Inzwischen scheint der Musiker und Sänger Roland Meyer de Voltaire wieder ganz gut im Geschäft zu sein. Dabei sah es in der Karriere des 1978 geborenen Multi-Talents phasenweise nicht so aus, als könne er von der Musik leben. Der Dokumentarfilmer Aljoscha Pause hat über Roland Meyer de Voltaire, den Filmmusik-Komponisten, ehemaliger Sänger und Gitarrist der Band Voltaire und Solokünstler „Schwarz“ eine sehenswerte Doku-Reihe gedreht, die im Juni bei Mindjazz Pictures auf Blu-ray und VoD für das Home-Entertainment erschienen ist.
Für mich war es Mitte der 1990er eine eher frustrierende Erkenntnis, dass der Sänger einer US-amerikanischen Doom-Metal-Band, die immerhin zwei Alben veröffentlicht hatten, beim Gig in Flensburg lapidar erwähnte, dass er sonst aufm Bau jobbt und auf der Europatour seinen Urlaub verjuxt.
Spätestens seit der großartigen Musikdoku „Anvil – Geschichte einer Freundschaft“ ist eigentlich jedem denkenden Menschen klar, dass Pop-und Rockmusik nur im Ausnahmefall so viel Geld abwirft, dass man gut davon leben kann. Glücklich also, wer mit seinem Musizieren andere, nicht kommerzielle Absichten verfolgt.
Erfolg hat aber mehrere Gesichter und dem Künstler also auch dem Musiker sagt man ja oft eine gewisse Getriebenheit nach, eine gewisse Dringlichkeit, mit der das eigene Schaffen und Kreieren nach außen will. Wie schwer es ist, seiner Vision zu folgen, ist einer der Aspekte, die in der Langzeitdoku „Wie ein Fremder“ beleuchtet werden. Darin hat Filmmacher Aljoscha Pause den Musiker Robert Meyer de Voltaire über mehrere Jahre mit der Kamera begleitet und so die spannenden Phasen von Krise und Neuerfindung eines begabten Musikers eingefangen. Die Doku ist nicht nur sehr persönlich und intim geworden, sondern sie gibt auch Einblicke in kreative musikalische Arbeit und beleuchtet Hintergründe und Probleme des (deutschen) Musikbusiness. Diese Vielzahl der Aspekte macht die Doku-Serie so sehenswert.
Aljoscha Pause hat sich als Fußball-Filmer („Tom Meets Zizou“, „Trainer“) einen Namen gemacht und auch eine Serie über Borussia Dortmund realisiert. Bei fast all seinen Projekten steuerte Roland Meyer de Voltaire zumindest einen Teil des Soundtracks bei. Wahrscheinlich braucht es auch eine gewisse Vertrautheit, um sich auf eine Langzeitdoku einzulassen. Vor allem, wenn man nach dem Misserfolg der eigenen Band und persönlichen Krisen versucht, wieder auf die Füße zu kommen.
Die Doku begleitet den von 2014 bis 2019, von der Aufgabe des Lebens in Köln über den Neuanfang in Berlin, zunächst couchsurfend bei Bekannten, später in einer WG. Von den Anfängen eines neuen Elekto-Pop-Sounds mit englischen Texten bis hin zu den gefüllten Stadien der „Schiller“-Tour 2019, für dessen Album Roland Meyer de Voltaire einige Texte und Gesänge beisteuerte. Dabei kommen viele Interview-Sequenzen zum Einsatz, auch etliche Wegbegleiter und Fachleute und Experten, die auch schon mal ihren Senf zusammenquatschen und auch heute noch das Klischee von leidenden Künstlerideal ins Phrasenschwein schmeißen. Aber es gibt auch gut recherchiertes Archivmaterial und vor allem viel in der Filmzeit Aktuelles zu dokumentieren. Das überwiegt das bisweilen ausufernde Gerede deutlich.
Gegliedert ist die rund 230minütige Doku in fünf Teile, die jeweils nach dem Titel eines „Schwarz“ Songgs benannt sind: 1. Ghost, 2. Change, 3. Shine, 4. Heart, 5. Home. Dabei ist die Doku auch nicht streng chronologisch aufgebaut und durchaus im Sinne einer Dramaturgie editiert. Das ist kein Manko, nur eben kein „Direkt Cinema“ oder Cinéma Vérite, also kein Dokumentarfilm pur. Auch bei „Anvil – Geschichte einer Freundschaft“ riefen die Musiker den Regisseur (der mal Roadie bei der Band war) an, sobald sich Interessant Entwicklungen ankündigten. Ähnlich wird es auch zwischen Roland und Aljoscha gelaufen sein und es fällt auch nicht ins Gewicht, dass die Doku eigentlich nur die Spanne von 2014 bis 2017 umfasst und letztlich nur die Schiller-Tour 2019 einen optimistischen Schlusspunkt setzt.
Ohne an dieser Stelle die Stationen der Karriere von Roland Meyer de Voltaire nachzuerzählen, lässt sich trotzdem feststellen, dass die Band Voltaire mit ihren beiden Alben (2006 und 2009) mehr hinterlassen hat, als eine Fußnote der Popgeschichte. Der Indie-Rock mit deutschem Gesang, von einigen als „deutsche Version von Radiohead“ abgefeiert, hat zumindest bis heute seine Zeitlosigkeit nachgewiesen. Sich von Basis, den damit verbundenen Karrierehoffnungen und –enttäuschungen, als Musiker zu befreien und weiter zu entwickeln ist ein spannender Prozess, bei dem die Zuschauer in der Doku teilhaben dürfen.
Selbst wenn Roland Meyer de Voltaire weiß wohin die Reise musikalisch gehen soll, ist das kaum die halbe Miete: Projekte brauchen auch Finanzmittel, Technik und Mitstreiter, selbst heute, wo Home Recording und Computertechnik es möglich machen alleine erstaunliche Sounds und Songs zu entwickeln. Während der fünf Folgen von „Wie ein Fremder“ erleben die Zuschauer Den Künstler als Komponisten, als Gast-Sänger, bei den Versuchen eine funktionierende Band zu formieren, als Netzwerker und bei ersten Auftritten in kleinem Clubs.
All das ist nicht nur für angehende Musiker und Leute, die sich für das Musikmachen interessieren, ein Quell der Inspiration, es ist auch eine menschlich erzählte und mitfühlend inszenierte Geschichte über die Suche nach dem eigenen Glück.
Serien-Wertung: (7 / 10)
Wie ein Fremder – ein deutsche Popmusik-Geschichte
Genre: Doku, Serie, Biografie
Länge: 230 Minuten, 5 Teile, D, 2020
Regie: Aljoscha Pause
Mitwirkende: Roland Meyer de Voltaire, Schiller, Enno Burger, Madsen ,
FSK: ohne Altersbeschränkung
Vertrieb: Mindjazz Pictures
BD-VÖ: 05.06.2020
„Wie ein Fremder bei Mindjazz Pictures
Pausefilm