Madame Web: Im Super-Webstuhl

Cassandra Webb ist eine etwas andere Superheldin. Allerdings bekommt „Madame Web“ in den gleichnamigen Beitrag zu Sonys „Spiderverse“ ihre Fähigkeiten erst noch. Es darf bezweifelt werden, ob in Zeiten allgemeiner und spezieller Superhelden-Müdigkeit mit den präsentierten Heldinnen noch Kassenerfolge zu erzielen sind, aber als temporeicher, fantastischer Actioner ist „Madame Web“ mit Dakota Johnson in der Titelrolle durchaus sehr unterhaltsam ausgefallen. Zu sehen in den Kinos der Republik seit dem 14.Februar 2024.

Die New Yorker Rettungssanitäterin Cassandra Webb (Dakota Johnson) macht im Jahr 2003 eine verstörende Nahtoderfahrung. Während eines Rettungseinsatzes auf einer Brücke stürzt sie mit einem Autowrack, aus dem zuvor der verunfallte Fahrer befreit wurde, in den Hudson. Minutenlang setzt die Atmung aus, bevor Kollege Ben (Adam Scott) sie wiederbeleben kann.

Anschließend leidet Cassie ziemlich schnell unter irritierende Wahrnehmungsstörungen, die sich anfühlen, als hätte sie Situationen gerade erst erlebt. Die schrägen Deja-vus werden immer seltsamer und bedrohlicher. Es scheint, als hätte Cassandra Visionen von einem Unbekannten mit übermenschlichen Kräften, der einige Teenager töten will. In der U-Bahn wir Cassie schließlich aktiv und scheucht die Mädchen Julia, Anya und Mattie aus dem Wagon, kurz bevor der „Spinnenmensch“ sie zu packen bekommt.

„As the cars go by – Under the sun like an enemy

Der Spinnenmensch ist der wohlhabende Ezekiel Sims (Tahar Rahim). Der hat einst, 1978, die Forschungsexpedition von Cassandras hochschwangerer Mutter finanziert, bei der diese verstorben ist. Auf der Suche nach einer sagenumwobenen Spinne mit heraustragenden Eigenschaften, die sich auf Menschen übertragen lassen, wurde Frau Webb fündig und der gierige Sims daraufhin zum selbstoptimierenden Mörder. Seither hat er Visionen von drei Frauen, die ihn irgendwann töten.

Cassandra weiß von all dem nichts, sondern nur, dass sie als Waise zwar in Peru geboren wurde, aber elternlos in amerikanischen Heimen aufgewachsen ist. Und nun hat sie eine Horde Mädchen unter der Fuchtel und einen Superschurken an den Hacken.

Okay, das berechtigte Genöhle zuerst. Der Prolog 1978 im peruanischen Amazonasgebiet wirkt so gestelzt als sei er aus der Marsupilami-Verfilmung geklaut, ohne dabei so lustig zu sein wie „Paddigtons“ Origin Story. Mit „Indiana Jones“ oder halbwegs ernsthafter Tragödie hat die Sequenz wenig gemein. Die Filmstory an sich ist auch bisweilen vorhersehbar.

You wonder, you wonder, you wonder

Und, quasi als alte Marvel Comic Krankheit, ist der von Tahar Rahim gegebene Bösewicht arg blass und blasiert. Wenngleich es im „Spiderverse“ schon auch einen Pfiff hat, dass der Böse ausgerechnet Spinnenkräfte einsetzt. Ob mensch die Action im „Madame Web“ zu schätzen weiß, ist hingegen auch und vor allem Geschmacksfrage.

Das Publikum mag sich schon fragen, warum die Geschcihte, die in den „Spiderverse“-Kanon passt, gerade 2003 angesiedelt ist. Ein Superhelden-liebender Kollege mutmaßte, dass es vor „Spider-Man“ handeln müsste, weil sonst die Wandkrabbeleien der Öffentlichkeit im Film ja bekannt wären. Sam Raimis erster „Spidey“-Film kam 2002 in die Kinos und im Multiverse gäbe es ohnehin diverse Realitäten und Welten mit unterschiedlichsten Held:innen.

Übrigens: erdacht haben Madame Webb der Autor Denis O’Neil und Zeichner John Romita Jr. im Jahr 1980. Werke von beiden Comic-Künstlern wurden auch auf diesen Seiten vorgestellt (z.B. „Batman, der Schamane“, „Kick Ass: Frauenpower“). Als „Spider-Woman“ bevorzugt der Rezensent eindeutig Jessica Drake, aber das tut an dieser Stelle wenig zur Sache.

As a spider comes – And looks at you like an enemy

Bemerkungen zum „Spiderverse“ allerdings schon. Nachdem Marvel mit dem MCU „Marvel Cinematic Universe“ um die Avengers-Blockbuster derart hohe Einspielergebnisse hatte, wollte auch die Konkurrenz von DC nach Nolans Batman noch ein Stück von Superhelden-Film-Kuchen, blieb aber immer wieder im eigenen Anspruch stecken. Während das „X-Men“-Universum inzwischen per Firmenübernahme längst wieder unter dem Disney Schirm Platz genommen hat, hat sich Sony die Rechte an den „Spider-Man“-Filmen unabhängig erhalten. Immerhin kam es längst zu Kooperationen.

Andere Figuren aus dem „Spider-Man“-Erzählraum haben ihren Weg auf die Leinwand auch gefunden so wie die Symbionten „Venom“ und „Carnage“ oder „Morbius“. „Kraven der Jäger“ ist noch in der Pipeline. Und die Animations-Abenteuer um den farbigen „Spider-Man Miles Morales“ können Kritiker und Publikum immer noch begeistern, selbst wenn die allgemeine Superhelden-Fatigue galoppierend um sich greift.

You wonder, you wonder, you wonder

Aber zurück zu „Madame Web“: Die kann hellsehen, nachdem ihre Kräfte mal entfaltet sind. Noch aber hat Cassandra Webb keine Kontrolle über diese Fähigkeiten und auch nicht über jenes „Netz“ („Web“), das sie telekinetisch in den Moment spinnen kann. Aber das wird schon noch. Es ist auch schwer sowas stimmig im Bild umzusetzen. Wer guckt schon gerne Professor X beim Denken zu?

Das Drehbuch stammt von Matt Sazama, Burk Sharpless, die beide bereits den wenig überzeugenden „Morbius“ gescripted haben, und von Claire Parker. Die hat wie auch die Regisseurin S. J. Clarkson bereits erfolgreich und einnehmend an der britischen Kultserie „Life on Mars“ über „Zeitreise“ gearbeitet. Das zeitliche Setting von „Madame Web“ ist insofern klug gewählt, als dass um den Jahrtausendwechsel „Überwachung“ ein großes Thema war und die NSA tatsächlich die Tools dafür hatte, praktisch alles und jeden auszuspionieren. Was später ein weltweiter Skandal wurde, den Edward Snowden als Whistleblower aufgedeckt hat. Von all den Infos sieht das Publikum in den Superhelden-Actioner freilich wenig.

Yeah miles, miles away – She’s hurting people in a better world

Dass die Geschichte absehbar ist, darf einem Superheldenfilm nicht ersthaft vorwerfen. Das ist fast genreüblich, so wie bei Sportfilmen oder Gerichtsdramen. Auch Krimis und Western haben klar umrissene Storysetzungen. Und: die Geschichte von der engagierten und reaktionsschnellen Rettungssanitäterin mit Bindungsängsten funktioniert souverän. Tage aus dem Arbeitsleben im Rettungseinsatz sind durchaus leinwandfähig, selbst wenn das Thema vor allem serienreif ist.

Was – zumindest für mich – emotional sehr bewegend funktioniert, ist das Trio junger Ausreißerinnen. Überhaupt nicht zu vergleichen ist das in „Madame Web“ stimmige, weil organisch wirkende weibliche Team-up mit jenem woke zusammengewürfelten und überkandidelten Team-up in „Die Marvels“. Mag sein, dass das nicht jede:r so sieht. „Madame Web“ wirkt keines Falls, als würde mir eine Weltsicht aufgedrückt. Ähnlich Positives habe ich seinerzeit auch in „Gunpowder Milkshake“ gesehen.

Miles, miles away – Dressed again in the hot water“ (Miles Away, Yeah Yeah Yeahs)

Als Film-Motiv sind vernachlässigte Teens, die sich zusammentun nichts herausragend Neues. Aber als Wahlfamilie von streunernden Runaway Kids, die ausgerechnet bei der Einzelgängerin landen, die mit Familie überhaupt nix am Hut hat, packt mich die Story schon. Ich bin da schlicht gestrickt, und David gegen Goliath geht immer, Trotz und jugendliche Wut auch.

Vor allen, wenn der Soundtrack stimmt, wie bei „Madame Web“. Die Sounds von Meredith Brooks, Britney Spears und den Yeah Yeah Yeahs hauen da rein, wo die wilden Dinger wohnen. Ich feier das und ich spüre ich da denselben Impetus von Teenage Angst und Trotz wie im „Breakfast Club“ und dem Neunzigerjahre-Hit „Runaway Train“ von Soul Asylum. Für eine jugendliche Zielgruppe gibt es schlechtere Role Models.

„Madame Web“ erfindet das „Superhelden“-Rad nicht neu. Auch wird sich der beste Superhelden-Film seit einiger Zeit wohl vergeblich gegen das grassierende Superhelden-Bashing stemmen, aber es gibt einnehmende Elemente in diesem weiblich angeführten Actioner. Dakota Johnson füllt die Hauptrolle mit Witz, Eigenheit und Charme. Die vergleichsweise handfeste und temporeiche Action nimmt schnell Fahrt auf. Ich persönlich finde auch die zusammengewürfelte Truppe jugendlicher Ausreißerinnen cool; emotional stimmig auf Grunge-artige weise trotzig. Das rockt schon ziemlich. Und nicht vergessen: niemand zwingt einen den Film zu sehen, da kann man die Show auch genießen.

Film-Wertung: 7 out of 10 stars (7 / 10)

Madame Web
OT: Madame Web
Genre: Superhelden, Fantasy, Action
Länge: 117 Minuten, USA, 2024
Regie: S. J. Clarkson
Darsteller:innen: Dakota Johnson, Sidney Sweeney, Celeste O‘ Connor, Isabella Merced, Tahar Rahim,
FSK: ab 12 Jahren
Vertrieb: Sony Pictures, Colombia Pictures
Kinostart: 14.02.2024