Balthazar – Staffel 1: Der Aufschneider und die traurige Liebe

Nicht nur Zuschauerinnen fragen sich, warum sich ein so attraktiver Mann eine solch morbide Profession ausgesucht hat. Immerhin gehört der charmante Gerichtsmediziner und Hobbykoch Raphaël Balthazar zu den besten seines Faches. Das muss auch die neue Kommissarin Helene Bach feststellen, der es offenbar an Humor fehlt. Zuschaue:innen, die sich nicht in der ersten Folge abschrecken lassen, erwartet eine überraschend unterhaltsame Krimi-Serie, bei der die Verbrechen auch mal nicht das Wichtigste sind. Die Serie, die unter anderem bei TVNOW im Stream war, ist nun für das klassische Home-Entertainment auf DVD bei EdelMotion erschienen.

Bevor die werten Zuschauer:innen nun zum Obduktionssaal zugelassen werden, muss an dieser Stelle noch eine Bewerbungsgespräch zum Faktencheck geführt werden. Das französische Krimi-Serien-Format „Balthazar“ wird von dem britischen TV-Sender ITV produziert, der für hochwertige Krimi-Unterhaltung in Serie quasi berühmt berüchtigt ist, unter anderem auch für die Oxford-Serien „Der junge Inspektor Morse“, „Lewis“ und „Inspektor Morse“.

Dabei spielen die Kriminalfälle von „Balthazar“ in Paris und die Produktion ist quasi komplett in französischer Hand. Die etwa einstündigen Episoden präsentieren jedes Mal einen in sich abgeschlossenen Fall, der meistens mit der Leichenuntersuchung am Tatort beginnt und sich dann als kniffeliger herausstellt, als zunächst angenommen. Die Drehbücher stammen, zumindest in den sechs Fällen der ersten Staffel, von den Ideen-Geberinnen und so genannten Show-Runnerinnen Clothilde Jamin und Clélia Constantine unterstützt von Drehbuchautor Nicolas Clément. Alle drei sind in Frankereich erfahrene Serien-Macher und in „Balthazar“ können sie auf ein ungleiches Ermittlerduo zurückgreifen, dass obwohl genretypisch angelegt, durchaus mit individuellem Charme zu bestehen weiß. Aber dazu später mehr.

Die Einzelfälle

Im der Auftaktepisode „Aus Fleisch und Blut“ (OT: „De chair et de sang“) werden ein Richter und seine Frau ermordet in ihrem Haus aufgefunden. Die kleine Tochter scheint das Verbrechen gesehen zu haben, ist aber traumatisiert. Capitaine Hélène Bach (Hélène de Fougerolles) hat ihre neue Stelle gerade angetreten, da taucht auch schon dieser selbstverliebte Pathologe Raphaël Balthazar auf und lästert über die Humorlosigkeit der Neuen, während sie unbekannterweise daneben steht. Immerhin erweist sich der Gerichtsmediziner als ein besserer Tatort-Beobachter als das restliche Team von Capitaine Bach. Alles deutet darauf hin, dass ein Racheakt aus der beruflichen Vergangenheit des Richters zu den Morden geführt hat, doch Balthazars Untersuchungen ergeben auch andere Spuren.

Bei der ersten Folge der französischen Krimi-Serie geht es gleich ans Eingemachte: zur Temperatur-Mesung rammt Balthazar dem Opfer ein Thermometer durchs Ohr ins Gehirn. In Kombination mit den flapsigen Sprüchen des Rennwagen fahrenden Extremsprortlers, der in Gegenwart von Leichen auch ständig isst, kann das zu Ablehnungserscheinungen führen. Da kommt die kühle, sachliche Art der neuen Kommissarin zwar wohltuend geerdet rüber, aber so recht will sich zwischen den Protagonisten noch keine Chemie einstellen, die die Auftaktfolge durch den für geübte Krimi-Rater eher absehbaren Fall trägt. Insgesamt wirkt das Serien-Exposé noch etwas holzschnittartig und kantig, da fehlt der Feinschliff. (5/10)

Der setzt dann aber mit der zweiten Folge „Todesurteil“ (OT: „Arrêt de mort“) ein. Blutrünstig bleibt es zwar, wenn Balthazar die Leiche eines Bauarbeiters mit abgezogenem Gesicht untersucht, aber die Leitmotive der Serie, die über das Tagesgeschäft hinausgehen, werden langsam klarer.

Zuschauer:innen lernen die Ermittler besser kennen und merken, dass diese sich langsam an einander gewöhnen. Der Erfolg gibt dem Team schließlich recht. Wie sich herausstellt, hat das Gesicht des Toten nicht grundlos locker gesessen. Dieser Fall ist hintergründig konstruiert und sorgt für einige schöne Stellen zum Miträtseln. (6/10)

Anschließend geht es in „Blindlings“ (OT: „À corps perdu“) frostig zu. Eine junge Anhalterin wird erfroren in einem Kühllaster gefunden. Bei der Untersuchung der Leiche stellt sich heraus, das Opfer wurde nicht wie anfangs angenommen missbraucht, sondern vergiftet. Und es gibt weitere überraschende Wendungen.

Zusätzlich zu dem vertrackten, fesselnden Fall kommt auch in das Privatleben der Kommissarin ein bisschen Zwist. Nicht nur ihre pubertierenden Kinder fühlen sich vernachlässigt, auch ihr Mann scheint so seine Geheimnisse zu haben. Eine starke Folge (7/10)

In der vierten Episode „Seelenverwandte“ (OT: „Les âmes soeurs“) muss sich der Pathologe als Lebensretter beweisen. Während er mit einer Freundin im Kino sitzt, stürzt eine sterbende Frau ins Foyer des Kinos. Balthazar erkennt schnell, dass die blutüberströmte keine wunde hat und macht sich auf die Suche nach einem vermeintlich verblutenden Opfer. Die junge Tote hat keineswegs ein beschauliches, glückliches Leben geführt.

So langsam entwickelt sich da was zwischen dem Arzt und der Polizistin. Jedenfalls hat Balthazar Hemmungen seine Kino-Begleitung vorzustellen. So langsam muss der Forensiker auch seine Komfortzone verlassen, nicht nur privat, sondern auch beruflich. So lebhaft geht es in der Pathologie nicht zu. Es tut der Serie gut, dass nun auch die außerkriminalistischen Serien-Elemente Fahrt aufnehmen, Dynamik entwickeln und Eigenleben haben. (7/10)

Die vorletzte Folge der ersten Staffel „Das Leben in Stücken“ (OT: „La vie en miettes“) macht es Zuschauer:innen mit empfindlichen Magen wieder nicht leicht. In einem Fluss werden Leichenteile angeschwemmt. Während Capitaine Bach sich noch wundert, dass die Teile nicht zu einer Leiche gehören, ist der neunmalkluge Bathazar schon in den Taucheranzug geschlüpft, den er – wie auch den Sprunganzug – immer in Kofferraum seines Renault Alpine zu haben scheint, um nach den restlichen Leichenteilen zu suchen. Privat wird es für die beiden Hauptfiguren immer ungemütlicher und in ihrem Stress ist der berufliche Austausch eine wohltuende Komponente. (7/10)

Zum Schluss wird es für Balthazar lebensgefährlich, weil sich der Gerichtsmediziner mal wieder vorschnell auf Verbrecherjagd macht. Aber der Reihe nach: Bei einem Auffahrunfall an dem etliche Autos beteiligt sind, wird abseits der Straße zufällig die Leiche einer jungen Frau gefunden, die schon länger tot ist. Die Täter stehen noch im Stau. Was sich anfangs wie ein aus dem Ruder gelaufener Junggesellenabschied a la „Hangover“ anbahnt, nimmt dann ganz schnell eine hochspannende und vertrackte Wendung und führt zu einem furiosen Serienfinale. „Die Verschwundene“ (OT: „Les disparues“) ist ein starker Staffelabschluss und macht definitiv Lust auf mehr, auch abseits des kriminalistischen Spürsinns. (8/10)

Was „Balthazar“ zu einem besonderen und sehenswerten Krimi-Serienformat macht, sind unterschiedliche Elemente, über die ungleiche Ermittler-Paarung hinaus, die zusätzlich wie bei „Das Model und der Schnüffler“ mit amourösen Connotationen angereichert wird. Wobei die Beziehung von Capitaine Bach und Docteur Balthazar durchaus hinreicht, um unterhaltsam zu sein.

Neben dem beiden charmanten Hauptdarstellern gehören aber auch noch andere Charaktere zum Team der Serie, die mit fortlaufender Staffel auch ihre eigenen kleinen Sachen am Laufen haben. Da wären Bachs Sergeant Yerome Delgado, der ein zuverlässiger, fleißiger Ermittler ist, und im Obduktionssaal tummeln sich noch die beiden jungen Pathologen Fatim und Eddy, zwischen denen es einen Wettstreit gibt, wer jeweils das Sezieren durchführen darf.

Die roten Fäden bei Balthazar

Zusätzlich – und als Leitmotiv unersetzbar – hat Balthazar noch eine besondere Beziehung zu den Toten. Er redet mit ihnen. So wie weiland Stellan Sjkarsgard in „River“, muss sich auch Balthazar von den Leichen auf den Seziertisch fragen lassen, wieso er sein Leben nicht so im Griff hat, wie er sollte. Das wiederum hängt mit dem Jahre zurückliegenden, brutalen Mord an seiner großen Liebe Lise Castel (Pauline Cheviller) zusammen.

Wie sich am Ende der Auftakt-Folge andeutet, mordet jemand mit dem selben charakteristischen Vorgehen immer noch. Nun begibt sich Balthzazar ähnlich wie Charlie Crews (Damien Lewis) in „Life“ auf eigene Faust auf die Suche nach den Verantwortlichen beziehungsweise dem Mörder. Das ist souverän und bildstark inszeniert, wenngleich mit unterschiedlichem Spannungsfaktor und entwickelt durchaus einen Serien-Sog, dem sich die Zuschauer:innen gerne aussetzten.

Da geht noch was! Nach etwas hölzernem Auftakt entwickelt sich die französische Krimi-Serie „Balthazar“ zu einem höchst unterhaltsamen Format, das nicht nur mit kniffeligen Fällen und einer knisternden Beziehung zwischen der Kommissarin und dem Gerichtsmediziner punkten kann, sondern auch mit einer etwas anderem durchaus schrägen Langstrecken-Mörderjagd. Wir bleiben gespannt.

Serien-Wertung: 7 out of 10 stars (7 / 10)

Balthazar Staffel 1
OT: Balthazar Season 1
Genre: TV-Serie, Krimi,
Länge: ca. 328 Minuten (6 x 55)
Idee: Clothilde Jamin, Clélia Constantine
Regie: Fréderic Berthe, Vincent Jamine,
Darsteller: Tom Sisley, Hélène de Fougerolles, Pauline Cheviller,
FSK: ab 16 Jahren
Vertrieb: Edel Motion, ITV,