Dancing Pina: Die Frau, das Oper, der Tanz

Pina Bausch (1940 – 2009) gilt als große Erneuerin des Ballets und quasi die Erfinderin des Tanztheaters. Nun stellt der Dokumentarfilm von Filmmacher Florian Heinzen-Ziob zwei Projekte vor, die die Pina Bausch Foundation authorisiert hat. Ballett-Aufführungen in der Semper Oper in Dresden und in Senegals Hauptstadt Dakkar. Inszeniert werden beide Stücke von Choreografinnen, die noch mit Pina Bausch selbst gearbeitet haben. „Dancing Pina“ erscheint bei Mindjazz Picture am 17. März 2023 auf DVD und Blu-ray für das klassischen Home-Entertainment.

Vorab eine Bemerkung: „Dancing Pina“ ist nur bedingt für Ballett-Einsteiger geeignet. Das liegt vor allem daran, wie der Film aufgebaut ist. Das Team begleitet die Proben zu zwei großen Ballettaufnahmen und stellt die Prozesse und Erarbeitungen nebeneinander. „Dancing Pina“ beobachte mehr als dass etwas erklärt wird. Insofern braucht es für unbedarfte Zuschauer:innen etwas Geduld, bis sich die Filmszenen zu einem erlebbaren Sinnzusammenhang fügen. Dann aber ist „Dancing Pina“ hinreißend und hat mit einem getanzten Finale auch noch einen modernen Ballett-Höhepunkt zu bieten.

Pina Bausch hat in Wuppertal einen Ort für modernes Tanztheater geschaffen, der auch nach ihrem Tod im Jahr 2009 noch eine Marke auf der internationalen Tanz-Weltkarte ist. Ihr Erbe als Tänzerin, Choreografin und Künstlerin wird hier auch von der Pina Bausch Foundation am Leben gehalten. Die Foundation hat zwei Tanz-Projekte vergeben, die andernorts realisiert werden (bzw. wurden).

Zum einen wird an der Semper Oper in Dresden „Iphigenie auf Tauris“ von Christoph Wilibald Gluck aufgeführt. In den 1970ern hatte Pina Bausch aus der Oper ein zweistündiges Tanztheater gemacht. Inszeniert wird das Stück von Malou Airaudo und Clementine Deluy, die beide als Tänzerinnen mit Pina Bausch gearbeitet haben. Sangeun Lee tanzt die Rolle der Iphigenie.

Iphigenie auf Tauris

Zum anderen wird in der Ecole des Sables in einem Fischerdorf nahe der senegalesischen Hauptstadt Dakkar der moderne Ballet-Klassiker „Das Frühlingsopfer“ aufgeführt. „Le Sacre du Printemps“ stammtvon Igor Stravinsky, führte bereits bei seiner Premiere zu einem (provozieren) Skandal und wurde von Pina Bausch neu interpretiert. Die Choreografie wird von Jorge Puerta Amenta und Josephine Ann Endicott inszeniert, ebenfalls Weggefährten von Pina Bausch. Das Ensemble ist panafrikanisch und keineswegs in klassischem Tanz ausgebildet. Lucienne Kabraal übernimmt eine tragende Rolle in dem Ballett.

Es bleibt bei der schnöden Erwähnung der Eckdaten, die den Rahmen setzen für diesen spannenden Tanzfilm. Schnell wird klar, Bewegung ist alles. Nicht nur im Tanz, wo Bewegung das einzige Kommunikationsmittel ist, sondern auch der Film versucht das Momentum einzufangen und immer wieder mit Ortswechseln, Interviews und Proben für Dynamik zu sorgen.

Le Sacre du Printemps

Weitgehend gelingt das, doch bisweilen sind die Ortswechsel auch arg abrupt ausgefallen. Auch vermeidet es der Film, Hintergrundinformationen zu geben. Pina Bausch künstlerische Vision erschließt sich ausschließlich über den einstudierten Tanz, die Interviews mit den Weggefährtinnen erhellen wenig. Wer also nicht weiß, worauf es da ankommt, kann schwerlich das Einzigartige erkennen. Eventuell hätte es geholfen, an den Filmbeginn bewegte Bilder von den Aufführungen zu stellen statt mit Zwischentexten trocken die Eckdaten zu benennen. So wäre dem Publikum das Ziel vor Augen, das im Laufe des Films erarbeitet wird.

Doch das ist alles nur Nebengeplänkel, denn sehr schnell übernimmt die Faszination für den Tanz und die Bewegung die Führung über diese Doku. Es ist faszinierend, den Tänzer:innen dabei zuzuschauen, wie sie sich der Inszenierung nähern und auch immer ihren eigenen Ansatz finden. Das ist wichtig in Pina Bauschs Tanzverständnis: immer auch die eigene Person auszudrücken und über das mechanische des Bewegungsablaufes hinauszugehen. Es geht um Ausdruck statt Technik. Es geht um Emotion statt Perfektion. Und genau das macht das Tanztheater so spannend. Selbstredend kontrastieren die beiden Projekte sich gegenseitig auch auf fast plakative Weise, bilden dadurch aber auch eine Bandbreite, einen künstlerischen Raum ab, der offen und frei ist.

Covid-19

Am Ende kommt dann doch die Covid-19 Pandemie zum Tragen und macht die Pläne der Ecole des Sables zunichte. Aufführungen entfallen. Der Film bietet einen Trost an, eine Aufführung des Frühlingsopfers am Strand. Das ist so schön wie originell und soll auch den Tänzerinnen im Rahmen des globalen Pandemie-Geschehens eine Aufführung, einen Abschluss bieten. Das Filmmaterial des Frühlingsopfers ist übrigens online auch bei der Pina Bausch Foundation in ganzer Länge zu bestaunen. Es lohnt sich.

Doch auch die Dresdener Aufführung ist atemberaubend und sofern die Mitschnitte Einblicke gewähren durchaus packend inszeniert. Das monumental minimalistische Bühnenbild allein ist bestaunenswert. Der Tanz spricht für sich selbst.

Sicherlich erblüht „Dancing Pina“ nicht unbedingt ohne Vorverständnis, dazu wirft der Film das Publikum zu abrupt in den Alltag der Ballettproben. Wer sich aber einlässt auf dies schön fotografierte und ausgeleuchtete Bewegungsrevue wird mit tollen Sequenzen, großartigen Inszenierungen und hoher tänzerischer Kunstfertigkeit belohnt. Das an sich ist schlicht und einfach belebend und lebendig. Da lässt sich freudig über einige filmische Schwächen hinwegsehen.

Film-Wertung: 8 out of 10 stars (8 / 10)

Dancing Pina
OT: Dancing Pina
Genre: Doku, Tanz,
Länge: 111 Minuten, D, 2022
Regie: Florian Heinzen –Ziob
Mitwirkende: Malou Airaudo, Clementine Deluy, Jorge Puerta Amenta, Josephine Ann Endicott, Ensemble der Semper Oper, Ecole de Sables,
FSK: ohne Altersbeschränkung, ab 0 Jahren
Vertrieb: Mindjazz Pictures
Kinostart: 15.09.2022
DVD- & BD-VÖ: 17.03.2023

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