Cutter: Das Andere im Raum

Da ist es wieder: Dieses Deja-Vu einer außerordentlichen Begegnung. Leser:innen können sich glücklich schätzen, wenn ihnen der „Cutter“ genannte Serienkiller nicht die Kehle aufschlitzt. Was eigentlich ein verdienter Klassiker des schwarzen Thrillers sein sollte, war hierzulande viel zu lange überhaupt nicht zu kriegen. Sehr zur Freude der Comic-Fans werden die Werke und Alben des Comic-Künstlers Andreas Martens, der nur unter seinem Vornamen firmiert, beim geschmackssicheren Verlag Schreiber & Leser neu aufgelegt. Nun also „Cutter“ von Andreas: Eine abgründige Hatz auf einen totgeglaubten Killer. Da muss Voodoo im Spiel sein.

Als wäre es die verdiente Strafe dafür, eine Frau zu schlagen, findet die Polizei den Artischockenhändler Beppo Pestrone mit aufgeschlitzter Kehle im Fahrstuhl. Hört sich für den jungen Detective Joe Krafft wie eine solide Verbindung zur Mafia an. Viel verstörender ist allerdings der Modus operandi: Der Killer geht vor wie der „Cutter“. Was eigentlich unmöglich ist, denn Kraffts eigener Vater hat den Serienmörder überführt und getötet. Ein Nachahmungstäter also? Oder doch nur Zufall?

Als Joe Kraft die Cutter-Akte herauskramt, findet er unter dem Etikett eine mysteriöse, aber nichtssagende Zahlenkombination. Könnten aber auch Buchstaben sein. Ein vermeintlicher Mordzeuge meldet sich freiwillig, aber um die Glaubwürdigkeit des Afroamerikaners Toby-Toby ist es nicht weit her. Es ist eher der Menschenfreundlichkeit von Detektiv Krafft zu verdanken, dass er Toby-Toby überhaupt zuhört. Die Ermittlungen bringt das jedenfalls nicht weiter. Dabei ist Toby-Toby mit Boubak Jones verwandt, der auch im Import/Export tätig ist.

Es ist nur auf den ersten Blick erstaunlich, dass sich in der scheinbar strengen Seitenaufteilung von „Cutter“ so viel Dynamik verbirgt. Es wirkt, als hätte der Illustrator Andreas sich an strenge Formalien gehalten, um die Geschichte selbst in den Vordergrund zu stellen; und um dann immer wieder mit dem Seitenaufbau zu spielen. Zeilenanzahl, Zeilenhöhe, Panelzahl, Panelhöhe und -breite stimmen auf aufeinanderfolgenden Seiten kaum einmal überein.

Dann ist da noch dieser Kamera-artige Blick auf das Geschehen: mit filmischen Stilmitteln wie Totale, Close up, Vogelperspektive und ja, auch Kamerafahrt (eine Gassenwand hinunter) wird in „Cutter“ Atmosphäre kreiert, die spannungsgeladen, mysteriös und dunkel ist. Meisterhaft sind auch der Einsatz von Farbfilter und Schattenwurf. Als Zeichner muss man sich erst einmal trauen eine zeilenfüllende Sequenz mit dem nachdenklichen Betrachten desselben Notizzettels einzubauen, oder den Kaffeeautomaten bei der Arbeit zu zeigen. In jedem Polizeirevier ein vielbeschäftigter Mitarbeiter.

Und dann taucht Cutter auf: Plötzlich, aus der Dunkelheit, eingedrungen in die Sicherheit des eigenen Heims. Cutter lässt sich nicht auf Moralfragen ein, mordet aus abstrakten, philosophischen Motiven, oder schützt diese nur vor, sieht sich selbst als Inbegriff der Freiheit, und wirkt in seinem monokelartigen Schatten wie ein Moai-Götze von den Osterinseln, wie ein zerfurchtes archaisches Artefakt aus der Sammlung von Toby-Tobys Familie. Die Epiphanie eines Rachegottes.

Was Thriller in der neunten Kunst, dem Comic, angeht, ist der Verlag Schreiber & Leser in letzter Zeit wahrhaftig unter die Goldgräber gegangen und holt eine herausragende Perle nach der nächsten ans Tageslicht: „Sleep Little Baby“, „Benkei in New York“ und nun „Cutter“. Wobei sowohl die Veröffentlichung von „Benkei“ als auch „Cutter“ wohl eher der Werkschau der jeweiligen Comic-Künstler geschuldet sind als ihrer herausragenden Thriller-Interpretationen.

„Cutter“ ist auf dem deutschen Markt eine Wiederveröffentlichung. Auch wenn in dem Album das französische Copyright mit 2004 angegeben wird, ist die Story doch schon von 1989 und kam seinerzeit als „Coutoo“ in der noch jungen Editions Delcourt heraus. Carlsen Comics veröffentlichte das Album dann hierzulande 1991 unter dem Titel: „Unsterblich wie der Tod“ in der Reihe Carlsen Lux. Schreiber & Leser haben das Album stimmig neu übersetzt und veröffentlichen auch eine limitierte Vorzugsausgabe mit einem Sonderdruck. Dabei wirkt „Cutter“ alles andere als altbacken, der Thriller ist immer noch so modern wie zeitlos.

Eine direkte Verortung von „Cutter“ im vielschichtigen Gesamtwerk von Andreas ist nicht eben einfach oder eindeutig. Die Geschichte bleibt vielbödig und mysteriös wie das oft bei Andreas der Fall ist. Das Artwork ist weniger filigran als das Schwarzweiß gehaltene „Cromwell Stone“, der Erzählfluss weniger experimentell als in „Cyrrus –Mil“ und die Charaktere kantiger, ernster als in der Detektiv-Reihe Raffington Event. Und thematisch geht es im Zusammenhang mit dem damaligen Zeitgeist ausgesprochen düsterer zu. Viel nihilistischer als etwa in „Argentina“.

Wer auf klassische Crime Noir Thriller im Comic-Format steht, kommt an „Cutter“ nicht vorbei. Die abgründige Jagd nach einem Serienkiller ist alles andere als genretypisch ausgefallen. Andreas hält „Cutter“ vielleicht nicht zu Unrecht für sein stärkstes Einzel-Album.

Comic-Wertung: 9 out of 10 stars (9 / 10)

Cutter
OT: Coutoo, 1989, Edition Delcourt
Genre: Comic, Krimi, Thriller,
Autor & Zeichner: Andreas (Martens)
Übersetzung: Resl Rebiersch, Ömür Gül,
ISBN: 978-3-96582-050-0
Verlag: Schreiber & Leser , Hardcover, 48 Seiten,

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„Cutter“ bei Schreiber & Leser