Verabredung mit einem Dichter – Michael Krüger: Wurzelwege

Michael Krüger hat über lange Jahre die Geschicke der Hanser Verlagsgruppe geführt, ist ein profunder Kenner des geschriebenen Wortes und vor allem selbst Dichter. Filmmacher Frank Wierke hat sein Filmportrait beinahe ein Jahrzehnt lang bearbeitet. Nun kommt die Begegnung mit einem einzigen „sprechenden Kopf“ im September 2022 in die Kinos.

Das muss man Wollen: die filmische Auseinandersetzung mit Michael Krüger ist beinahe eine tatsächliche Begegnung, bei der der Gegenüber – Michael Krüger – monologisierend die ganze Unterhaltung bestreitet. Als Film-Konzept ist das von Regisseur Frank Wierke so gewollt und es erzielt seine Wirkung. Aber es ist auch ein reduziertes visuelles Konzept, das die „Verabredung mit einem Dichter“ so intensiv macht.

Wierke hat im Jahr 2013 eine Kurzfilmserie über deutsche Dichter:innen gedreht. Darunter auch Michael Krüger, der zu dieser Zeit noch im Hanser Verlag tätig war. Dieser Kurzfilm ist auch der Auftakt des aktuellen Filmportraits. Doch nach dem Auftakt 2013 setzt die Doku erst wieder vier Jahre und Vier Monate später ein. Krüger ist inzwischen im Ruhestand von Arbeitsleben, aber immer noch ein vielgefragter und beschäftigter Experte in Sachen Verlagswesen, Literatur und Lyrik. Sein Terminkalender ist immer noch voll. Daran ändert sich bis zum Ende des Films im Februar 2020 wenig.

„Das ist das Schöne an Gedichten. Die wandern im Körper herum und wenn sie hinaus wollen, kommen sie eben raus.“

Dann aber bricht der Film mehr oder minder abrupt ab, denn Michael Krüger und seine Ehefrau haben sich aufgrund seiner Leukämie-Erkrankung in freiwillige Quarantäne begeben. Seit Beginn der Covid19-Pandemie leben die Krügers in ihrem Haus am See. So wundert es auch kaum, das die letzten Sequenzen von „Verabredung mit einem Dichter“ stimmungsmäßig sehr nahe dran sind an Andrea Sagres Filmessay „Moleküle der Erinnerung“ über das in der Pandemie „verlassene“ Venedig.

Michael Krüger redet über Literatur, über Dichtung, über Natur und die prägenden Phasen der eigenen Biographie. Der Filmmacher greift selten fragend ein und zumeist, zumindest kommt es mir so vor, wird der Dichter vom Kopf her gefilmt. Bisweilen fast bis zur Distanzlosigkeit. Angereichert wird dies mit einigen thematisch stimmigen Naturbeobachtungen.

„Es ist schwer, sich von Büchern zu trennen. Weil keiner sie haben will.“

Auffallend sind noch die Zwischentitel. Weiße Schrift auf grauem Grund. Sie geben kapitelweise Orientierung. Anfangs stehen auch Gedichtzeilen drauf, die aber nicht verlesen werden. Dann kommt mal eine Stimme dazu, dann wird die Leinwand schon mal weiß und schließlich liest Krüger auch einen Text in die Kamera. Das hat Methode, zeichnet eine Annäherung nach, wird vom Abstrakten zum Konkreten körperlich, ja krügerisch bis dann der Beobachtete vor einem Buchregal sitzt, das nach rechts hin schief abtaucht. So als würde das die Richtung (des Films?, des Lebens?) widerspiegeln.

„Viele sind bei sich und nicht bei der Sache.“

Und dann kommt das Filmende doch abrupt, ist irgendwie unfertig, obwohl so vieles, eigentlich alles, gesagt ist. Mehr Annäherung geht kaum und persönlicher kommt der Film und so auch die Zuschauer:innen dem Dichter und der Sprache nicht auf den Grund. Das ist faszinierend und omnipräsent, meistens klug und hörenswert. Bisweilen möchte man einhaken, Stichworte geben, gegenreden, mehr kann so ein Film nicht leisten. Das muss man wollen.

„Verabredung mit einem Dichter – Michael Krüger“ ist genau das, was der Titel verspricht. Ein lohnenswertes Kennenlernen eines profunden literarischen Intellektuellen und Dichters. Wer mit Wortkunst nichts am Hut hat, ist hier ohnehin verkehrt. Wer sich mit Sprache und Wahrnehmung beschäftigt wird reichlich Inspiration finden. Frank Wierkes Film ist sicherlich nicht für ein breites Publikum gedacht, sollte seine Zielgruppe aber souverän zufriedenstellen.

Film-Wertung: 8 out of 10 stars (8 / 10)

Verabredung mit einem Dichter – Michael Krüger
OT: Verabredung mit einem Dichter – Michael Krüger
Genre: Doku, Biografie, Lyrik
Länge: 91 Minuten, D, 2022
Regie: Frank Wierke
Mitwirkende: Michael Krüger
FSK: ohne Altersbeschränkung
Vertrieb: Real Fiction Films
Kinostart: 22.09.2022

Filmseite bei Real Fiction (Mit Kinofinder)

Michael Krüger im Suhrkamp Verlag