Utopia – Staffel 1: Wo ist Jessica Hyde?

Ist immer gut, wenn man prominente Fans hat, mit denen man ein bisschen hausieren gehen kann. So wie beispielsweise „Fight Club“-Regisseur David Fincher, der die britische Thriller-Serie „Utopia“ hochgelobt hat. Die Story um ein mysteriöses Comic-Manuskript ist definitiv schräg und verstörend und unterschiedet sich deutlich von dem, was in letzter Zeit so auf dem Serienmarkt erschienen ist. Schnell wurde „Utopia“ als Kult betitelt. Das wäre zwar auch für eine jüngere Zielgruppe interessant, aber es geht schon recht brutal zur Sache, daher ist es durchaus berechtigt, dass „Utopia“ keine Jugendfreigabe erhalten hat. Vielleicht im (keine Panik, noch nicht angekündigten) US-Remake?

In England kursiert das Manuskript einer Graphic Novel namens Utopia oder das Utopia-Experiment. Weil die Geschichte Verschwörungstheorien bedient und sich vieles im Comic scheinbar als wahr erwiesen hat, hat „Utopia“ schnell eine eingeschworene Leserschaft. Dann behauptet jemand in einem Onlineforum, er hätte die Fortsetzung in der Hand und wählt vier andere Fans aus, den Comic-Genuss mit ihm zu teilen. Aber der EDV-Angestellte Ian Johnson (Nathan Stewart-Jarret), die Studentin Becky (Alexandra Roach), der Verschwörungsfan Wilson Wilson (Adeel Akhtar) und der Schüler Grant (Oliver Woolford) sind skeptisch und wollen sich nicht ohne weiteres auf ein Treffen einlassen. Man beschließt sich im Pub zu treffen.

Zeitgleich wird Michael Dugdale (Paul Higgins), der Sekretär des britischen Gesundheitsministers, von der ominösen Corvat Gesellschaft unter Druck gesetzt, für die Regierung einen Impfstoff gegen die russische Grippe zu kaufen, obwohl diese akut gar nicht grassiert. Und in dem comic-Laden Doomsday Comics tauchen zwei seltsame Typen auf , die auf der Suche nach dem Utopia Manuskript sind. Einer von ihnen ist der dauernd Schokorosinen muffelnde Arby (Neil Maskell).

Dann wird ausgerechnet Grant Zeuge eines Mordes, kann aber das Utopia Manuskript zocken und bringt damit die kleine Nerd-Gruppe in lebensgefährliche Schwierigkeiten. Denn Arby hat Witterung aufgenommen und arbeitet für einflussreiche Leute. Aber auch die Comic-Fans bekommen Hilfe: Unverhofft taucht eine Unbekannte auf, behauptet sie sei Jessica Hyde (Fiona O’Shaugnessey) und die Tochter des Mannes, der „Utopia“ geschrieben haben soll.

Serien-Mastermind Dennis Kelly spielt geschickt mit Verschwörungstheorien und der dazu gehörigen Paranoia; heißt ja nicht automatisch, dass man nicht wirklich verfolgt wird. Doch bleibt seine kleine Truppe aus Normalos und Comicnerds den Verfolgern lange Zeit einen Schritt voraus. Das hat zwar mehr mit Glück zu tun als mit solider Selbsterhaltung, aber für die Serie funktioniert eben diese Ausgangsbasis hervorragend. Immerhin tritt mit der wehrhaften Jessica eine resolute und konsequente Frau auf den Plan, die es mit dem verstörend phlegmatisch wirkenden Killer Arby aufnehmen kann.

Geschickt montiert „Utopia“ mehrere Handlungsstränge nebeneinander und schafft es so, einerseits die Neugier hochzuhalten und andererseits die mysteriöse Story immer ein bisschen weiter zu erzählen. Spannend im herkömmlichen Sinn eines atemlosen Thrillers ist „Utopia“ nicht unbedingt, dazu ist das Erzähltempo nicht hoch genug, aber das hat Methode und macht auch den Sog der Serie aus. Immer wieder kommt es zu fast ästhetisch inszenierten Ausbrüchen verstörend brutaler Gewalt. Die gehören zum Konzept von Autor Dennis Kelly, und sind wie auch der Wahnsinn und die ruchlose Manipulation von Menschen integraler Bestandteil dieser Welt von „Utopia“.

Neben der schrägen Geschichte, die durchaus „Twin Peaks“-Elemente und bizarren, schwarzen Humor vorweist und diese auf hinreißend neurotische Weise auch einbaut, sind es vor allem zwei andere Aspekte, die „Utopia so außergewöhnlich machen: Die Musik und die Optik. Für den triphop-artigen zugleich entspannten wie neurotischen Sound ist der chilenische Multiinstrumentalist Cristobal Tapia de Veer verantwortlich, der bereits für eine frühere Serie von Regisseur Marc Munden die Musik komponiert hat. Lässige Reggae-Rhythmen und verstörende Beeps und Blongs begleiten die Story auf kongeniale Weise und fangen die Grundstimmung von „Utopia“ einfach perfekt ein. Außerdem sorgt Regisseur Mark Munden mit seinem Cinemascope-Format, vor allem aber mit dem Konzept völlig übersättigter Farben, für einen dekadenten Chic, packt die korrumpierte britische Gesellschaft in eine Bonbonoptik, die das nahende Ende mehr als deutlich macht.

In Großbritannien wurde auch noch eine finale Nachfolge-Staffel gedreht, die hierzulande im Sommer für das Home-Entertainment erscheinen soll. Aber keine Bange, „Utopia“ – Staffel 1 ist endet nicht mit einem mordsmäßigen Cliffhanger, sondern ist schon in mehrfacher Hinsicht in sich abgeschlossen.

Die sechsteilige Sci-Fi Thriller Serie „Utopia“ bietet schräge Spannung und vor allem einen extrem coolen Look der allen de sich auch sonst mit apokalyptischen Comic-Themen beschäftigen Spaß machen sollte. Thematisch irgendwo im Bereich von „Akte X“ und „Twin Peaks“ verortet, werden „Fletchers Visionen“ hier Wirklichkeit. Wir leben nicht, wir werden benutzt!

Comic-Wertung: 7.5 out of 10 stars (7,5 / 10)

Utopia – Staffel 1
OT: Utopia – Season 1
Genre: TV-Serie, Thriller,
Länge:  gesamt ca. 316 Minuten, 6 Folgen,UK 2013
Regie: Marc Munden, et al
Drehbuch & Idee: Dennis Kelly
Darsteller: Nathan Stewart-Jarrett, Paul Higgins, Neil Maskell
FSK:    ab 18
Vertrieb: Poyband
DVD-VÖ: 27.02.2015
BD-VÖ: 27.03.2015