Kein anderer Held aus dem Marvel Superhelden-Universum polarisiert derart wie „Captain America“. Der Held in den amerikanischen Nationalfarben hat schon gegen die Nazis gekämpft, musste sich in unruhigen Zeiten in einer „Rächer“ genannten Gruppe zurecht finden und wurde außerhalb der USA häufig genug als Superpatriot gesehen. Gerade wenn man mit der deutschen Geschichte und einen eher zwiespältigen Verhältnis zum Patriotismus aufgewachsen ist, fällt es nicht leicht, über die vermeintliche moralische Überlegenheit in dieser Superheldenfigur hinweg zu sehen. Aber in der neuen Solo-Serie von Star-Autor Ta-Nehisi Coates muss auch Steve Rogers als „Captain America“ einen „Neustart“ hinlegen. Angesichts seiner verspielten Reputation ein schwieriges Unterfangen.
Er ist die moralische Instanz der Superheldentruppe “The Avengers“, er ist das Gewissen der Nation und er ist der personifizierte Retter der Freiheit, wenn diese durch faschistische Bestrebungen eines Überwachungsstaates bedroht wird. Dumm nur, dass ausgerechnet „Captain America“ in einer der erstaunlichsten Marvel Superhelden-Geschichten aller Zeiten zum genauen Gegenteil dieses Images wurde.
In „Secret Empire“ ermöglichte ausgerechnet Captain America die endgültige Machtübername Hydras in den USA. Sicher, der Mann war nicht er selbst (im wahrsten Sinne des Wortes), aber das Vertrauen ist zerstört. Nicht nur jenes, das die Menschen zu ihrem Helden hatten, sondern auch jenes, das die Machthaber zu ihrem wichtigsten Ordnungshüter hatten. In dem Regierungsplänen und Sicherheitskonzepten nach der Hydra-Ära ist S.H.I.E.L.D. zerschlagen und Captain America wird nicht mehr gebraucht.
Gleichwohl finden die einfachen Menschen auf dem Land noch immer, dass Hydra ihre Situation durchaus verbessert hatte und sich um sie gekümmert hat. Ähnlich wie in Deutschland gelegentlich behauptet wurde (und wird), Hitler hätte ja immerhin auch Autobahnen gebaut (für Panzer und Truppentransporte) und alle hätten Arbeit gehabt (Arbeitsdienst ohne Mindestlohn) schaut Cap dem Volk aus Maul, dass sich von denen in Washington abgeschrieben fühlt, so wie das auch viele Trump-Wähler aus ländlichen Gebieten sehen. Aber wer sich politisch interessiert, wird die Parallelen zwischen aktueller Politik und Elementen der Story von „Captain Americas“ Neubeginn schon selbst finden.
Dabei befindet sich Autor Ta-Nehisi Coates in bester Gesellschaft. Viele der großartigen „Captain America“ Stories haben ein sehr politisches, gesellschaftskritisches Setting, wie etwa „Der Tod von Captain America“ oder eben auch die „Secret Empire“-Geschichte. Doch der Journalist, Schriftsteller und aktuelle „Black Panther“-Autor Coates bezieht sich auch auf die Comic-Historie und sorgt mit den mysteriösen geklonten Supersoldaten gegen die Captain America kämpfen muss, für eine feste Verankerung in der Marvel-Geschichte, und sorgt damit gleichzeitig für Kontinuität und für Überraschung und eine Reduktion auf das Wesentliche. Wer hätte schließlich gedacht, dass die versteckte Bedrohung aus Russland kommt und da alte, sehr alte Bekannte darauf warten, mit Captain Amerika abzurechnen.
Das Artwork von Illustrator Leinil Francis Yu und Kolorist Sunny Gho ist kantig, klassisch und mit festem Pinselstrich ausgeführt. All die Zweifel, die Steve Rogers, der nun wieder der „echte“ Captain America bei Marvels Neustart ist, auf diesen Seiten hat, werden quasi durch den sachlich dynamischen Aufbau des grasfischen Erzählens kontrastiert. Bisweilen sind längere Strecken ganz im festen Paneling einer Graphic Novel ausgeführt, dann wieder wird das Bildschema actionmäßig aufgebrochen. Verglichen an der spannend aufgebauten Geschichte, die ihr Potential ganz souverän mit den Mitteln eine Charakterstudie entfaltet, fällt das Artwork zwar ein wenig ab, aber dem positiven Gesamtweindruck tut das keinen Abbruch.
Mit der „Captain America“–Serie im Rahmen von Marvels „Neustart“ mit den „echten Helden“ kommt dem Anführer und Gründungsmitglied der „Avengers“ eine Schlüsselrolle zu. Wie politisch kann und darf ein Superhelden-Comic sein? Wie viele gesellschaftliche Strömungen und aktuelle Entwicklungen lassen sich in eine Helden-Geschichte einbauen, ohne die angepeilten neuen Leserscharen und –schichten gleich wieder zu verprellen. Der afro-amerikanische Autor Ta-Nehisi Coates fährt zu Caps Neubeginn eine spannende Verschwörungsgeschichte auf, die durchaus das Zeug hat, zu einem „Captain America“-Klassiker zu werden, der geschickt mit der Stimmung im Land und dem Thema Machtelite spielt. Ein starker Auftakt. Ein würdiger Neubeginn.
Comic-Wertung: (0 / 10)
Captain America 1: Neuanfang
OT: Free Comic Book Day 2018: Captain America, Captain America (2018) 1-6, Marvel Comics, 2018-19
Genre: Comic, Superhelden,
Autor: Ta-Nehisi Coates
Zeichner: Leinil Francis Yu
Farben: Sunny Gho
Übersetzung: Robert Syska
Verlag Panini Comics, Softcover, 148 Seiten
VÖ: 19.03.2019
Captain America Neuanfang bei Panini Comics