Timbuktu: Leben im Gottesstaat

Heute startet das Filmfest Hamburg 2023. Insofern ist es ganz passend, den Abschlussfilm von 2014. Zumal das afrikanische Drama „Timbuktu“ auch in das Herbstthema #PolitischeBildung auf diesen Seiten passt. Der Mauretanische Filmmacher Abderrahmane Sissako zeigte in seinem Drama wie es sich anfühlt in einem islamistischen Gottesstaat zu leben. Dafür gab es nicht nur in Cannes einen Preis. Der ruhige und eindrückliche Film zeigt, dass auch in Afrika starke Filme gemacht werden.

Scheinbar wild feuern Männer von den durch die Savanne rasenden Jeeps auf die einzelne Antilope im Busch. Das Tier versucht Haken schlagend der Bedrohung zu entkommen. Die Männer wollen aber nicht töten, sie wollen ihre Beute hetzen und ermüden. Diese Eröffnungssequenz wird von Filmmacher Sissako als dramaturgische Klammer für sein Alltagspanorama „Timbuktu“ benutzt und zugleich als Symbol für einen Abnutzungskampf. Die Männer in den Jeeps sind Dschihadisten und haben gerade in Mali die Macht übernommen haben. Nun soll die Bevölkerung der legendäre Oasenstadt Timbuktu auf Kurs gebracht werden.

„Timbuktu“ greift viele Alltagsszenen und Schicksale auf, doch der dramaturgische Kern ist die Geschichte von Tamaschek Kidane. Dessen nomadische Stammesgenossen sind bereits weitergezogen, doch der Hirte verharrt mit Frau und Tochter Toya in der Nähe der Stadt. Eines Tages entwischt seinen Hirtenjungen eine trächtige Kuh und zerstört an der Tränke Fischernetze. Dass der Fischer die Kuh deshalb tötet, bringt tragische Ereignisse ins Rollen.

Alltag im Fundamentalismus

Würde das Publikum „Timbuktu“ ausschließlich nach diesem erzählerischen Kern betrachten, so sähe man einen etwas schlichten, aber gelungenen Arthaus-Film, der mit starken Bildern von einem Drama erzählt. Spannender und eindringlicher ist das, was der Film um diesen Kern herum erzählt: der mühselige, freudlose Alltag unter dem Regime fundamentalistischer Muslime.

„Timbuktu“ zeigt nicht das klischeehafte Bild der verblendeten und brutalen Gotteskrieger, sondern zeigt die Dschihadisten als zusammengewürfelten Haufen. Der spricht noch nicht einmal eine gemeinsame Sprache, weiß aber genau, wie die Gesellschaft nach der der heiligen Schrift zu funktionieren hat. In diesem babylonischen Sprachgewirr aus Arabisch, Tamaschek, Französisch, Bambara und ein paar notdürftigen Brocken Englisch befehlen die Fundamentalisten Marktfrauen Handschuhe zu tragen, verbieten das Musikzieren, bahnen Zwangsheiraten an und halten Scharia über alles und jeden.

Abderrahmane Sissako stammt aus Mauretanien und ist im Nachbarstaat Mali aufgewachsen. „Timbuktu“ ist sein vierter Spielfilm und beruht auf der Machtübernahme der Dschihadisten im Norden Malis im Jahr 2012, bevor die Franzosen militärisch Interveniert haben. (Vergleiche dazu auch die Musikdoku „Woodstock in Timbuktu“). Die Region ist nach wie vor unbefriedet und auch die Fundamentalisten sind zumindest in Nordmali immer noch oder schon wieder an der Macht. .

Die Kuh, der Fischer und der Tod

Sissakos Film umschifft Plattitüden, zeigt stattdessen Kleinteiliges. Etwa den entnervten kleinen Widerstand der Bevölkerung oder die Widersprüche der Dschihadisten. Beispielsweise personifiziert in Abdelkrim, einem ihrer Anführer, der heimlich raucht und der Frau des Tamaschek Kidane nachstellt. Auch das Musik-Verbot schwer durchzusetzen. Was tun, wenn die entsandten Häscher den Gesang als religiöses Loblied identifizieren? Der Umgang des Films mit seinem eigenen, spärlich verwendeten Score allerdings ist nicht sonderlich stimmig, es sein denn man will gerade darin ein eindeutiges Statement gegen den Gottesstaat sehen. Denn ansonsten sprechen die Szenen für sich und Sissako ist nicht geneigt, den Zuschauer zu bevormunden.

„Timbuktu“ kommt fast ohne explizit gezeigte Grausamkeit aus. Die wäre angesichts der Bedrohung durch waffenstarre Fundamentalisten-Willkür auch unnötig, aber ein leichtes Motiv. Bilder der Zerstörung – im wörtlichen wie übertragenen Sinn – von Stammeskunstwerken ist eindrücklich genug. Aussagestark ist auch jene Szene, in der Abdelkrim ein Grasbüschel mit dem MG einkürzt. Kann man die Natur wirklich am Wachsen hindern?

Wenn der Imam der weltberühmten Moschee von Timbuktu mit den Dschihadisten diskutiert und ihnen dabei ihr eigenes unreligiöses und respektloses Verhalten aufzeigt, ist das klug dramatisiert und zeigt auf, dass Religion auch immer andere Wortauslegungen zulässt als die fundamentalistische. Das mag eine Binsenweisheit sein, hat aber in der Dramaturgie- und Erzählhaltung des Filmes aber Gewicht und Trost.

In seinem sehenswerten Drama „Timbuktu“ findet der mauretanische Filmmacher Abderrahmane Sissako poetische und kluge und exemplarische Bilder für das Leben in den engen Grenzen fundamentalistischer Religionsauslegung. Das Publikum erlebt mit wie es sich anfühlt, in einem islamischen Gottesstaat zu leben. Ein eindrückliches Drama mit starker Botschaft.

Film-Wertung: 8 out of 10 stars (8 / 10)

Timbuktu
OT: Timbuktu
Genre: Drama
Länge: 97 Minuten, F / RIM, 2014
Regie: Abderrahmane Sissaku
Dearsteller:innen: Ibrahim Ahmed, Abel Jafri, Toulou Kiki
FSK: ab 12 Jahren
Vertrieb: Indigo, Arsenal
Kinostart: 11.12.2014
DVD-VÖ: 08.05.2015