So, die Floskeln zuerst, dann können wir uns den lustigen Sachen widmen. Kaum ein Film wurde so heiß ersehnt wie der dritte „Avengers“-Film „Infinity War“ (außer: „Wonder Woman“, „Justice League“, der letzte „Star Wars“, blah). Und nachdem schon die beiden vorangegangenen „Avengers“-Abenteuer nicht eben günstig in der Herstellung waren, zählt „Infinity War“ nun zu den teuersten Filmen aller Zeiten und will seine Vorgänger auch im Einspielergebnis überholen. Die Meute an „Superwesen“ in dem Actioner ist gigantisch und „Thanos“ ein kosmischer Knilch – da wird’s wohl Abschiede geben. Hui, da kommt der Sausewind und bläst das Häuschen um! „Infinity War“ rockt das Haus und macht Spaß, weil er so unerwartet finster ist. Und nun, können wir uns unterhalten.
Es grenzt schon an Gigantomanie mit welcher Akribie das Marvel Cinematic Universe (MCU) über eine Dekade aufgebaut und ausgebaut wurde. Das Herz dieser Mega-Superhelden-Show aus der Comic-Welt ist das Superhelden-Team „The Avengers“. Immer wieder markieren die „Avengers“-Filme (Marvels Avengers & Avengers 2: Age of Ultron) Abschnitte im dem MCU, weil eben große, folgenschwere Ereignisse stattfinden, die sich auch auf die weiteren Filme auswirken. Allerdings fühlte sich der dritte „Captain America“-Film (2016) eigentlich auch wie eine Avengers-Veranstaltung an. Das liegt daran, dass die Drehbuchautoren Christopher Marcus und Stephen McFeely, die auch „Infinity War“ und den kommenden „Avengers“-Film schreiben, sich auf den Storybogen „Civil War“ von Comic-Autor Mark Millar („Secret Service“, „Kick-Ass“) bezogen und die Geschichte eigentliche alles Superhelden bei Marvel betrifft.
Jetzt, in „Avengers: Infinity War“, ist das allerdings schon fast vergessen. Die Avengers gibt’s nicht mehr. Captain America (Chris Evans) und Black Widow (Scarlett Johansson) sind irgendwo im Untergrund, weil die Armee sie immer noch sucht, Hawkeye hat während der vorliegenden Thanos-Episode was Besseres zu tun, während Scarlet Witch (Elizabeth Olsen) und Vision (Paul Bettany) Beziehung üben. Dann beginnt, was die Pop-Gruppe R.E.M. „The End of the World (as we know it)“ bezeichnete. Allerdings fühlt sich außer dem kosmischen Klunkersammler Thanos (Josh Brolin) keiner so wirklich fein.
Nämlicher Thanos ist ein Titan (angelehnt an die griechische Mythologie) und kommt vom Planeten Titan, den er zerstört hat, weil er in seiner Allmachtsfantasie das vermeintliche kosmische Gleichgewicht wiederherstellen will. Nun braucht Thanos zur Durchführung seiner galaktischen Vernichtungsorgie allerdings mehr Macht. Die Infinity-Steine, die beim Urknall als machtvolle Kristallisationen verschiedener Seins-Aspekte entstanden, geben in ihrer Gesamtheit gottgleiche Allmacht. Jeder Briefmarkensammler braucht ein Album, Thanos einen Handschuh, den Infinity Gauntlet, um die Steinchen auch richtig in Fassung zu bringen. Geschmiedet hat die mächtige Handbekleidung jener „Zwerg“, der auch Thors Hammer aus der Esse geklöppelt hat. In „Infinity War“ gibt es in dem Zusammenhang übrigens zwei meiner Lieblingsszenen.
Nu je, zwei der Steine sind auf der Erde: In Doctor Stranges (Benedict Cumberbatch) Amulett „Das Auge des Agamotto“ befindet sich der Zeit-Stein und Vision (Paul Bethany) existiert nur dank des Geist-Steins (und weil er auch ein bisschen Ultron ist). Nun schickt Thanos seine Handlanger – die Black Order – zur Erde, um die beiden Steine zu holen, doch die Kollegen mit dem Weltraumriesenrad, haben die Rechnung ohne den Wirt aka Sanctum Sanktorums Hausmeister Wong gemacht.
Bevor wir uns jetzt dem wiederauferstandenen Trauma widmen, dass Tony Stark ereilt, als über New York ein Raumschiff auftaucht wie weiland die Chitauri, ist es Zeit für den der kurzen Comic-Abgleich: Thanos wurde in den 1970ern von Autor Jin Starlin ersonnen, der den Titanen immer wieder mal ins Rennen schicken durfte, wenn es bei Marvel ins Weltall ging. In den 1990ern hat Starlin dann noch drei in sich abgeschlossenen Stories über Thanos beziehungsweise die Infinity-Steine abgeliefert, die heute nicht nur wegen der Bezüge zum MCU Klassiker sind. „The Infinity Gauntlet“, Infinty War“, und „The Infinity Crusade“. Alle drei Geschichten sind in den letzten Jahren auch bei Panini Comics als praktische Sammelbände erschienen.
Nachzulesen in der Space Opera „Infinity Gauntlet – Die Ewige Fehde“ ist beispielsweise, dass Thanos die Hälfte des Universums eliminieren will, um sie seiner großen Liebe Lady Death (die zeitweilig auch unter dem Namen Mistress Dress in den Marvel Comics herumturnt) zu opfern. Die spielt in den Filmen allerdings (noch) keine Rolle. Gleichfalls erinnert sich der geneigte Comic-Nerd, dass der Silver Surfer in „Infinity Gauntlet“ Thanos Ankunft verkündet, nachdem der Surfer in Stranges Haus gekracht ist. Im Film „Infinity War“ übernimmt der Hulk (Mark Ruffalo) diesen Botschafter-Job, nachdem er aus der grandios finsteren Anfangsszene gekickt wurde. Das ist filmisch wohl auch deshalb so, weil der Silver Surfer ins „Fantastic Four“-Franchise gehört, das – wie auch die „X-Men“ – immer noch nicht ins Mutterschiff im Disney-Konzern zurückgekehrt ist.
Apropos Filmauftakt: Anders als bisher bei den meisten Marvels Superhelden Blockbustern geht es in „Infinity War“ nicht mit einer Mega-Klopperei los, sondern mit dem Blues nach einer verlorenen Schlacht. Thanos hat bei der galaktischen Raumschiffschlacht gerade mal ein paar prominente Gefangenen gemacht und posiert erst einmal ausführlich als lila Bösewicht. Das ist auch notwendig, sah man in allen vorangegangenen Filmen doch nie mehr als Andeutungen des Titanen.
Also, der Hulk kann kurz vor der unbekannten Gefahr warnen, da taucht auch schon die Black Order in New York auf. Stark hat ein psychisches Problem mit außerirdischen Bedrohungen, denkt er wäre vorbereitet und schafft es doch nur mit magischer Hilfe und Peter Parkers Spinnennetz nicht gleich im ersten Filmdrittel auf der Verlusteliste zu landen. Strange rückt den Zeit-Stein nicht raus, also nehmen die Handlanger gleich den ganzen Magier mit und Spider-Man klebt am durchstartenden Raumschiff wie weiland die Tarantel in der Bananenkiste, während Tony Stark sich aufrafft, doch erst einmal die Welt zu retten, bevor er sich lebenslang bindet.
Der Rest der 149 Filmminuten ist Marvel-Superhelden-Rock’n’Roll wie man ihn kennt und liebt. Viele lässige Sprüche, Macho-Zickereinen zwischen Thor (Chris Hemsworth) und Starlord (Chris Pratt), zwischen Doctor Strange und Iron Man und solidarische Fights auf der weiblichen Seite: Scarlet Witch und Black Widow ergänzen sich wunderbar mit Wakandas Leibgarden-Chefin Okoye (Danai Gurira). An einigen Stellen wiederholt sich das Muster, das ein Held vor die Wahl gestellt wird, Geheimnisse auszuplaudern, oder jemand Geliebtes wird sterben. Zwischen epochaler Action, die meistens sehr überzeugend aussieht, selbst wenn der Presse der Film nicht in konvertiertem 3D gezeigt wurde, gibt es kleine, nett choreografierte Zweikämpfe. Trotz der vielen Schauplatzwechsel von einem Ende der Galaxie zum anderen war der geneigte Zuschauer bei vorangegangenen 18 Gelegenheiten schon (fast) überall und hat kleine Aha-Erlebnisse, die dafür sorgen, dass die Spannung nicht abflacht, während der Widerstand gegen den Titanen mit fester Hand vorangetrieben wird.
So viel Fantasy war noch nie im MCU. Allein die Haupthandlung, die Jagd nach den Infinity-Steinen erinnert an „Herr der Ringe“ und Konsorten. Gleiches gilt auch für die eine oder andere Schlachtenszene. Vor allem aber kommt „Avengers: Infinity War“ der Düsternis sehr nahe, die auch Tolkiens Epos so faszinierend machte. Für einen Superhelden-Blockbuster ist das überraschend und außergewöhnlich. Aber seht selbst. Und eine letzte Bemerkung: Es gibt in „Infinity War“ nur eine Abspann-Szene ganz am Ende, aber die hat es in sich. Das Sitzenbleiben lohnt sich.
Ich habe bestimmt etliche interessante Punkte zu erwähnen vergessen, die mir während des Films so in den Kopf gekommen sind, aber dafür ist „Avengers: Infinity War“ ja da: dass der Comic-Fan und Nerd haufenweise Querverweise und Ostereier findet. Ich bin nicht sicher, ob man mit dem Film auch ohne Vorwissen irgendetwas anfangen kann (schlicht, weil ich die alle kenne), aber die Frage scheint mir eh hypothetisch, da es kaum anzunehmen ist, dass sich jemand in den Film verirrt, der nicht weiß, worum es geht. Ich behaupte dennoch, die Grundstory trägt. Die Gags sorgen dann vielleicht für Verwirrung, aber Kalauer versteht man auch ohne Studium.
Ich habe mir meine Jugend mit Superhelden-Comics versaut und freue mich nun vorab tatsächlich über jeden Film, der da ins Kino kommt. Auch wenn einige nicht so gelungen sind und ich es lieber mag, wenn mir eine Origin-Story erzählt wird, fällt es mir leicht, neidlos anzuerkennen, dass „Avengers: Infinity War“ besser ist, als ich gehofft hatte. Einige Erwartungen wurden erfüllt, andere grandios unterlaufen. Ich bin begeistert.
Film-Wertung: (9 / 10)
Avengers: Inifinty War
OT: Avengers: Inifinty War
Genre; Sci-Fi, Action, Adventure
Länge: 149 Minuten, USA, 2018
Regie: Anthony & Joe Russo
Darsteller: Robert Downey Jr, Chris Hemthworth, Marc Ruffalo, Chris Evans, Scarlett Johansson
FSK: AB 12 Jahren
Vertrieb: Walt Disney Pictures / Marvel Studios
Kinostart: 26.04.2018