Can and Me: Musik Machen ohne Chef

„Der Irmin kann das.“, um zum Auftakt mal die Lobpreisung durch Autorenfilmer Wim Wenders zu zitieren. Glücklicherweise kann Musiker und Komponist Irmin Schmidt auch Dokumentarfilm und Porträt, zumindest als Gegenstand der Betrachtung. Michael P. Aust legt mit „Can and Me“ ein sehenswertes Porträt eines einflussreichen Musikers und neugierigen Geistes vor, das weit über das Schaffen der Band Can hinausgeht. Unbedingt zu sehen im Kino ab dem 9. März 2023.

Wobei genaugenommen „Can and Me“ ein Treffen mit dem Ehepaar Hildegard und Irmin Schmidt ist. Zuschauer:innen sollten die Kraft der Beziehung nicht unterschätzen. Ebenso genaugenommen stammt das Zitat von Wenders Film-Schnittmeister Peter Przygodda bezüglich Schmidts Fähigkeit zur „Momentkomposition“ und wurde von Wenders nur bei passender Gelegenheit zum Besten gegeben.

Schwupps ist mensch mittendrinnen in einem ausgefüllten und einflussreichen Musikerleben, das an dieser Stelle herunterzubeten sich allein aus Unterhaltungsgründen verbietet. Immerhin wusste der junge Irmin Schmidt, dass er Dirigent werden wollte, noch bevor er ohne Abschluss seine Schullaufbahn beendete, um dann über einen Ausbildungsumweg am Konservatorium zum Studium zu kommen.

Spannender als jeder Dirigier-Wettbewerb

Erwähnenswert an dieser Stelle die frühe Prägung durch Stravinskys „Le Sacre du Printemps“, von dem auch Frank Zappa, der zu ähnlicher Zeit musikalisch auf der Bildfläche erschien, sagt, diese Musik wäre prägend gewesen. Konsequent also, das sich Irmin Schmidt dann bei Komponist Karl-Heinz Stockhausen in Köln wiederfindet und dort zusammen mit Holger Czukay, Michael Karoli und Jaki Liebezeit eine Musikgruppe gründet, die mit neuer „klassischer“ Musik wenig am Hut zu haben scheint.

Dafür aber mit den Mitteln der Rockmusik ein anderes Musizieren quasi erfindet. Ein Musizieren ohne Bandleader, ohne feste Komposition. Eher ein miteinander Erkunden, miteinander Erspielen, bis sich Musik ergibt, wie auch immer mensch das definiert. Das war und ist auch explizit politisches Statement. Die Band Can fand hierzulande lange keine Anerkennung, während Groß-Britannnien das neue deutsche Rocken abfeierte.

Was sich als maßgeblicher, aber selten so artikulierte Einfluss des Punk herausstellte, weniger wegen der Kunstfertigkeit, als wegen der Art des Musikzierens, musste zunächst auf die Bühnen des Vereinten Königreichs. Hier kommt dann einmal mehr Hildegard Schmidt zur Geltung. Mit 19 hatte Irmin seine spätere Frau zufällig auf dem Bahnhof kennengelernt, beide waren in dieselbe Richtung unterwegs und sind es noch. Hildegard macht keinen Hehl daraus, dass sie immer mit einem Musiker zusammen sein wollte.

Herr und Frau Generalmusiksdirektor

Tatsächlich finanziert ihre Anstellung die ersten Jahre der neuen Band Can ganz erheblich mit und sobald die Gruppe auf Herausforderungen jenseits der Musik stieß, war Hildegard hilfreich und patent zur Stelle, um zu helfen oder zu organisieren. So auch bei den Tourdaten in Groß-Britannien und bei der Gründung eines bandeigenen Studios.

Hier manifestiert sich, dass Heimat auch ein Gefühl sein kann. Ein Gefühl, dass einem ermöglicht mensch selbst zu sein. Ausgerechnet das „Heimat Suchen“ ist der kürzeste Abschnitt in „Can and Me“. Irmin und Hildegard Schmidt sind irgendwann in Südfrankreich, in der Provence, auf einen Flecken Land gestoßen, der seitdem das Zuhause ist. Der Ort Heimat wo sich Irmin Schmidt gefunden hat.

Doch Irmin Schmidt ist weit über das Schaffen von Can hinaus als Musiker und Komponist tätig, erfolgreich und auch einflussreich. Eben das beleuchtet „Can and Me“ vor allem. Die Filmmusiken etwa, die dem Irmin eher so zugeflogen sind. „Klinkenputzen, das weiß der gar nicht wie das geht.“ (Hildegard über Irmin). Und dass weiß der besagte auch selbst. Nicht umsonst spricht Irmin Schmidt bemerkenswert demütig über die beiden Glücke in seinem Leben, die wenig damit zu tun haben, was einer kann und was einer will, sondern einfach mit einer Portion Unkalkulierbarkeit verknüpft sind.

Zur Auflockerung der Grimme-Preisverleihung

Vielleicht ist auch „Can and Me“ aus so einer Art unkalkulierbarer Verknüpfung heraus entstanden. Michael P. Aust hat schon mit Film zu tun, aber als Regisseur legt er hier sein Debüt vor. Allerdings gibt es da noch den Film „The Sound of Cologne“ der bislang erst auf einigen Festivals zu sehen war. Für den hat Michael P. Aust quasi das „Drehbuch“ geschrieben, um die Kölner Musikszene in den prägenden Jahren um Stockhausens Wirken und Lehren zu erkunden. Möglicherweise hat es dabei den Impuls für dieses biografische Porträt gegeben.

Filme über Can und über Krautrock gibt es einige, und auch viele sehenswerte. Aber auch wenn dieser Text es nicht genügen klärt, „Can and Me“ ist ein Film über und mit Irmin und Hildegard Schmidt. Im Wesentlichen geht Michael P. Aust dabei phasenweise vor, was weitgehend chronologisch wirkt, aber so nicht ist, denn die Filmmusiken sind bereits zu Can Zeiten ein Thema gewesen.

Brian Eno empfand es als Sacrileg Can zu remixen

Schön sind in dem Zusammenhang auch die Anekdoten zur Roland Klicks grandiosem „Deadlock“. Schließlich musste Autorenfilmer Klick händeringend von den Filmmiststreitern überzeugt werden, den Film nicht selbst mit der Gitarre zu vertonen, wie eigentlich geplant. Auch hier zeigt sich, dass eine gute Vernetzung immer hilfreich ist. Ein Kontaktfreudiger sucht ja keinen Kontakt, er findet ihn. Ein weiteres Argument, sich diesen Film unbedingt auf großer Leinwand mit Publikum anzuschauen.

Was soll mensch da noch lange herumreden? Vielleicht, dass Musiknerds und Krautrock-Aficinados mit dem Film eventuell weniger anfangen können, als ein Publikum, dass gerne intelligenten und sympathischen Menschen zuhört. So wie etwa auch in dem tiefgründigen Porträt über Michael Krüger, oder in der epischen Sport-Doku „Facing Ali„, oder in der hinreißenden Musikdoku „20 ft to Stardom“. Aber ich schweife ab, weil allein die Beschäftigung mit Irmin Schmidts Zugang zu Musik und Ideen „einen Raum öffnet, in dem man sich gerne bewegt“. Um mal den Künstler selbst aus dem Kontext zu reißen. Salud.

Wenn der inzwischen über 80jährige, letzte verbliebene Stammmusiker der experimentellen Rockgruppe Can und seine Gattin über ihr Leben, die Karriere und die Musik sprechen, kommt das sehr erdverbunden und bodenständig rüber. Und mit einer Demut, die weiß, dass prägende Impulse dieses Lebens auch einfach ein erfahrenes Glück gewesen sind. Schöner Film, kluge Gedanken, nette Leute. Was will mensch mehr.

Film-Wertung: 8 out of 10 stars (8 / 10)

Can and Me
OT: Can and Me
Genre: Doku, Musik, Biografie
Länge: 85 Minuten, D, 2023
Regie: Michael P. Aust
Mitwirkende: Irmin Schmidt, Helmut Zerlett, Roland Klick, Hildegard Schmidt,
FSK: Ohne Altersbeschränkung
Vertrieb: Real Fiction
Kinostart: 09.03.2023

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Wikipedia Eintrag zu Irmin Schmidt