Kaskadeur – Phantom Vibrations: Album Review

„All Comes from Nothing“? Definitiv nein! Der Satz hört sich, obschon korrekt, für mich an, als würde der ehemalige Bundespräsident Lübke nach „Equal goes it loose“ nachlegen. Meine Oma wusste dazu „Von nix kommt nix“ und insofern kommt bei den Potsdamer Musiker von Kaskadeur alles vom Spaß am gemeinsamen Musizieren. Kaskadeur legen aktuell beim freundlichen Kreuzberger Indie-Label Noisolution den Nachfolger zum Debut auf. „Phantom Vibrations“ wartet optisch wieder mit so verknoteten Ballontierchen aus dem 3D Drucker auf, allerdings in Öl. Da haben wir es doch: Heavy Prog, sozusagen schwer am Proggen.

Das passiert, wenn die Bubble platzt. Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, das Kaskadeur es nicht nur hinreißend verstehen, musikalisch unterschiedliche Stilrichtungen zu vereinen, sondern auch textlich was zu sagen haben. Eventuell sogar mit Humor. „Join The Cult“, „Generation Absolution“ und „Bubble Burst“ sprechen dafür, auch wenn keine Texte ‚bei sind und ich das gesungene Wort nicht immer in Gänze verstehe.

Zumindest im Fall von „Generation Absolution“ kann Bandcamp Abhilfe schaffen (eventuell bis die Scheibe im Schrank steht), wo der Text der vorab veröffentlichten Single abgedruckt ist. Ebenso übrigens bei der aktuell ausgekoppelten zweiten Single „The Truth, The Curse, The Lie“. So geht verantwortungsvolles Proggen und Veröffentlichen heute.

Ich schweife ab, so wie ich gerade beim finalen Hören Falten in mein Leibchen gebügelt habe. Da zuckts im Knie und im falschen Moment geht’s Headbangen los. Die meisten Unfälle passieren im Haushalt.

Kaskadeur sind ein Quartett aus Potsdam, das seit circa 10 Jahren zusammen musiziert. Früher hieß die Band Stonhenge und rockte wüstig, dann wurde der Name zu eng und das Genrekonzept, und 2020 brachten Kaskadeur ihr Debüt „Uncanny Valley“ bei Noisolution heraus. Das Label hatte schon immer ein Gespür für feine Bands und gute Sounds im mehr oder minder rockigen Untergrund. „Uncanny Valley“ wurde auf diesen Seiten ebenfalls vorgestellt und für gut befunden.

„Phantom Vibrations“

Jetzt aber ein neues Album. Ich höre hier mehr Vibes der amerikanischen Jam Band Szene raus als zuvor. So Phish, Moe, Widespread Panic und Konsorten. Einiges ist auf Album Zwei gleichgeblieben: die Ballontierchen im Covermotiv, die Albumlänge von 38 Minuten. Aber es gibt auf „Phantom Vibrations“ acht Stücke ohne Zwischenspiele, dafür aber keinen Titelsong, was möglicherweise auf ein übergeordnetes Konzept hindeuten mag. Doch das bleibt Spekulation. Fakt ist, dass das Album ausgesprochen abwechslungsreich und vielschichtig und soundtechnisch herausragend ist.

Der Auftakt fällt mit „Bubble Burst“ ziemlich rockig aus und nimmt die Hörerschaft gleich mit auf die Reise. Dann platzt die Blase, im Song findet ein Break statt und es geht sphärischer, offener weiter, zieht dann aber wieder an. Vielversprechender Auftakt. „All Comes from Nothing“ beginnt mit fettem Bass und zieht dann direkt alle Register zum Bombast. Keybordteppiche, Sixties-Backingvocals und derbes Riff, direkt ins Gehör. Der Song bleibt vergleichsweise straight.

„The Truth, The Curse, The Lie“ kriecht mit einem Gitarrenlick heran. Der Song erinnert mich an die Band Madrugada, hat noch eine Spaghettiwestern-Gitarre zu bieten und ließe sich fast in Standards tanzen. Zum Schunkeln. Na ja, Kaskadeur-Style eben. „Mit Join the Cult“ wird die erste Vinyl-Seite beendet. Und hier hätte ich ‚ne Frage anzumerken: Warum nicht einfach mal durchziehen? Das Riff ist ein Knaller und entfaltet sein Potential als Teil dieses Liedes nur bedingt, beziehungsweise anders. Das Lauernde bleibt erhalten, die Spannung steigt. Bis die Powerballade dann rockt, aber mit gewechseltem Gitarrenpart.

Eingängig und melodiös und rockig

„Generation Absolution“ wurde als erste Video-Single bereits erwähnt und ist wieder in dieser flotten skandinavischen Leichtigkeit gehalten, die einem vermittelt, dass schwere Gitarren gar nicht weh tun. Zum Refrain dann ruhig zu werden sorgt für ungewohnte Dynamik und überzeugendes Weiterriffen. Feiner Song. „The Post-High Jitters“ machen dann, was mir bei „Join The Cult“ fehlte, gnadenlos auf dem Riff reiten. Dazu gesellen sich tolle Keys und bisweilen eine fiepige Rummelorgel. Mit dem Gitarrensound in Solo würde ich morgen spontan in Urlaub fahren. Definitiv die rockigste Nummer auf „Phantom Vibrations“.

Doch das folgende „An Opportunity Gone By“ ist keineswegs als Ausklang zu verstehen. Eher die Einladung, sich die Band mal live anzusehen (Tourdaten unterm Text). Ich habe schon überzeugte Augenzeugenberichte gehört. Aber zurück zum Song. Im ersten Teil fühle ich mich an The Police und Sting erinnert, später auf der Brücke auch wieder. Ein schöner melodischer Song mit Ohrwurmcharakter.

„Moving Particles“ ist dann definitv der Rausschmeißer. Jazzige Tonfolgen, die richtigen Keyboard- und Klampfensounds um sich laid back in die Fusion-Ecke der Siebziger zu verdrücken und einfach mal auf das gerade Erlebte zurückzublicken. Dazu braucht‘s auch keinen Gesang…aber eine Erinnerung, dass Jazzlegende Wayne Shorter gerade gestern von uns gegangen ist. Der hat mit Kaskadeur zumindest den untrügbaren Hang zur Melodie gemein. Womit sich ein großartiges Album dem Ende entgegen neigt.

„Kaskadeur“ liefern mit „Phantom Vibrations“ ein großartiges Album ab. Eine Entwicklung ist der Band immer noch anzumerken, ihren eigenen Sound haben Potsdamer dabei längst gefunden. „Uncanny Valley“ wirkte vielleicht experimenteller, aber „Phantom Vibrations“ integriert die unterschiedlichen Parts einfach souveräner. Immer dynamisch und mit enormer Spielfreude. Klasse Band, klasse Album.

Album-Wertung: 9 out of 10 stars (9 / 10)

Kaskadeur: „Phantom Vibration“
Genre: Progessive, Rock, Alternative
Länge: 38 Minuten, 10 Songs,
Interpret: Kaskadeur
Label: Noisolution
Vertrieb: Edel
Format: Vinyl, digital, CD,
Album-VÖ: 03.03.2023

Mehr Infos
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Bandcamp
Kaskadeur bei Noisolution (auch Shop)

Copyright Bandfoto: Lea Staedler

Tracklist
01 Bubble Burst
02 All Comes From Nothing
03 The Trust, The Curse, The Lie
04 Join The Cult
05 Generation Absolution
06 The Post-High-Jitters
07 An Opportunity Gone By
08 Particle Physics

1.03.2023 DE – Jena – KuBa
05.04.2023 DE – Hildesheim – VEB
06.04.2023 DE – Rostock – MAU
07.04.2023 DE – Kiel – Schaubude
08.04.2023 DE – Hamburg – Astra Stube
13.04.2023 DE – Dresden – Chemo
14.04.2023 DE – Leipzig – Tiff
15.04.2023 DE – Berlin – Supamolly