Low Lights: Durch die Nacht in Vilnius

Bei der Suche nach Filmtipps für die dunklen Wintertage bin ich auf eine kleine Produktion gestoßen, die 2010 in die Kinos kam. Und irgendwie passt das Thema des Films, nächtliches Durch die Gegend Fahren, auch in unsere derzeitige Pandemiesituation.

Auch bei Pressevorführungen gibt es manchmal (ungeplante) Sneak Previews: Der ursprünglich vorgesehene Film fiel überraschend aus: stattdessen fand ich mich unerwartet in der litauischen Nacht wieder und wurde von der stimmigen und intensiven Atmosphäre des Dramas „Low Lights“ aufgesogen.

In Vilnus, der Hauptstadt Litauens, führt Tadas (Dainius Gavenonis) ein eintöniges Leben als Büroangestellter. Auch seine Beziehung zu Laura (Julia Maria Köhler) ist erkaltet, die beiden leben nebeneinander her, ihre Wohnung ist eine Dauerbaustelle.

Dann trifft Tadas seinen alten Schulfreund Linas (Jonas Antanèlis) wieder und die beiden verabreden sich zwecks gemeinsamer Abendgestaltung. Linas entführt Tadas auf eine ziellose nächtliche Autofahrt durch Vilnus. Linas folgt dabei einem ungeschriebenen Ritual, dem sich alle Night Driver unterordnen: getankt werden immer nur zwei Liter, es gibt kein Ziel, man lässt sich treiben. Fahren um des Fahrens willen.

Anfangs hat Tadas Vorbehalte, sich auf das Experiment einzulassen. Doch er beginnt die Fahrt zu genießen. Als Linas eine Unbekannte anspricht, erkennt Tadas seine Frau wieder, ist aber zu verblüfft, um etwas zu sagen. Auch Laura fährt durch die Dunkelheit.

Der litauische Regisseur Ignas Miskinis kommt in seinem zweiten Spielfilm ohne viel Gerede aus. Er schickt seine Protagonisten auf eine urbane Entdeckungsreise, die sie auch wieder zu sich selbst führt. Gerade der weiträumige Verzicht auf Dialog verhilft „LowLights“ zu einer intensiven Stimmung von Abenteuer und Erotik, Sehnsucht und Freiheitsdrang in einer Welt, die starr und reglementiert ist.

Die Schauspieler schaffen es dennoch auf grandiose Weise das Innenleben der Figuren offenzulegen. Nicht von ungefähr wurde Dainius Gavenonis für „LowLights“, seine zweite Zusammenarbeit mit Miskinis, mit dem litauischen Filmpreis ausgezeichnet. Für mich war „Low Lights“ einer der Top 5 „deutschen“ Filme des Jahres 2010.

Die Reduktion der Handlung und der Dialoge wirkt zunächst schroff, doch bevor man denkt, nun kommt wieder etwas typisch wortkarges Nordeuropäisches entwickelt der Film seinen Rhythmus und entfaltet, je länger die Fahrt dauert, seinen Sog. Die kongeniale Musik, die Markus Aust beisteuert, ist ebenso stimmig wie die Kameraarbeit und macht „LowLights“ zu einem außergewöhnlichen Film, der den Zuschauer in die Nacht und die Seelen der Protagonisten entführt.

Die einzige Schwäche des Films ist die unnötige Szene im Polizeirevier, die zwar logisch sein mag, aber wenig Erkenntnisgewinn bringt und die wunderbar traumwandlerische Stimmung für einen Moment unterbricht. Doch „Low Lights“ nimmt sofort wieder Fahrt auf und entschwindet in die Ungewissheit der nahenden Dämmerung.

„Low Lights“ überzeugt vor allem mit der intensiven Atmosphäre und entführt den Zuschauer auf eine Reise der anderen Art. Das ist für heutige Kinomaßstäbe leider immer noch erfrischend und innovativ.

Film-Wertung: 8 out of 10 stars (8 / 10)

Low Lights – Eine Nacht, ein Ritual
OT: “Artimosd Sviesos”
Länge: 92 Minuten, D7 LT, 2009
Genre: Drama,
Regie: Ignas Miskinis
Darsteller: Dainius Gavenonis, Julia Maria Köhler, Jonas Antanèlis
FSK: ab 6 Jahren
Vertrieb: 3 L Filmverlieh
Kinostart: 29.04.2010
DVD-VÖ: 21.10.2010

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