt die Flüchtlinge ihre Ablehnung deutlich spüren.

Und jetzt steht Halbnichte Anne mit ihrem Nachwuchs vor der Tür, ist aus der Großstadt Hamburg und ihrem bisherigen Leben geflüchtet und sucht ausgerechnet im Alten Land eine Heimat und einen Neuanfang. Wie so viele andere Hipster, Aussteiger und Möchtegern-Biobauern.

Es ist verlockend an dieser Stelle bereits die ganze vertrackte Familiengeschichte von Vera und Anne nachzuerzählen, weil die knappe Zusammenfassung der Rahmenhandlung von „Altes Land“ ebenso nichtssagend wie lückenhaft bleiben muss. Vor der Sichtung habe ich mich auch gefragt, was die Macherinnen denn 180 Minuten lang erzählen wollen, wo der Roman noch nicht einmal 300 Seiten umfasst?

Erinnerungen lassen sich bildstark inszenieren und aus wenigen Sätzen entstehen große Szenen. Das ZDF macht aus der Sendezeit einen Zweiteiler von jeweils 90 Minuten. International wäre beziehungsweise würde das wahrscheinlicher eine Miniserie mit vier Folgen a 45 Minuten. Letztlich wichtig bleibt, dass die Zeit sinnvoll und unterhaltsam gefüllt ist.

Regisseurin Sherry Horman („Wüstenblume“, „3096 Tage“) adaptiert die Romanvorlage von Dörthe Hansen als konventionelles Erzählkino; vielleicht mit einigen Zeitsprüngen und erzählerischen Brüchen zu viel, aber immer mit stimmiger Ausstattung, viel Zeitkolorit und einer assoziativen Szenenführung, so dass Zuschauer:innen es dann doch nicht allzu schwer haben, der verschlungenen Geschichte zu folgen.

Die Schicksale der beiden Frauen, die sich hier treffen, weisen starke Parallelen und Spiegelungen auf. Wobei die Zerrüttungen des Zweiten Weltkrieges beispiellos bleiben. Und doch ist die Erzählung gerade von Veras Familiengeschichte weit verbreitet. Die Kriegsflüchtlinge und Heimatvertriebenen waren nach dem zweiten Weltkrieg in Schleswig-Holstein, Mecklenburg und Niedersachsen eines der größten gesellschaftlichen Probleme überhaupt.

Allein die große Anzahl der Menschen die versorgt und untergebracht werden mussten, bereitete logistische Probleme. Zwar fehlten gerade in der Landwirtschaft Arbeitskräfte, aber die Integration der Heimatvertriebenen, die ihrerseits oft große Ländereinen bewirtschaftet und aufgegeben hatten, verlief alles andere als konfliktfrei.

Vor allem davon erzählt „Altes Land“, der aktuelle Erzählstrang der jungen Anne, die ihrerseits Probleme mit der Karriere und ihrem Leben in Hamburg hat, nimmt dagegen verhältnismäßig wenig Platz ein und sorgt häufiger für trockenhumorige Momente in der Geschichte. Ich gesteh, ich hatte den eher schmalen Roman etwas anders gelesen, als ich ihn auf dem Bildschirm wiederfand, mehr in der Gegenwart verortet als in der Vergangenheit, im Rückblick.

Vielleicht ist das aber auch den Publikumsgeschmack geschuldet. Der prominenten Besetzung der alten Vera mit Iris Berben, die eine der stärksten Rollen ihrer Karriere spielt und mit Milan Peschel als alten Ziehvater Karl und Peter Kurth als Nachbar Hinni Lührs zwei großartige Gegenparts an ihrer Seite hat. Das ist schon ein ausdrucksstarkes Ensemble, das den emotionalen Kern der Geschichte abbildet. Wenngleich meine Mutter nicht zu Unrecht anmerkt, dass Karoline Eichhorn, die Ida Eckhoff spielt, vom Typ die stimmigere Besetzung gewesen wäre. Aber das tut wenig zur Sache.

Das Casting, für das wieder einmal Deutschlands Fachfrau Nummer eins, die viel zu selten gewürdigte, Simone Bär, zuständig war, ist bis in die kleinsten Rollen großartig. „Altes Land“ dreht sich wie eine Polka um das Figurendreieck aus Hinni, Vera und Karl, macht immer wieder Ausfallschritte ins Ländliche, ins Lustige, ins Leichte, nur um dann wieder starkes Drama zu sein. Immer wieder wird das zweideutige „Alte“ im „Alten Land“ aufgelockert, unterbrochen und angereichert vom Jungen, jüngeren Versionen der Figuren, Erinnerungen und Szenen aus Annas jungem urbanen Alltag.

„Altes Land“ ist eine gelungene und sehenswerte Verfilmung eines kleinen, literarischen Überraschungserfolgs. Mit Iris Berben in einer ihrer stärksten Rollen, einen großartigen Ensemble und liebenswerter wortkarger norddeutscher Trockenheit. Wunderlich, dass hier so süßes Obst wächst.

Film-Wertung: 7 out of 10 stars (7 / 10)

Altes Land
OT: Altes Land
Genre: TV-Drama,
Länge: 180 Minuten (2 x 90), D, 2020
Regie: Sherry Horman
Vorlage: Dörthe Hansen: „Altes Land“
Darsteller:innen: Iris Berben, Milan Peschel, Svenja Liesau, Peter Kurth
FSK: ab 12 Jahren
Vertrieb: Pandastorm, ZDF Enterprises, Edel Motion
DVD-VÖ: 10.12.2020

„Altes Land“ beim ZDF

Dörthe Hansen: Altes Land bei Knaus