Top 5: Dokumentarfilme 2012

AWW_Never_Sorry_02Der Betreiber meines bevorzugten Kinos erwähnte bei irgendeiner Gelegenheit, dass ihm noch nie so viele Dokumentarfilme angeboten worden seien, wie 2012. Und genau da liegt das  Problem, das ich auch schon im letzten Jahr festgestellt habe. Es wird immer einfacher und kostengünstiger Filme zu drehen. Was der Demokratisierung der Kunst dient, hilft allerdings nicht immer der Qualität. Viele der Dokus gehören einfach nicht auf die große Leinwand, so mein Fazit aus diversen Vorführungen.

Diskussionsveranstaltungen zu den jeweiligen Themenbereichen ausgenommen. Die Frage, was einen Film kinotauglich macht, ist allerdings genauso müßig zu beantworten wie jene, wo denn der Unterschied zwischen Dokumentation und Dokumentarfilm verläuft. Den themenfixierten Zuschauer interessiert‘s sowieso nicht. Was waren denn die besten Dokus 2012?

Ach ja, die Musikfilme werden mal wieder separat betrachtet…

Es ist normal, dass hierzulande vor allem deutsche und deutschsprachige Dokus in die Kinos kommen und weniger internationale Filmschaffen. Das ist an sich noch kein Makel  aber zumeist geschieht das mit öffentlicher Filmförderung und  Geldern von TV-Sendern, die redaktionell auch immer noch an der Suppe mitkochen und auf das TV-Format schielen, welches letztlich bedient werden soll.

Die Doku im Kino

So gab’s um die Wirtschaftsdoku „Goldrausch – Die Geschichte der Treuhand“ einigen Wirbel, weil sich der Regisseur, der auch ein Buch zum Thema geschrieben hat, nicht mit der Produktionsfirma auf eine finale Filmfassung einigen konnte und nicht mehr in Zusammenhangmit dem Film genannt werden will. Die Doku über den Thomanerchor war zwar informativ, aber mit der Digitalkamera optisch nicht gerade berauschend gefilmt. Ein typisches TV-Format, das im Vorlauf aber noch die Leinwände der Republik bevölkert hat und nur einige Monate brauchte, um anschließend im Fernsehen zu laufen.

Still ROMAN POLANSKI: A FILM MEMOIREs gab sehenswerte Portraits zu sehen, die mal mehr mal weniger experimentell ausgefallen sind. Woody Allen, Roman Polanski und Ai Weiwei gehörten zu den interessanteren. Viele der spannenderen Dokumentarfilme haben sich mit Wirtschaftsthemen im weitesten Sinne beschäftigt. „Speed“ etwa kommt nicht umhin, unsere wahrgenommene persönliche Dauerüberlastung systemisch zu begründen, „Die Ökonomie des Glücks“ hakt an einem ähnlichen Ansatz ein und versucht eine Globalisierungskritik. Interessante Ansätze und wichtige Themen, aber in meine Bestenliste haben die Filme es nicht geschafft. Dort tummeln sich auch Filme, die nur mit Wohlwollen überhaupt als Dokus angesehen werden sollen. In Zeiten von Reality-Soaps und Scripted Reality-TV-Formaten wohl ein Trend, an den wir uns gewöhnen müssen, der aber auch kritisch hinterfragt werden sollte.

Nun aber genug geschwätzt. Hier sind die

Top 5 der Dokumentarfilme 2012

5. Die Wohnung

WOHNUNG_Presse_03Als der israelische Dokumentarfilmer Arnon Goldfinger nach dem Tod seiner Großmutter deren Wohnung entrümpelt, stößt er auf alte Nazi-Propaganda und stutzt. Er recherchiert und  stößt auf die Freundschaft seiner jüdischen Großeltern mit einem Nazi-Funktionär. Das eigentlich Erstaunliche an dem Dokumentarfilm „Die Wohnung“ ist die unaufgeregte Gelassenheit, die in der Nacherzählung dieser Spurensuche zu Tage tritt. Zwar wühlen die Erkenntnisse den Regisseur auf, doch der Film kommt ohne jede Verurteilung der Hinterbliebenen aus. Mit großer Sensibilität nähert sich der Regisseur den noch lebenden Familienmitgliedern. Filmisch ist „Die Wohnung“ nicht sonderlich filigran gearbeitet und hat gelegentlich Homevideo-Qualität, doch man möchte meinen, dass Absicht dahinter steckt, um dem Inhalt seinen Schrecken zu nehmen. Axel Milberg spricht den Regisseur-Erzähler Goldfinger auf Deutsch so nuanciert und sensibel, dass es eine wahre Freude ist. Letztlich liegt die große Kraft der Doku „Die Wohnung“ weniger in der unglaublichen (Familien-)Geschichte, sondern in der ganz persönlichen Möglichkeit auf Aussöhnung mit der eigenen Geschichte.

Film-Wertung: 7.5 out of 10 stars (7,5 / 10)

4. United States of Hoodoo

the-united-states-of-hoodoo_In den Neunziger Jahren hat der afroamerikanische Schriftsteller Darius James zwei für die afroamerikanische Community wesentliche Bücher geschrieben: „That’s Blaxploitation: Baad Assss’tude“ und „Negrophobia: An Urban Parabel“. Jetzt macht er sich auf, dem Voodookult in den USA nachzuspüren und besucht dazu Leute, die sich mit dem Thema und den Wurzeln afroamerikanischer Kultur beschäftigen. Regisseur Oliver Hardt begleitet den Literaten und hat das Drehbuch mit ihm zusammen geschrieben. Die Reise geht quer durch die Vereinigten Staaten, von der Wall Street in New York, bis nach New Orleans. „United States of Hoodoo“ ist ein dokumentarisches Roadmovie par Excellence und hat sowohl eine persönliche wie ein gesellschaftliche Dimension, die die Reise trägt. Kurzweilig, unterhaltsam, aber auch skeptisch und gesellschaftskritisch macht sich der Autor Darius James auf kulturelle Spurensuche. Eine extrem gelungen Doku. Hiergehts zur ausführlichen Kritik.

Film-Wertung: 8 out of 10 stars (8 / 10)

3. Bombay Beach

bombay-beach_krokodilEinst war Bombay Beach an den Ufern des südkalifornischen Saltonsees ein beliebtes Ausflugsziel. Heute scheint der Ort von der Welt vergessen. In der verwunschenen Einöde hat sich eine Gesellschaft gesellschaftlicher Außenseiter eingelebt. Der Film „Bombay Beach“ ist von betörender und zugleich verstörender Schönheit, denn heute ist Bombay Beach eine der ärmsten Kommunen in Kalifornien. Der „Dokumentarfilm“ von Alma Har‘el zeichnet anhand von Portraits ein Bild von dieser Armut, zeigt aber auch eine Lebenswelt, die fernab des modernen Pulsschlags eine ebenso bizarre Schönheit entfaltet, wie der Salzsee selbst, der seit Jahren stirbt. Das erinnert von der Stimmung her schon an die grandiosen Terry Gilliam Filme und ist in einigen Szenen auch druchaus erkennbar nachgestellt, insofern nicht dokumentarisch. Letztlich ist der Sog von Regisseurin Alma Har’els erstaunlichem Regiedebut derart bizarr, dass das Genre total nebensächlich wird. Mein liebster Dokumentarfilm des Jahres.

Film-Wertung: 8 out of 10 stars (8 / 10)

2. This ain’t California

This aint californiaDie Geschichte der „Rollbrettfahrer“ in der DDR beleuchtet eine vergessene Subkultur fernab von Ostalgie und posthumer Systemkritik. Stattdessen ist der Film ein lebendiges Dokument eines scheinbar obskuren Stücks Zeitgeschichte über die Rebellion der Jugend. Doch auch diese Doku ist im eigentlichen Sinne keine:  nicht kenntlich gemachte nachgestellte Szenen, eine Rahmenhandlung und andere Elemente sorgten zum Kinostart für ein wenig (vermeidbaren) Wirbel. Rein filmisch betrachtet tut „This Ain’t California“ die Rahmenhandlung ebenso gut, wie die grandiose Musik und die comicartigen Einlagen. Was zählt, ist in diesem „Film über Liebe“ (Zitat des Regisseurs) das Gefühl von Freiheit und jugendlicher Rebellion. Und das kommt so dermaßen echt und unverfälscht rüber wie die als Halfpipes zweckentfremdeten Betonklumpen der DDR-Architektur. Eine mitreißende Filmerfahrung. Hier eine ausführliche Kritik.

Film-Wertung: 8 out of 10 stars (8 / 10)

1. More than Honey

More than honeyDie Honigbiene ist weltweit bedroht. Die Ursachen dafür sind vielfältig: Egal, ob Milbenbefall, Pestizideinsatz oder eine für Bienen lebensfeindliche Umwelt,  letztlich leidet die Biene am Menschen, so das Fazit des Regisseurs Markus Imhoof. Der Enkel eines passionierten Imkers macht sich auf, das Leben der Bienen in allen Aspekten, vor allem aber als domestiziertes Haustier zu beleuchten. Dabei geht es kaum nostalgisch zu, obwohl auch Kindheitserinnerungen des Regisseurs eine Rolle spielen. „More Than Honey“ hat alles, was ein großartiger Dokumentarfilm braucht: ein großes Thema, einen persönlichen Zugang, tolle Bilder, Lerneffekte und hohen Unterhaltungswert. Einer der besten Dokumentarfilme seit langem und die absolut beste des Jahres 2012. Hier geht es zur ausführlichen Film-Besprechung.

Film-Wertung: 9 out of 10 stars (9 / 10)