Burning Days: Keilerhatz

Die Hitze in Yaniklar ist unerträglich und die Trockenheit gehört von je her zum Dorfleben. Doch der neue Staatsanwalt hat in der anatolischen Provinz einen schwierigen Prozess um die Wasserförderung geerbt. Da hilft es nicht gerade, dass sich im Dorf jeder kennt und die Macht quasi immer in der Familie bleibt. In seiner fiebrigen Intensität ist der türkische Thriller „Burning Days“ eine der Überraschungen des Kinojahres. Der Vertrieb Cinemien bringt den Film von Emin Alper am 28. September in die Kinos.

Staatsanwalt Emre (Selahattin Pasali) tritt die neue Stelle in der anatolischen Provinz ohne viel Ortskenntnis an. Er muss den Prozess um die Förderung des Grundwassers übernehmen, seit sein Vorgänger überraschend verschwunden ist. Im Kern geht es darum, dass die Förderung von Grundwasser in der Region zu Sinklöchern führt, die inzwischen auch mitten in bewohntem Gebiet auftreten können. Umweltschützer haben dagegen geklagt.

Als der junge Staatsanwalt sich mit Richterin Zeynep (Selin Yeninci) an einem jener Sinklöcher trifft, erwähnt er, dass der Bürgermeister ihn wiederholt eingeladen hätte. Die Erwiderung der Richterin, die mit dem Gerichtsmediziner verheiratet ist bleibt lapidar: Hier kennt man sich eben. Nichts weiter dabei. Tags darauf statten der Anwalt Sahin (Erol Babaoglu) und der Zahnarzt Kemal (Erdem Senocak) dem Staatsanwalt einen eher sperrigen Antrittsbesuch ab.

„Gibt es hier viele Ratten?“ (Emre)

Tage später trifft Emre abends beim Bürgermeister wieder auf Sahin, der dessen Sohn ist. Im Lauf des Abends muss Emre diverse selbstgebrannte Raki-Sorten probieren und wacht am nächsten Morgen verkatert bei sich zu Hause auf. Mit der Erinnerung an die Nacht ist es nicht weit her. Der Dorfpolizist ruft ihn zu einem frischen Sinkloch und zu einem weiteren Fall. Ein junges Sinti-Mädchen ist vergewaltigt worden. Emre erkennt in dem Mädchen die Tänzerin vom Vorabend und er lässt Sahin verhaften.

Doch als der junge Journalist Murat (Ekin Koç) Emre erzählt, dass die beiden sich in der Nacht getroffen hätten, weiß der Staatsanwalt davon nichts mehr. Die Frage stellt sich, was er außerdem vergessen hat. Murat warnt Emre sich vor Sahin und dem Bürgermeister in Acht zu nehmen. Möglicherweise sei er ja unter Drogen gesetzt worden. Emre versucht sich nicht beeindrucken zu lassen und mit harter Hand durchzugreifen und gleichzeitig den Wasserprozess wieder aufzunehmen. Beides sieht man in der (fiktiven) Kleinstadt Yaniklar nicht besonders gerne. Auch weil Wahlen anstehen.

Als Staatsanwalt Emre in Yaniklar ankommt, wird gerade eine Keilerjagd gefeiert. Die Kamera beobachtet von oben wie das Auto des Staatsanwaltes der Blutspur des geschleiften Keilers folgt als führe das Auto auf Schienen. Überhaupt ist der Auftakt von Emin Alpers viertem Spielfilm ausgesprochen bildstark geraten.

„Die Häuser sind alt.“ (Dorf-Junge)

Die trockene Gebirgslandschaft Anatoliens wird in epischer Breite und mit mächtigen Luftaufnahmen eingefangen. Die finstere, bedrohliche Stimmung wird musikalisch evoziert. Das erinnert an den Auftakt des spanischen Thrillers „La Isla Minima“ („Mörderland“, 2014), der in gewisser Weise dem koreanischen Thriller-Klassiker „Memories of Murder“ (2003) huldigt, und der von Christian Alvar in „Freies Land“ (2020) auf kongeniale Weise nach Ostdeutschland verfrachtet wurde. Aber „Burning Days“ hat durchaus etwas Eigenes zu erzählen.

Der gefeierte und mehrfach ausgezeichnete Filmmacher Emin Alper stammt aus Anatolien und wollte nach eigener Aussage das Porträt eines idealistischen, aber einsamen Menschen zeichnen. Doch so wie Burning Days aufgebaut ist, wird daraus schnell ein Thriller, der auch hochaktuelle politische und ökologische Themen aufgreift. Ein Festhalten an Traditionen ist da nicht immer die beste Lösung, sondern oft genug ein Teil des Problems. In „Burning Days“ ist der Störenfried das Problem.

„Hier zu baden ist gefährlich. Es gibt Treibsand.“ (Murat)

Allerdings baut „Burning Days“ seine Spannung bedächtig auf. Der Handlungsauftakt ist schlicht beobachtend erzählt und erst nach und nach bemerkt der Protagonist, dass er mit befremdlicheren Dingen befasst ist, als angenommen. Es ist schwer höflich zu bleiben, wenn man einem Kollegen beizubringen versucht, dass Schüsse in bewohntem Gebiet verboten sind und dieser nur antwortet, dass man ja in die Luft gezielt habe und das schon immer so gemacht habe, wenn das Wildschwein erlegt wurde.

Obwohl dem Publikum schwant, dass es keine gute Idee ist, den Abend beim Bürgermeister zu verbringen und sich von Sahin abfüllen zu lassen, nimmt der Thriller danach erst richtig Fahrt auf. Die Handlung wird immer wieder von der lückenhaften Erinnerung Emres unterbrochen. Und der verstrickt sich immer weiter in die Geschehnisse der Nacht. Dabei ist keineswegs klar, was geschehen ist und wie beteiligt der junge Staatsanwalt war. Packend an „Burning Days“ ist wie der Film und auch der Protagonist es verstehen, die Unklarheit und die Anspannung auszuhalten.

„Burning Days“ entfaltet seine Spannung bedächtig. Mit epischen Landschaftsbildern und der Unschärfe der Erinnerung spielt Emin Alpers intensiver Thriller mehr als gekonnt mit Mehrdeutigkeiten. Mit dem Gegensatz von Tradition und Moderne und mit der allgegenwärtigen trockenen Hitze. „Burning Days“ ist einer der besten Thriller des Jahres. Packend, intensiv, abgründig.

Filmwertung: 9 out of 10 stars (9 / 10)

Burning Days
OT: Kurak Günler
Genre: Thriller
Länge: 129 Minuten, TR, 2022
Regie: Emin Alper
Darsteller:innen: Selahattin Pasali, Selin Yeninci, Salih Aydin, Erol Babaoglu
FSK: ab 16 Jahren
Vertrieb: Cinemien
Kinostart: 28.09.2023

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