Maudie: Naive Malerei

Die etwas krude Love Story zwischen einer eigensinnigen, verkrüppelten Frau und einem einfältigen, rüpelhaften Händler mitten im ländlichen Kanada der 1930er Jahre wirkt als wäre sie direkt aus einer Tom Waits Ballade entsprungen. Aber weit gefehlt: Maud Dowley wurde für ihre naive Kunst als Folk Artist bekannt und berühmt. Ethan Hawke und vor allem eine hinreißende und anbetungswürdige Sally Hawkins machen die Künstlerbiographie „“Maudie“ zu einem anrührenden und schönen Film.

Als die ruppige Romanze „Maudie“ beginnt und die Charaktere etabliert sind, ist mein erster Gedanke, dass sowohl Sally Hawkins als auch Ethan Hawke zu schön für ihre Rollen sind. Es dauert ein paar Minuten an der ruderalen kanadischen Filmküste bis das Auge des Betrachters zulassen kann, dass die bekannten und geschätzten Darsteller in ihren Rollen verschwinden und dann mit großer Intensität eben jene Personen werden, um die es geht: Maud Dowley und Everett Lewis. Die wunderbare Filmbiografie hat schon zwei Jahre auf dem Buckel, aber bei der Vorstellung von „An Inspector Calls“ habe ich bemerkt, dass ich „Maudie“ auf diesen Seiten nicht besprochen hatte. Jetzt aber.

Fiktionalisierte Künsterbiographien lassen sich immer auf unterschiedliche Weise angehen. Für „Maudie“, das Portrait der kanadischen Malerin Maud Dowley, die mit ihrem naiven Stil und den idyllischen Motiven berühmt würde und heute als wichtige „Folk Künstlerin“ Kanadas gilt, hat sich Regisseurin Aisling Walsh entschieden, eine Liebesgeschichte zu erzählen. Mit Sally Hawkins und Ethan Hawke ist der Film großartig besetzt und zeigt hinreißend die Beziehung zweier Außenseiter, die zusammen ihren Weg gehen. Beide sind vom Schicksal nicht eben begünstigt und auf ihre Weise gesellschaftliche Außenseiter in der ländlichen Gemeinde in den 1930er Jahren. Eher als Notgemeinschaft finden die beiden kauzigen Gestalten in Everetts kleiner, aber eigener Hütte zueinander.

Ihre ältliche Tante sieht es nicht gerne, wenn Maud (Sally Hawkins) auf der Veranda sitzt, raucht und ihre seltsamen Bilderchen malt. Seit ihrer Kindheit ist die inzwischen erwachsene Maud an rheumatischer Arthritis erkrankt, weshalb sie humpelt und verkrüppelte Hände hat. Mauds Bruder kümmert sich kaum um sie, gibt der Tante gelegentlich Geld und das war‘s. Irgendwann platzt Maud der Kragen. Sie zieht aus, als ihre Tante wieder über die Nutzlosigkeit ihrer Nichte und das eigene Unglück jammert. In den 1930ern in dem kleinen kanadischen Küstenkaff eine Bleibe zu finden ist alles andere als einfach.

Zufällig ist sie gerade im örtlichen Kramladen als Everett Lewis (Ethan Hawke) polternd und rabaukenhaft nach einer Putzhilfe sucht. Everett lebt mehr schlecht als recht vom fahrenden Fischverkauf. Er haust bescheiden in einer abgelegenen Hütte, aber mit dem Haushalt kommt er weniger gut zurecht. Everett ist mehr als skeptisch als Maud sich vorstellt. Schnell wird klar, dass Maud im Haushalt kaum zu gebrauchen ist, aber sie macht sich auf andere Weise nützlich und Everett findet Gefallen an ihren gemalten Verschönerungen im Haus.

Ein wenig beginnt Aisling Walshs Filmportrait „Maudie“ wie eine Geschichte von Charles Dickens. Doch diese erwachsene Frau nimmt ihr Leben selbst in die Hand. Das ist umso erstaunlicher, weil Maud Dowley in den 1930ern gleich zwei Handicaps hat, sie ist körperlich beeinträchtigt und sie ist eine Frau. Wie sich ihr zukünftiger Arbeitgeber Everett, trotz kaum genossener Waisenhaus-Schulbildung die gesellschaftliche Rollenverteilung vorstellt, wird schnell klar. Als Zuschauer fürchtet man, der jähzornige Mann würde aus Wut auf die Haushaltshilfe einprügeln. Aber mit einer erstaunlichen Sensibilität nähern sich diese beiden gesellschaftlichen Außenseiter einander an, gewöhnen sich ebenso aneinander wie sie erkennen, dass sie sich gegenseitig helfen können.

Das mag genauso unromantisch klingen, wie es sich im Film tatsächlich gestaltet, aber gerade darin liegt die große Kraft dieser erstaunlichen Beziehung. Von Sally Hawkins und Ethan Hawke ist das großartig gespielt und mit herzzerreißender Intensität dargeboten. Dabei lässt Hawke, der als Chet Baker in „Born to Be Blue“ gerade erst ein paar Monaten zuvor in den Kinos zu sehen war, nie einen Zweifel daran, dass er in „Maudie“ nur die zweite Geige spielt. Bei aller cholerischen Polterei seines Charakters, erkennt dieser, dass es seine Frau ist, die zu Außergewöhnlichem im Stande ist. Das wirkt auf der Leinwand verblüffend emanzipiert. Gerade wenn man Maud Dowleys künstlerische Geschichte mit jener von Margaret Keane vergleicht, die Tim Burton in „Big Eyes“ erzählte.

Sally Hawkins, die mit ihrer Rolle in Mike Leighs „Happy Go Lucky“ 2008 große Aufmerksamkeit erregte, brilliert in „Maudie“ als körperlich eingeschränkte Frau und Künstlerin, die einfach tut, was ihr Spaß macht, und weiß, was sie nicht will – nämlich bemitleidet und bevormundet werden. Statt dessen hält sie an dem fest, was sie liebt und hat damit Erfolg – das mag zwar auch ein wenig dem Zufall geschuldet sein (zumindest wirkt es im Film so) – aber die demütige und lebenskluge Frau weiß das einzuordnen.

Wer Sally Hawkins Karriere verfolgt hat, bemerkt, dass die außergewöhnliche Schauspielerin aus jeder noch so kleinen Rolle etwas Einzigartiges zu machen versteht. Maud Dowley ist Oscar-verdächtiges Schaulaufen. Umso erstaunlicher, dass die Academy sie 2013 für ihre „Nebenrolle“ in Woody Allens „Blue Jasmin“ nominierte und 2017 für ihre stumme Rolle in Guillermo del Toros „The Shape of Water“, nicht aber für „Maudie“.

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Bei aller Fokussierung auf die Charaktere dieser erstaunlichen und anrührenden Liebesgeschichte macht auch die Landschaft „Maudie“ zu einen großartigen Film. Gedreht wurde, was das raue und schöne Nova Scotia sein soll, quasi „nebenan, auf Neufundland. Die Produzenten haben hier nach eigener Aussage Locations gefunden, in denen die Zeit stehen geblieben und der Fortschritt einfach vorbeigezogen sei. Die großartigen Filmkulissen unterstützen also nicht nur die Geschichte, sondern sind an sich schon Schauwert genug.

Gelegentlich mag es in Aisling Walshs „Maudie“ etwas zu rührselig zugehen, aber der Grundton dieser außergewöhnlichen Romanze geht zu Herzen. Vor allem die beiden furios in ihren Rollen aufgehenden Hauptdarsteller lassen schnell vergessen, wie sehr ihre Charaktere von der Gesellschaft und der rauen Landschaft an den Rand gedrängt werden. Sich hier in zweifacher Hinsicht zu behaupten, ist eine starke Leistung. Dabei noch das persönliche Glück zu finden, ist wert in einem großartigen Film erzählt zu werden.

Film-Wertung 9 out of 10 stars (9 / 10)

Maudie
OT: Maudie
Länge: 115 Minuten, Irland, Kanada, 2016
Genre: Biographie, Drama,
Regie: Aisling Walsh
Darsteller: Sally Hawkins, Ethan Hawke
FSK: ab 12 Jahren
Vertrieb: Concorde, EuroVideo
Kinostart: 26.10.2017
DVD- & BD-VÖ: 27.02.2018