Am liebsten mag ich Monster: Das Grauen sitzt im Schrank

Wer die internationale Comic-Szene beobachtet, der könnte schon einmal auf den Namen Emil Ferris gestoßen sein und von dem Titel „My favorite Thing is Monsters“ gehört haben. In den USA gilt die epische, ausufernde Bilderzählung seit ihrem Erscheinen im Februar 2017 als die innovativste Graphic Novel seit langem. Nun hat Panini Comics „Am liebsten mag ich Monster“  in übersetzter Form auch hierzulande herausgebracht. Das großformatige, überbordende Album ist klasse.

Für Comickünstler kommt es schon einer Erhebung in den Adelsstand gleich, wenn Art Spiegelmann einem bescheinigt, man habe einen „neuen Rhythmus in den Comic an sich gebracht“. Art Spiegelmann („Im Schatten zweier Türme“), der mit der hochgelobten historisch-biografischen Graphic Novel „Maus“ (erste Buchausgabe 1986) das Genre revolutionierte und mitdefinierte, war ebenso fasziniert von „Am liebsten mag ich Monster“ wie auch Alison Bechdel. Nicht umsonst heimste die tagebuchartige Aufzeichnung der jungen Karen Reyes auch viele wichtige amerikanische Comicpreise ein, unter anderem den „Eisner Award“.

Nun also ist „Am liebsten mag ich Monster“ in deutscher Übersetzung bei Panini Comics erscheinen. Stilecht als Ringbuchkladde aufgemacht (allerdings ohne die metallene Bindung) erzählt die Graphic Novel was die zehnjährige Karen Reyes so alles aus ihrem Leben so notiert. Karen lebt mit ihrem älteren, erwachsenen Bruder und ihrer Mutter im Chicago der ausgehenden 1960er Jahre. Die Gegend ist nicht gerade wohlhabend und angesehen und Karen hat ein Faible für alles, was mit Horror zu tun hat. Kein Wunder also, dass „Am liebsten mag ich Monster“ mit Karens Verwandlung in einen Werwolf beginnen. Das ist beileibe nicht so niedlich cartoonesque wie Calvins Stofftier Hobbes, hat aber gelegentlich ähnlich anheimelnde Momente.

Karen zeichnet gerne und beobachtet ihre Umwelt sehr aufmerksam. Von ihren Mitschülern wird sie für einen Freak gehalten und die Nachbarn im Mietshaus der Reyes sind auch recht eigenwillig. Eines Tages im Februar wird Anka Silverberg, die deutschstämmige Frau eines Jazz-Schlagzeugers tot in ihrer Wohnung aufgefunden. Die Polizei redet von Selbstmord, kann aber die Waffe nicht finden. Mister Silverberg war angeblich nicht in der Stadt, sondern hatte einen Auftritt, doch sein Alibi ist nicht gerade hieb- und stichfest.

Karen, die – wenn es nach ihrer Mutter geht – von alledem nichts mitbekommen soll, erkennt die kriminalistischen Ungereimtheiten, leiht sich von ihrem Bruder Diego Zapato, aka D.Z. also Deezee, einen Hut und einem Mantel und wird selbst als Privatdetektivin im Todesfall Anka Silverberg tätig. Was bei dieser Storywendung dann ans Licht kommt ist schon eine Spur furchteinflößender und verstörender als der trashige Horror der Groschenhefte und des Schwarzweißfernsehens, den Karen so liebt. Karen mag aber auch Kunst und ihr tätowierter Bruder hat ihr mit vielen Museumsbesuchen Ettliches an künstlerischer Bildung mit auf den Weg gegeben, wovon die eher schlichte und höchst abergläubische Mutter nichts wissen soll. Schließlich geht es auf interessanten Gemälden auch schon mal recht freizügig zu.

Emil Ferris feierte ihr Debüt als Comic-Künstlerin mit 56 Jahren. Das scheint recht erstaunlich und mag den eigenwilligen Zeichenstil vordergründig erklären. Aber auch in den Jahren  und Jahrzehnten vorher war die studierte Illustratorin und Spielzeugdesignerin gestalterisch tätig. Ein Stipendium machte es ihr dann möglich, diese furiose Graphic Novel zu erstellen. 420 Seiten vollgepackt mit Zeichnungen aller möglichen Stilistiken und Farbigkeiten, immer aber mit Strichzeichnungen angefertigt und mit Schraffuren verdichtet, wo Flächen zu füllen waren. Allein dieser Stil ist sehr eigenständig und beinahe expressionistisch, erinnert an Holz- und Linolschnitte, ist aber wesentlich filigraner. Dabei kann sich kein Künstler ernsthaft an die Beschränkung von Panels halten, sondern schafft einen eigenen Lesefluss und braucht die ganze Weite der Seite. Ein wenig ist der erste Kontakt mit „Am liebsten mag ich Monster“ so wie Karens erstes Erblicken des Gemäldes „Ein Sonntagmorgen auf der Insel La Grande Jatte“ von George Seurat, bei dem sich der Überraschungseffekt einstellt, dass das Gemälde aus Punkten besteht, wenn der Betrachter näher an das Bild herantritt.

„Am liebsten mag ich Monster“ ist keine autobiografische Graphic Novel, wie das bei vielen Beiträgen aus diesem Genre der Fall ist, etwa „Blanquets“ von Craig Thompson, oder  „Marzi“ von Marzena Sowa oder auch die Jugendgeschichte „Smile“ von Raina Telgemeier. Dennoch ist auch die Autorin Emil Ferris ist in den 1960er Jahren im politisch umtriebigen Chicago aufgewachsen, steht auf Horror-Geschichten und Kunst. Der Rest ist erzählerische Freiheit. Ferris hat zehn Jahre an „Am liebsten mag ich Monster gearbeitet“ und dabei einen ganz eigenen kindlichen Kosmos geschaffen, der mit seinen Bezügen zu Trash und Kunst ebenso fasziniert, wie mit dem scheinbar unschuldigen, kindlichen Blickwinkel auf die Schrecken der Erwachsenenwelt. Das ist in mehrfacher Hinsicht außergewöhnlich und noch lange nicht vorbei. Emil Ferris arbeitet derzeit an einer Fortsetzung von Karens Geschichte, die im September 2019 in den USA erscheinen soll. Bis dahin mögen möglichst viele Leser sich diesen Solitär unter den Graphic Novels zu Gemüte geführt haben. Die außerordentliche Geschichte hätte es verdient.

Die zeitgeschichtliche Graphic Novel „Am liebsten mag ich Monster“ verknüpft in ganz eigener Art und Weise nicht nur unterschiedlichste Zeichenstilistiken zu einem überbordenen, fast manischen grafischen Ganzen, sondern ohne Berührungsängste Elemente und Handlungsstränge aus unterschiedlichsten Lebensbereiche. Autorin und Zeichnerin Emil Ferris verwebt diese Elemente unter dem Deckmantel trashig-naiven Groschenheft-Grusels zu einer furchteinflößenden, manchmal sehr düsteren aber schillernden und faszinierenden Erzählung.

Comic-Wertung: 10 out of 10 stars (10 / 10)

Am liebsten mag ich Monster
OT: My favorite Thing is Monsters, Fantagraphics Books, 2017
Genre: Graphic Novel,
Autorin & Zeichnerin: Emil Ferris
Übersetzung: Torsten Hempel,
Verlag: Panini Comics, Softcover, 420 Seiten
VÖ: 25.06.2018

Emil Ferris Homepage

Emil Ferris bei Wikipedia

gezeichnete Entstehungsgeschcihte von „Am liebsten mag ich Monster“ im Chicago Magazin

(Dank für den Link an Thomas Groß‘ Artikel im Deutschlandfunk-Kultur

„Am liebsten mag ich Monster“ bei Panini Comics