Der Medicus: opulente Literaturverfilmung

Zum Kinostart der Bestsellerverfilmung „Der Medicus“ von Noah Gordon habe ich den Film andernorts vorgestellt. Nach einem Wiedersehen kommt hier eine aktualisierte Betrachtung von Philipp Stölzls Leinwandepos von 2013. Damals wie heute lagen historische Großerzählungen voll im Trend. Bis Gordons Erfolgsroman verfilmt wurde hat dennoch Jahrzehnte gedauert. Die mittelalterliche Geschichte über die Heilkunst war 1986 ein millionenfacher Bestseller. Der Film ist mehr oder minder eine deutsche Produktion und schon ziemlich großes Kino.

England im 11. Jahrhundert: In extrem ärmlichen Verhältnissen wächst der Junge Rob Cole (Tom Payne) auf. Seine Eltern sterben kurz nacheinander. Für seine Schwester findet sich eine neue Familie, aber niemand will Rob aufnehmen. Dem fahrenden Barber (Stellan Skarsgard) drängt er sich förmlich als Gehilfe auf. Auch angetrieben von der Absicht die Heilkunst zu erlernen, damit er nie wieder so hilflos zusehen muss wie liebe Menschen versterben. Seine Mutter erlag der unheilbaren „Seitenkrankheit“, einer heute leicht zu operierenden Blinddarmentzündung.

Weil der alte Barber langsam sein Augenlicht verliert, übernimmt Rob Jahre später die Aufgaben des Alten und regelt die fahrenden Gaukel- und Heilgeschäft zunehmend alleine. Einem jüdischer Medicus gelingt es schließlich dem Barber sein Augenlicht wiederzugeben. Fasziniert von der orientalischen Heilkunst macht sich Rob auf den Weg, um im persischen Isfahan bei dem größter Heiler der Welt zu studieren: Ibn Sina (Ben Kingsley).

Hilflos gegen Krankheit

Robs Wanderschaft ist beschwerlich. Außerdem muss er sich noch in einen Juden verwandeln., denn in dem Hospital werden nur Muslime und ausnahmsweise einige Juden ausgebildet. Unterwegs lernt Rob die Jüdin Rebecca (Emma Rigby) kennen. Sie soll in Isfahan verheiratet werden. Nach endloser Reise kommt Rob, der sich nun Jesse nennt, am Ziel seiner Wünsche an und steht vor verschlossenen Toren. Nur der Zufall verschafft ihm die Aufnahme an der medizinischen Schule.

Als Story hat „Der Medicus“ alles, was ein Bestseller braucht um ein großes Publikum anzusprechen. Eine unbekannte Gesellschaft, exotische Kulissen, eine Liebesgeschichte, ein überlebensgroßes Abenteuer und einen jungen aufrechten Helden. Noah Gordon recherchierte ausgiebig und schuf nach dem Erfolg des „Medicus“ eine Trilogie über die „Heiler-Dynastie“ Cole.

Der legendäre Heiler und Lehrer Ibn Sina ist auch unter seinem latinisierten Namen Avicenna bekannt und eine historisch belegte medizinische Koryphäe seiner Zeit. In Europa und vor allem Deutschland war der Roman 1986 direkt nach Erscheinen ein Bestseller, während der Erfolg in den USA überschaubar blieb. Die Filmrechte waren schnell verkauft, doch es kam nie zu einer Umsetzung. 2008 dann kauften die deutschen Produzenten Wolf Bauer und Nico Hofmann die Filmrechte, um in enger Abstimmung mit dem Autor eine Filmfassung auszuarbeiten, die dem Buch und der Message treu bleibt.

In 150 Minuten entfaltet „Der Medicus“ eine Geschichte und ein Zeitalter auf sehr kurzweilige Art. Für das Fernsehen entstand auch noch eine 180 minütige Version, die sich als TV-Zweiteiler ausstrahlen ließ. Die Produktion ist aufwändig und setzt auf gelungene CGI-Effekte. Das exotische, persische Isfahan ist genauso lebendig wie das karge, kalte Britannien jener Tage. Der Cast findet ein gutes Maß an gestandenen Charaktermimen, unverbrauchten jungen Darstellern und glaubwürdig verkörperten Nebenfiguren. Tom Payne („Luck“) macht als junger Held eine klassische Heldenreise durch und eine Entwicklung, ein Coming of Age.

Verbotener Wissensdurst

Angetrieben vom Tod der Mutter verkörpert er die Gratwanderung zwischen Leidenschaft und Neugierde mit klugem Witz und Abenteuerlust, um auch ein junges Publikum anzusprechen. Die „Romanze“ mit seiner heimliche Liebe Rebecca wird mit unglückliche Sehnsucht überzeugend dargeboten. Daneben sind die alten Recken, die großen ihres Fachs ein ebenso ausgleichender wie belebender Faktor. Ben Kingsley („Daliland“) interpretiert den großen Philosophen und Heiler Ibn Sina im Sinne eines „Nathan des Weisen“ mit der Kingsley eigenen Würde, die Publikum und Kritiker seit „Ghandi“ schätzen. Stellan Skarsgard („River“) kommt als Ersatzvater rauhbeinig und lebenslustig rüber.

Im Grunde ist „Der Medicus“ eine deutsche Produktion, die mit internationaler Besetzung auf europäischen beziehungsweise weltweiten Erfolg abzielt. Regisseur Philipp Stölzl („Nordwand“, „Schachnovelle“) inszeniert „Der Medicus“ als opulentes Zeitportrait und als klassische Abenteuergeschichte. Kameramann Hagen Bogdanski („Das Leben der Anderen“, „Young Victoria“) findet eindrucksvolle Bilder und Perspektiven. Möglicherweise ist Erzählhaltung der Bestsellerverfilmung arg klassisch ausgefallen.

Das historische Filmepos „Der Medicus“ ist klassische Abenteuerunterhaltung mitgroßem Gestus und mit humanistischer Botschaft. Das ist ebenso unterhaltsam wie imposant. Mit hohem Produktionsaufwand, Detailgenauigkeit und stimmiger Besetzung werden die vergangenen Zeiten wieder lebendig.

Film-Wertung: 7 out of 10 stars (7 / 10)

Der Medicus
OT: Der Medicus
Genre: Historisches, Drama, Abenteuer
Länge: 150 Minuten, D, 2013; (Extended Version 181 Minuten)
Regie: Philipp Stölzl
Darsteller:innen: Tom Payne, Emma Rigby, Stellan Skarsgard, Ben Kingsley,
FSK: ab 12 Jahren
Vertrieb: Constantin Film
Kinostart: 16.12.2013
DVD- & BD-VÖ: 22.05.2014

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