Aus dem Archiv in den #Bildungsherbst. „Friedensschlag“ von 2010. Gewaltbereite, straffällig gewordene junge Männer auf dem Weg in den Knast. Ihre letzte Chance ist eine soziale Maßnahme bei der „Work & Box Company“. Hier haben die Jungs die letzte Gelegenheit die Kurve zu kriegen, doch der Weg ist hart und führt unweigerlich durch den Boxring zur Konfrontation mit sich selbst.
Der Dokumentarfilm „Friedensschlag“ begleitet eine Gruppe jugendlicher Gewalttäter über ein Jahr lang in ihrem Alltag in der „Work & Box Company“ in der Nähe von München. Das ist für die wiederholt straffällig gewordenen Gewalttäter buchstäblich die letzte Station, bevor es in den Strafvollzug geht.
Die Work & Box Company integriert seit 2002 mit einer ungewöhnlichen aber erfolgreichen Methode jugendliche Straftäter in den Arbeitsmarkt und in die Gesellschaft. Das Team aus Sozialpädagogen, Psychologen, Boxtrainern und Handwerksausbildern begleitet die Teilnehmer über ein Jahr lang intensiv und individuell. Vereinfacht dargestellt durchlaufen die jungen Männer in der Resozialisierung unterschiedliche Phasen: Konfrontation mit sich selbst, Orientierung nach innen und außen, Kontaktaufnahme nach außen und eine halbjährige Nachbetreuung.
Boxen als Sport, Therapie und Weg der Selbstfindung ist für das Konzept ebenso wesentlich wie die körperliche Arbeit als intensive Realitätserfahrung für die Jugendlichen. Und der Erfolg gibt der Work & Box Company Recht: vier von fünf Teilnehmern werden in den Arbeitsmarkt vermittelt und schaffen es dem Knast zu entgehen. So auch am Ende des Films.
Reintegration statt Knast
Gerardo Milsztein begleitet mit seinem Regieerstling einen Jahrgang der jungen Männer. Dabei wechseln sich Interview-Sequenzen mit Trainingseinheiten und Alltagsbeobachtungen in kurzweiliger und fesselnder Weise ab. Heraus kommt ein intensives Portrait der Jugendlichen und der Arbeit der Work & Box Company.
Diese außergewöhnliche Resozialisierungsmaßnahme bietet den Teilnehmern jegliche erdenkliche Hilfestellung an und respektiert die Jugendlichen ebenso, wie die Verantwortlichen ihrerseits Respekt einfordern. Der Umgangston ist bisweilen rau, aber immer um eine intensive Auseinandersetzung bemüht. Erstaunlich ist auch, dass den Jungendlichen die Möglichkeit gegeben wird, selbst eine Perspektive zu entwickeln und nicht versucht wird, ihnen etwas aufzudrängen.
Der Dreh- und Angelpunkt des ganzen Projektes ist dabei das Boxtraining. Überraschender Weise tun sich anfangs alle der Gewalttäter damit sehr schwer. Der Nutzen des Trainings wird ebenso in Frage gestellt wie die Auseinandersetzung gescheut. Es scheint fast, als würden die Jungs die körperliche Anstrengung scheuen und sich weigern die Regeln des Sports zu akzeptieren.
Sozialarbeit im Boxring
Wenn die ersten Phasen der Maßnahme zu wirken beginnen, geht es darum Lehrstellen für die Teilnehmer zu finden. Auch hier stoßen die Jugendlichen immer wieder auf scheinbar unüberwindliche Hindernisse. Doch die Sozialarbeiter helfen dabei, nicht den Mut zu verlieren und Selbstvertrauen aufzubauen und Lösungsstrategien zu finden.
Dadurch, dass Filmemacher Gerado Milsztein einen begleitenden Blickwinkel annimmt und keinen erzählenden, ist der Film seinem Thema und seinen Protagonisten gegenüber respektvoll und schafft es, dem Zuschauer ungewohnte Einblicke zu vermitteln. Der Film baut zu jedem der Protagonisten eine intensive Beziehung auf, die sich nicht lange mit Oberflächlichkeiten aufhält.
Eben dies und ein rockiger Soundtrack macht „Friedensschlag“ auch für eine jugendliche Zielgruppe interessant. Es wird nicht distanziert über ein gesellschaftliches Phänomen berichtet, sondern die Realität und Weltsicht und Eigenwahrnehmung derer vermittelt, die wiederholt Täter waren.
Wer sich mit dem Phänomen jugendlicher Gewalt ernsthaft auseinandersetzt, kommt an „Friedensschlag“ nicht vorbei. Der Dokumentarfilm bietet einen wertvollen und wichtigen Diskussionsbeitrag und zeigt einen Ansatz auf, wie man mit jugendlichen Gewalttätern umgehen kann. Gleichzeitig entwickelt sich aus der scheinbaren Ausweglosigkeit der Situation, in der die Jugendlichen stecken tatsächlich, wie der Regisseur im Interview erwähnt, eine Dramaturgie, die an ein klassisches Drama erinnert und so für einen spannenden Film sorgt.
„Friedenschlag“ ist ein außergewöhnlich gelungener und intensiver Dokumentarfilm, dessen Thema aktueller und dringender kaum sein könnte und der es dennoch schafft, den Zuschauer zu fesseln und zum Nachdenken anzuregen.
Film-Wertung: (9 / 10)
Friedensschlag – Das Jahr der Entscheidung
OT: Friedensschlag – Das Jahr der Entscheidung
Genre: Doku, Gesellschaft
Länge: 107 Minuten, D, 2010
Regie: Gerardo Milsztein
Mitwirkende: Eftal, Marco, Josef, Denis, Juan, Rupert Voss, Werner Makella u.v.a.
FSK: ab 12 Jahren
Vertrieb: Piffl Medien, Alive
Kinostart: 15.04.2010
DVD-VÖ: 15.10.2010
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