Kanaan – Downpour: Album Review

Ein Kumpel von mir hat vor etlichen Jahren mal behauptet, Motorpsycho wären die einzige ernstzunehmende europäische Jam-Band. Nun denn, spätestens mit „Downpour“ bekommen die Trondheimer gewichtige Konkurrenz – ausgerechnet aus dem eigenen Land und der norwegischen Hauptstadt. Kanaan legen mit ihrem fünften (?) Album einen episch rockenden Platzregen hin, der so ziemlich alles wegspült, was vorher noch bodenständig war. Regentanz gefällig?

Im Herbst 2021 veröffentlichten Kanaan ihr Album „Earthbound“, das ebenfalls auf brutstatt.de vorgestellt wurde. Seinerzeit, mitten in der weltweiten Covisd-19 Pandemie, gab es kaum Möglichkeiten das Album live vorzustellen. Umso erfreulicher, dass Kanaan mit der aktuellen Scheibe „Downpour“ ab Mitte Mai auch auf ausgedehnte Deutschland- und Europatour gehen. Wer auf harte Rockmusik steht, sollte sich das Trio aus Oslo auf keinen Fall entgehen lassen. Und zwar auch, weil „Downpour“ so ziemlich alle Erwartungen die ich hatte, übertroffen hat.

Das Trio musikziert seit etwa fünf Jahren zusammen und zunächst waren Ask, Ingval und Eskild in anderen musikalischen Sphären unterwegs. Wohl aber von Beginn an als instrumentales Outfit, das bewusst auf Gesang verzichtet. Das muss die geneigte Hörerschaft schon irgendwie zu würdigen wissen und nicht als Manko empfinden. Die Band jedenfalls und der Rezensent gleichermaßen empfinden das nicht so. Im Gegenteil, wenn kein Gesang führt und die Musiker ihr Handwerk verstehen, können einzelnen Instrumente ganz anders aus der Reihe tanzen und selbst singen.

Steter Tropfen höhlt den Stein

Beispiele für großartigen schweren Instrumentalrock gibt es zuhauf (Karma to Burn, Maserati, Long Distance Calling, Rotor). In der Klassik kommen Sinfonien und Orchesterstücke ganz hervorragend ohne menschliche Stimme aus, im Jazz ist stimmloses Musizieren deutlich verbreiteter. Und eigentlich kommen Kanaan auch ein wenig aus dem Jazz.

Allerdings wird auf „Downpour“ heavy und progressiv gerockt was das Zeug hält. Das Zusammenspiel ist noch enger geworden und die Songs, die oftmals aus einem Jam im Proberaum entwickelt werden, haben deutlich mehr Struktur als etwa auf „Earthbound“. Es ist immer schön zu hören, wenn eine Band sich musikalisch entwickelt und nicht immer dieselbe vermeintliche Erfolgsformel herunternudelt.

Jetzt aber endlich zur Plattenkritik. „Black Time Fuzz“ eröffnet das Album „Downpour“ mit einem derben Riff, das den Weg freiwalzt für alles, was da musikalisch noch kommen soll. Der Tanzboden ist sozusagen gefegt. Das Riff ist herausragend geil und das sägende Gitarrensolo schwebt über dem Groove-Teppich, nachdem der erste Ansturm sich gelegt hat und in kopfnickenden Trab verfällt. Mit gedrängten 4 ½ Minuten gehört „Black time Fuzz“ auch zu den knackigen Songs auf dem Album. Was für ein Opener!

Von Earthbound zu Downpour

Und als wäre das nicht genug, kommt mit „Amazon“ ein weiterer progressiver Stoner Rock Hammer auf die Hörerschaft zu. Im Video zu „Amazon“, schlendert Gitarrist Ask ein Intro lang die Hallen eines Schlosses (?) entlang, um dann im Proberaum oder auf der Bühne bei seinen Mitmusikern zu landen. Bild und Ton ergänzen sich und zeugen von großartiger Performance. Auf dem Album gibt sich die norwegische Fusion-Gitarristin Hedvig Mollestad die Ehre, einige Töne zum Lied beizusteuern. Großartiger Song, der kraftvoll wie der namensgebende große Strom fließt und immer wieder melodiöse Blicke auf die Uferlandschaft wirft. Ein episches Stück Rockmusik.

Nicht von ungefähr beginnt das folgende Titelstück „Downpour“ mit freejazzigen Gitarrenläufen und Dissonanzen. Der „Platzregen“ reflektiert in den 7 ½ Minuten auch die Entwicklung der Band, hin zu Rock und Melodie, hin zu Riff und Heavyness. Sofern die geneigte Hörerschaft sich an der Gitarre entlanghört, ließe sich da eine stimmige, beinahe logische Wandlung des musikalischen Motivs heraushören. Das ist schon wahrlich fein komponiert (oder eben kongenial improvisiert). „Psunspot“ ist ein kurzes Zwischenspiel, das nur von Keybords und Akustikgitarre getragen wird. Hübsch anzuhören und als Ruhepol, als Regenpause, trefflich in der Albummitte gesetzt.

Keine Angst vor langen Liedern

Was nun folgt ist die space-rockige Dreifaltigkeit. Erst geht es in den „Orbit“ und anschließend auf den zweigeteilten Planeten „Solaris“. Ob hier der Roman von Stanislaw Lem (1961) oder der Film von Andrei Tarkowski (1972) oder gar das „Remake“ von Steven Soderberg Pate standen, bleibt letztlich unerheblich. Die beiden Parts von „Solaris“ sind eigenständig und jeweils über 7 Minuten lang. Part 1 ist etwas getragener und atmosphärischer, Part 2 nimmt dieselben musikalischen Ideen auf und setzt sie schwerer rockend um. Da kommen einem wieder Klassiker des Space Rock in den Sinn, aber Kanaan sind durchaus ihre eigenen Herren und haben ihren Sound längst gefunden.

Da lässt sich trefflich im „Orbit“ kreisen. Immer und immer wieder um das gelobte Land herum. Selbst wenn „Orbit“ nicht der Abschluss dieses großartigen Albums ist, gebührt dieser hinreißenden Hymne mit ihren ruhigen Auftakt, dem groovenden Hauptteil, der abgehende Solo-Rakete und der Rückkehr in die Umlaufbahn ein herausgehobene Stellung.

Die Band ist umtriebig und ständig am Musizieren und Aufnehmen. Zwischen „Earthbound“ und „Downpour“ entstand eine 27 minütige „Single“ und auch ein Album, das Sessions der Band enthält. Beide Formate sind scheinbar nur digital erhältlich und auch das limitierte rote „Downpour“-Vinyl ist bereits ausverkauft. Aber wer kann bei solch reger Veröffentlichungstätigkeit schon den Überblick behalten. Immerhin haben sich Kanaan spätestes mit der aktuellen Scheibe meine konstante Aufmerksamkeit erspielt.

Live bitte keinesfalls verpassen! Und so könnte jede:r, die dem schweren, Wüsten walzenden, Weltraum träumenden, Weltton suchenden Regentanz zugetan ist, trefflich im Kanaans Platzregen von Pfütze zu Pfütze hüpfen. In Dauerschleife, in Heavy Rotation… quasi im Orbit.

Album-Wertung: 9 out of 10 stars (9 / 10)

Kanaan: Downpour
Genre: Stoner Rock, Prog Rock,
Länge: 40 Minuten (7 Songs), N, 2023
Interpret: Kanaan
Label: Jansen Records
Format: Digital, CD, Vinyl
VÖ: 05.05.2023

Kanaan bei Bandcamp

Jansen Records

Kanaan bei Instagram

Tourdaten 2023 (Stand 12.5.)

May 12
Folken – Grottene
Stavanger, Norway

May 13
Kurbadhagen
Sandefjord, Norway

May 17
Stengade
Copenhagen, Denmark

May 18
Kieler Schaubude
Kiel, Germany

May 19
Columbiahalle
Berlin, Germany

May 20
Import Export
Munich, Germany

May 21
Chelsea
Vienna, Austria

May 22
Dürer Kert
Budapest, Hungary

May 24
Goldgrube
Kassel, Germany

May 25
Bar 227
Hamburg, Germany

May 26
Huset Esbjerg
Esbjerg, Denmark

May 27
Plan B
Malmö, Sweden

May 28
Vega Bryggeriet Ringön
Gothenburg, Sweden

Jul 21
WORLD MUSIC FESTIVAL – Loshausen
Neustadt, Germany

Aug 25
Down the Hill
Aarschot, Belgium