Anfang der 1950er Jahre begibt sich die amerikanische Dichterin Elizabeth Bishop auf eine Reise nach Brasilien. Dass sie dort länger als zwei Wochen bleiben würde, hatte „Die Poetin“ nicht erwartet. Auch nicht, dass sie dort viele ihrer bedeutendsten Werke schreiben würde, die ihr schließlich den Pulitzer-Preis und literarischen Ruhm als bedeutendste amerikanische Lyrikerin des 20. Jahrhunderts einbrachten. Der 2014 erschienene brasilianische Film von Regisseur Bruno Barretto erzählt aber vor allem von einer großen Liebesgeschichte. Überarbeitung des Review zum Kinostart.
Reisen bildet, weiß der Volksmund zu berichten. Auch Künstler wissen den Wert einer Reise zu schätzen, um wieder Ideen zu bekommen. So auch Elisabeth Bishop (Miranda Otto), die zu Beginn des Films im Jahr 1951 im New Yorker Central park sitzt und ihrem Freund Robert Lowell (Treat Williams) ihr neuestes Gedicht vorträgt. Der hält es für unfertig: es höre gerade an der Stelle auf, wo es sich eigentlich und entfalten solle.
Der Dichterin mangelt es momentan an Inspiration. Sie hat eine kreative Krise, und so beschließt sie auf eine Schiffsreise zu gehen. In Brasilien will sie ihre Jugendfreundin Mary (Tracy Middendorf) besuchten, die dort seit einigen Jahren mit der Architektin Lota de Macado Soares (Glória Pires) zusammenlebt.
Eine Amerikanerin in Brasilien
Doch der Empfang in Brasilien gerät nicht gerade herzlich. Elisabeth reagiert auf das südamerikanische Temperament und die Lebensfreude mit spröder Zurückhaltung, die von Lota nicht für Schüchternheit, sondern für Arroganz gehalten wird. Kulturelle Unterschiede werden allzu offensichtlich. Eigentlich wollte Elizabeth schon vorzeitig abreisen, doch ein allergischer Shock zwingt sie zu bleiben. Während Mary ins Abseits gerät, kommen sich Lota und Elizabeth näher und verlieben sich. Elisabeth bleibt in Brasilien und beginnt wieder zu schreiben.
Eigentlich ist es nicht ganz richtig, den Film von Regisseur Bruno Baretto auf die Lyrikerin Elisabeth Bishop zu reduzieren und der deutsche Titel „Die Poetin“ führt ein wenig in die Irre, denn im Mittelpunkt des Films, der im Original „Flores Rares“ (Seltene Blumen) heißt, steht eindeutig die Liebesbeziehung zwischen zwei starken Frauen, die so gegensätzlich erscheinen und sich genau deshalb attraktiv finden. Auch Lota Soares war eine erfolgreiche Frau, die aus einer angesehenen brasilianischen Politikerfamilie stammt. Die literarische Vorlage des Films stammt von der brasilianischen Autorin Carmen L. Oliveira und wurde bislang nicht auf deutsch publiziert.
Regisseur Bruno Barretto drehte in der Zeit von 1990 bis 2003 in den USA Filme (u. a. „Vier Tage im September“, „Flight Girls“) machte. Er befindet „Die Poetin“ seinen bislang schwierigsten Film, da der Subtext wichtiger sei als der eigentliche Text. Vielleicht liegt es an dieser Herangehensweise, dass „Die Poetin“ über weite Strecken doch sehr getragen wirkt; und zumindest in der deutschen Fassung ein wenig zu bieder daherkommt.
Wo die Liebe blüht
Vieles wirkt etwas überdramatisiert. Dabei ist dieser Lebensentwurf durchaus eine Seltenheit in der Filmgeschichte: Offen ausgelebte weibliche Homosexualität in den verstockten und konservativen 1950er Jahren und die irgendwie moderne Dreierkonstellation zwischen Mary, Lota und Elizabeth auf Lotas Anwesen sind schon beachtenswert. Die Patchwork-Familie ist dabei nicht frei von Konflikten.
Vieles in „Die Poetin“ bleibt Andeutung und wird dann doch reduziert auf den wesentlichen Kontrast zwischen Lotas zupackender selbstbewusster Lebensfreude und Elisabeths selbstzweifelndem, künstlerischen Suchen. Das bricht immer wieder in alkoholgeschwängertem, selbstzerstörerischem Nihilismus aus. Die Figur der Mary verkommt zunehmend zu einer Randfigur, die ihr Schicksal still zu ertragen scheint, letztlich aber ihrer Eifersucht doch bitterlich Ausdruck verleiht.
Die drei Hauptdarstellerinnen übezeugen und vor allem die hierzulande kaum bekannte Brasilianerin (Glória Pires) strahlt eine enorme Leinwandpräsenz aus. Dass die Darstellerinnen die die etwas träge Dynamik der Erzählung über weite Strecken überspielen können, ist in dieser getragenen filmischen Doppelbiographie auch notwendig, um den Zuschauer bei der Stange zu halten.
„Die Poetin“ hat aber auch noch andere großartig inszenierte Schauwerte zu bieten. Die Ausstattung und die Settings sind für Kunst- und Architekturliebhaber eine wahre Augenweide. Die Architektur des Anwesens in Brasilien, die Interieurs und auch die Details an Schmuck und ähnlichen vermeintlichen Kleinigkeiten sind von der Kunst Edward Hoppers inspiriert und sehr detailverliebt und stilsicher inszeniert.
Mondäner Stil in den 1950ern
Das ist immer wieder einen zweiten Blick wert und entschädigt für einige dramaturgische Langatmigkeiten. Und dann wäre da noch die subtropische und tropische Landschaft Brasiliens, die im dem Film zwar keine tragende Rolle spielt, aber zum optischen Gelingen beiträgt und das Gesamtbild famos abrundet.
Und „Die Poetin“ inszeniert auch eine weltoffene, mondäne, ja beinahe noch postkoloniale Phase in der jüngeren Geschichte Brasiliens, ähnlich jenes Gesellschaftsbildes, das in der Graphic Novel „Ava – Die barfüßige Gräfin“ gezeigt wird. Darin zeigt sich auch wie sehr das Leben in der späteren Militärdiktatur eingeschränkt, kontrolliert und bedrohlich geworden ist, so wie das in dem herausragenden Drama „I’m still Here“ von Walter Salles porträtiert wird.
Die Schauwerte und die Darstellerinnen in dem brasilianischen Drama „Die Poetin“ wissen zu überzeugen. Das Erzähltempo ist bisweilen sehr betulich und wohl beabsichtigt für eine eher ältere kunst- und literaturinteressierte Zielgruppe ausgelegt. Die Themen Lyrik und auch gleichgeschlechtliche Liebesbeziehungen unter reiferen Frauen werden wohl im Wesentlichen ein weibliches Publikum ansprechen. Aber: Reisen bildet, auch auf der Leinwand.

Die Poetin
OT: Flores Rares, int. Verleihtitel: „Reaching fort he Moon“
Genre: Biografie, Drama
Länge: 118 Minuten, BR, 2013
Regie: Bruno Barretto
Vorlage: Roman „Flores Rars e banalissima“ von Carmen L. Oliveira
Schauspiel: Miranda Otto, Tracy Middendorf, Gloría Peres
FSK: ab 6 Jahren
Verleih: Pandastorm
Kinostart: 10.04.2014
DVD-& BD-VÖ: 09.10.2020 (re)