Stage Bottles – We Need Each Other: Album Review

Was für ein Brett die Stage Bottles mit ihrem neuen Album abliefern wird mir erst bewusst, als ich in Heavy Rotation gefangen bin und merke, dass sich mit dem verkabelten Kopfhörer schwerlich durchs Arbeitszimmer pogen lässt. Rechtzeitig zum 30jährigen Bandbestehen haut die antifaschistische Szene-Institution aus Frankfurt ein Album raus, das den Gemeinschaftsgeist und Zusammenhalt beschwört. Hat lange gedauert, bis die Scheibe raus ist, dafür ist hier vieles neu. So auch das eben erst gegründete Fettfleck Label, bei dem „We Need Each Other“ Anfang Dezember 2023 erschienen ist. Ich möchte Teil dieser Chat-Group sein.

Mit Punk Rock ist das so eine Sache: Grundsätzlich mag ich die Musik schon sehr und bin auch großteils damit aufgewachsen. Aber dann gab es so extrem lange Phasen, in denen Punk für mich ziemlich tot war. Einfach weil der Musik und der Szene der Spirit und die Glaubwürdigkeit flöten ging. Bisweilen war’s mir musikalisch auch zu eindimensional.

Auftritt Stage Bottles im Jahr 2023: Die Band besteht seit 30 Jahren und feiert mit dem Release des aktuellen, 7. Albums „We Need Each Other“ auch das eigenen Durchhalten. Dabei war die Band über die Jahre immer auf der Bühne präsent, nur neue Musik gab‘s lange nicht. Ein paar Videos auf Youtube, aber das war es dann auch schon. Und jetzt das: 12 Punk-Hymnen mit irrwitzigem Schub und einer gehörigen Portion Härte und Melodie. Dazu das hinreißende Saxofon und immer wieder Attacke und Präsenz.

„Together we Weather the Storm“

Ich empfehle an dieser Stelle die aktuelle Ausgabe des Ox-Fanzines (#171), das die Historie und Gegenwart der Stage Bottles ausführlich und mehrseitig vorstellt. Daneben hat das Magazin auch eine Cover-Story zu Loikaemie am Start. Das ist insofern nicht nur wegen musikalischer Nähe interessant, weil die Band gerade ein eigenen Plattenlabel gegründet hat auf dem die jeweils aktuellen Alben von Loikaemie und Stage Bottles erschienen sind. Lesenswert ist die Ausgabe ohnehin, auch weil mit Dritte Wahl ein weiteres Szene-Urgestein des deutschen Punks ausführlich vorgestellt wird.

Nun aber zu „We Need Each Other“. Stage Bottles haben zwar etliche Besetzungswechsel um Frontmann, Sänger und Saxofonisten Olaf hinter sich, aber die aktuelle Formation mit den beiden derzeitigen Gitarristen scheint mir die druckvollste Reinkarnation der Band zu sein. Infos zur Produktion liegen mir nicht vor, aber wer auch immer da am Start war, hat den Sound genagelt.

„Only Me in the Garden of Eden“

Episch, wie fett und rotzig die Gitarren rüberkommen, wie fliegend das Saxofon drüberspielt, wie druckvoll und kompakt die Rhythmustruppe bei dem Hochgeschwindigkeitsgebolze bliebt und wie ausdrucksstark und variabel die Vocals durchkommen. Das ist hinreißend, und möglicherwiese zu audiophil für die geneigte Punk-Zielgruppe. Aber auch die Moving Targets und die Subhumans haben mich mit den Produktionswerten der jüngeren Alben gekriegt.

Das dreckige Dutzend englisch gesungene Lieder wird vom Titelsong „We Need Each Other“ eingeleitet. Eine Hymne, die auch als Video-Single ausgekoppelt ist. Der Text lässt sich als Loblied auf die Band, als Verbeugung vor den Fans oder als Dank an die gesamte Szene verstehen. Oder allgemeiner als Hymne auf den Altruismus und den Zusammenhalt innerhalb einer Gemeinschaft. Da kommt Pjotr Kropotkins „Gegenseitige Hilfe in der Tier- und Menschenwelt“ (1902) durch. Der russische Anarchist hatte damit dereinst einen Gegenentwurf zu Darwins „Survival of the Fittest“ veröffentlicht.

Mit „Chat-Group“ treten Stage Bottles dann ordentlich aufs Gas-Pedal und nun gibt’s auch Trötensounds auf die Ohren. Was soll ich sagen, der Song gehört zu meinen Favoriten. Da bin ich dabei. Anschließend wird’s mit „Useless Idiots“ melodischer, es gibt gegen Ende hinreißende Mitmach-Zeilen und der Song ist ein weiterer Bringer. „Let The Antifacist Ball…“ kommt dann fast mit funky Rhythmik rüber, bevor es mehrstimmig zum Spieltag geht.

„Useless Idiots (Fuck off and die!)“

Zwischenfazit nach vier Songs: Das erste Drittel von „We Need Each Other“ ist so weit vorne, dass das Album jetzt schon großartig ist. Wenn jetzt nur mittelgare Filler kommen würden, würde ich trotzdem abfeiern. Doch das Gegenteil ist der Fall.

„You Never Stop Us“ ist eine rotzige Uptempo-Kampfansage. Bei Olafs bissigem Geshoute höre ich zum ersten Mal auch, was er im Interview meint. „Wir sind linke Gutmenschen mit einem gewissen Gewaltpotential“. Love it. „She Hates the City“ ist musikalisch recht unterschiedlich, kommt etwas stakkatoartiger rüber und der mehrstimmige Refrain hat so seinen Charme. Mit „A Clockwork-Asshole“ geht es wieder hochtourig zu. Inhaltlich geht es um Aldous Huxleys Dystopie „Clockwork Orange“. Dessen Protagonist Alex, vor allem durch die ikonische Filmsprache Stanley Kubriks zu gewissem Kultstatus gelangt, wird hier als Role Model abgelehnt und runtergeputzt.

Das anschließende „Dangerous World“ kommt trotz fetter Gitarren fast baladesk rüber, ist aber möglicherweise der musikalisch schwächste Track auf dem Album. Doch das bleibt Geschmackssache. „Power-Pycho“ richtet sich dann an alle Dispoten auf der Welt. „I send Troops if you don‘t listen.“ sagt ja wohl alles. Der Songanfang mit einzelner Rhythmusgitarre zum Gesang ist musikalisch wie ein erhobener Zeigefinger, der einem droht, und damit kongeniale Umsetzung des Textes. Eine weitere Lieblingsnummer.

„You’ll never ever stop us“

„The People who don’t care“ ist dann wieder so eine kongeniale Umsetzung. Akustikklampfe zum Auftakt, irische Kneipenrock-Elemente und wunderbare Schunkelmelodie. Aber du solltest nicht überrascht sein, dass die Leute die es nicht interessiert, anders fühlen als du. Und dann setzt der Ska ein. Sehr schön.

Zum Abschluss noch „One Man’s Terrorist…“ schnell, knackig und melodiös. Fiese Fistelflöte inklusive und eine Geschichtsstunde in Antifaschismus. Mit „Doors Open“ geht ein wunderbares Punk-Album zu Ende, das mich von vorne bis hinten mitgerissen hat. Den Break bei „Doors Open“ finde ich zwar immer noch wie einen Stolperstein, aber es haut hin. Vor allem, wenn das Lied wieder Geschwindigkeit aufnimmt.

Wer nach 30 Jahren Bandbestehen noch (oder wieder) so viel Energie hat und derart großartige Alben abliefert, sollte deutlich bekannter sein und von mehr linken Gutmenschen gefeiert werden als bislang. Weit entfernt von mainstream-beliebteren deutschen Punkbands ist das hier musikalisch nicht. Aber vielleicht schöner? Verbreitet das Lob. Stage Bottles rule!

So viele schöne Mitgröhl-Refrains und energiegeladene Ohrwürmer habe ich lange nicht mehr auf einem Haufen gehört. Sicherlich legen die Ausrichtung in Richtung Street Punk, Ska und Oi das nahe, aber die Songs sind einfach zeitlos geil. „We Need Each Other“ ist derart fett produziert, dass es jede Hard Rock Band beschämen würde. Die Gitarren sind wuchtig und das Saxofon fliegt aus den Boxen. Zusammen überstehen wir auch den Sturm aus den Lautsprechern und reiten die Soundwelle.

Album-Wertung: 9 out of 10 stars (9 / 10)

Stage Bottles: We Need Each Other
Genre: Punk,
Länge: 12 Songs, 43 Minuten, D, 2023
Interpret: Stage Bottles
Label: Fettfleck Records
Label: Cargo
Format: CD, digital, Vinyl
VÖ: 01.12.2023

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copyright Bandfoto: Boris Schöppner