The French Dispatch: Über das Verfassen von Nachrufen

Im Grunde genommen ist „The French Dispatch“ der neue und zehnte Spielfilm von Filmmacher Wes Anderson ein Lobgesang auf die schreibende Zunft. Ein Schwanenlieg auf den literarischen Magazinjournalismus. Vor allem aber ist ein Wes Anderson Film ein Wes Anderson Film. Das sollten Zuschauer sich bewusstmachen, wenn sie das Panoptikum der Wochenzeitschrift „The French Dispatch“ besuchen. Zu sehen ab dem 21. Oktober 2021 im Kino.

Frei nach Theodor Fontanes „Herr von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland“ hebt auch im fiktiven Ennui-sur-Blasse der Klagegesang an: „Und die Kinder klagten, das Herze schwer: „He is dod nu, wer gift uns nu ‚ne Beer?“ in „The French Dispatch“ freilich klagen die Schreiberlinge und selbst ernannten Autoren und Experten. Jene, die unter den Fittichen von Herausgeber Arthur Howitzer, Jr. (Bill Murray) ihren Neigungen und Reportagen nachgehen konnten zu Themen aus den weiten Feldern des Zeitgeschehens, der Politik, der Kunst und Unterhaltung und der Kulinarik. Howitzer ist verstorben und die Gruppe seiner Autoren findet sich ein, einen Nachruf zu verfassen.

Dabei geht es aber auch darum noch einige Artikel der kommenden und finalen Ausgabe des French Dispatch Revue passieren zu lassen. Denn nach dem Willen des Herausgebers stirbt mit ihm auch die wöchentliche Beilage der Liberty, Kansas Evening Sun. Es gäbe da noch die Fahrradtour durch die Stadt zu erwähnen, einen Künstler des Brutalismus zu porträtieren, eine Studentenrevolte zu analysieren sowie ein abenteuerliches Abendessen zu verdauen und eben jenen Nachruf zu verfassen.

Zwei Sprüche rahmen Wes Andersons „The French Dispatch“ nicht umsonst ein. Der Film, der nicht von ungefähr ein Loblied auf die wöchentliche Magazinbeilage des New Yorker singt, beginnt mit der Feststellung, dass die Geschichte des „French Dispatch“ als ein Urlaub begann. Als sich Howitzer Jr. Nach von Kansas nach Europa aufmachte und entschied, dort zu bleiben, um aus aller Welt zu berichten. Und schließlich lautet die Abschließende Frage: „Was kommt als nächstes?“.

„The French Dispatch“ ist Mentekel einer ganzen Spielart von literarischem Journalismus und doch auch schlicht eine episodische filmische Kurzgeschichtensammlung. Die wiederum ist so detailreich, so hinreißend aus der Zeit gefallen und so malerisch in das altmodische 4:3 Format gepackt, dass es wirkt als bespielten Wes Anderson und sein enormes Ensemble an Weltstars ein Puppenhaus, dessen Frontseite zur besseren Einsichtnahme abgenommen wurde.

Vieles ist wie immer bei Wes Anderson, ist aber nie Selbstkopie, sondern immer Neuerfindung und schwelgend nostalgische Verlebendigung einer speziellen Entität im Raum-Zeit-Kontinuum, die sich bereits verabschiedet oder den Spielplatz der Weltbühne bereits verlässt. Insofern sind Wes Andersons Filme auch immer Schwanengesänge. Immer in distanzierter Melancholie vorgetragen und immer auch ein Fingerzeig auf die Wunde, die sich in der Kultur aufgetan hat. Da war etwas, etwas Großes, Schönes und Reines – und nun ist es verschwunden, weil der Zeitgeist es gefressen hat.

Als Zuschauer:in stellt sich die Gretchenfrage, ob diese Art psychoanaltischer Welterklärung Anderson‘scher Prägung einem in welcher Form auch immer ein Miterleben, eine Empathie entlocken kann. Sollte das nicht der Fall sein, gilt es Wes Andersons Universum ohne Groll zu verlassen: Es ist nicht gefährlich, es ist nur Spiel. Wobei: bei etlichen der hinreißenden Darsteller schient die Bemerkung angebracht, man und frau üben sich hier in Mitchums Matra „No action required“ und sind auf der Leinwand, wer sie sind. Auch das ist eine Qualität an sich.

Es lässt sich nicht einmal sagen, „The French Dispatch“ sei ein besserer Wes Anderson Film. Das Leinwandgeschehen ist schlicht einzigartig und sich wiedermal auf nonchalante Weise selbst genug. Nach dem Ausflug ins Animierte wirkt das lebendige Ensemble allerdings wie ein Wiedersehen mit Proto- oder Archetypen jenen Gestalten, die schon das „Grand Hotel Budapest“ und das U-Boot der Tiefsee-Taucher“ bevölkerten. Alles Sprößlinge jener „Royal Tennenbaums“, die mit langmütiger Melancholie die Welt entdeckten.

Film-Wertung: 8 out of 10 stars (8 / 10)

The French Dispatch
OT: The French Dispatch
Genre: Drama, Komödie,
Länge: 108 Minuten, USA, 2021
Regie: Wes Anderson
Darsteller:innen: Tilda Swinton, Lea Seydoux, Frances McDormond, Timothée Chalamt, Bill Murray, Benicio Del Toro
FSK: ab 12 Jahren
Vertieb: Walt Disney Pictures,
Kinostart: 21.10.2021