Mitternachtskinder: Magische Verbundenheit

Aus dem Archiv in die #IdenDesMärz: „Mitternachtskinder“ von 2012. Angeblich soll Autor Salman Rushdie die Filmrechte von „Mitternachtskinder“ für einen Dollar verkauft haben. Die indische, in Kanada lebende Regisseurin Deepa Metha hatte auch ursprünglich vor Rushdies „Shalimar The Clown“ (Deutsch „Shalimar der Narr“) zu verfilmen. Eine magisch-realistische Reise in die Zeit der indischen Unabhängigkeit.

Dann hat es die Regisseurin auch noch geschafft, Rushdie selbst als Drehbuchautor und Erzähler in den Film einzubinden. Herausgekommen ist eine gelungene Leinwandversion von Rushdies mit dem Booker Prize ausgezeichneten Klassikers von 1981. Aber davon später mehr.

Genau um Mitternacht am 15. August 1947, dem Tag an dem Indien und Pakistan aus der britischen Kolonialherrschaft in die Unabhängigkeit entlassen werden, werden in einem Krankenhaus im Mumbay zwei Jungen geboren: Der eine, Saleem Sinai, als Sohn eines armen Straßenmusikanten, der andere, Shiva, als Sohn eines wohlhabendenden aufstrebenden Händlers. Eine Krankenschwester vertauscht in einem Anflug eines kommunistischen Gleichheitsgedankens die beiden Säuglinge und spielt damit Schicksal.

Ungleiche Geschwister

Doch die Leben von Saleem und Shiva sind auch auf andere Weise miteinander verknüpft. Denn alle Kinder, die in jener Nacht auf dem indischen Subkontinent geboren wurden, sind auf magische Weise miteinander Verbunden und haben außergewöhnliche Fähigkeiten. Die Krankenschwester allerdings hat später hat ein schlechtes Gewissen und arbeitet als Kindermädchen für Shivas Familie. Und während sich das vornehmlich hinduistische Indien und das muslimische Pakistan immer weiter auseinander entwickeln, wachsen die beiden Jungen zu Männern heran.

Die Geschichte von „Mitternachtskinder“ beginnt freilich weit vor der Geburt des Erzählers Saleem. Der hat (im Original von Salman Rushdie selbst gesprochen) allerdings keine Probleme, auf hintersinnige und humorige Weise seine Familiengeschichte darzulegen, bis er selbst endlich auf der Bildfläche erscheint.

Die große Schwierigkeit, Rushdies grandiosen Roman zu verfilmen, liegt vor allem, aber nicht nur, in seiner Länge und der Fülle an Figuren und Handlungssträngen. Doch mit dem Hauptaugenmerk auf die beiden ungleichen Männer Shiva und Saleem, die in gewisser Weise stellevertretend für Pakistan und Indien stehen, gelingt es Rushdie ein sehr stimmiges Drehbuch zu schaffen. Das macht zwar gegenüber dem Roman einige Abstriche an Symbolik, Weitschweifigkeit und auch Humor, weiß aber als eigenständiges Kunstwerk zu faszinieren.

Indien und Pakistan nach der Unabhängigkeit

Mit seinen 146 Minuten hat „Mitternachtskinder“ solide Bollywood-Länge. Der Film hat aber abgesehen von der Farbenpracht und der typisch indischen Verspieltheit wenig Gemeinsamkeiten mit diesem populären Filmtypus. Andererseits weiß Deepa Metha die typisch indische Filmsprache natürlich effektvoll einzusetzen und mit Rushdies Erzähltradition, die vielleicht eher westlich, beziehungsweise britisch geprägt ist, zu verknüpfen.

Das Epos umfasst 50 Jahre und mehr als 100 Charaktere. Das ist in seinem Ausmaß so umfassend wie das epische „Doktor Schiwago“ nach Boris Pasternaks Roman. Sicher verliert die Verfilmung „Mitternachtskinder“ gegenüber dem Roman Nuancen und Detailreichtum und einiges an Rushdie-typischem Humor, gewinnt aber andererseits eine stringente Erzählung. Und die kommt in ihrer politisch-historischen Dimension auf der Leinwand extrem eindrücklich rüber. Als Parabel für die Geburt der Nationalstaaten Indien und Pakistan ist das von großer Klarheit, ohne den magischen Realismus des Romans außen vor zu lassen.

Obwohl Autor Rushdie seinen Roman mit viel „Filmtechnik“ konstruiert hat und dieser daher sehr filmisch erzählt ist, ist es alles andere als eine leichte Aufgabe gewesen, die Literatur in passende Bilder zu übertragen. Das gelingt Deepa Methas „Mitternachtskindern“ auf sehr gelungene Weise ohne das indische und pakistanische Selbstverständnis oder auch dem Geist des Romans zu vernachlässigen.

Alles in Allem ist „Mitternachtskinder“ eine überzeugende und sehenswerte Romanadaption, die im Original noch den zusätzlichen Charme hat, dass Salman Rushdie selbst als Erzähler zu hören ist. Die grandiosen Bilder, die wundervoll mystische Stimmung und die leicht humoristische Erzähldistanz machen aus „Mitternachtskinder“ ein zweieinhalbstündiges, sehr kurzweiliges Leinwandfeuerwerk.

Film-Wertung: 7 out of 10 stars (7 / 10)

Mitternachtskinder
OT: Midnight’S Children
Länge: 146 Minuten, CAN/GB, 2012
Regie: Deepa Metha
Vorlage & Drehbuch: Salman Rushdie, Roman „Mitternachtskinder“
Darsteller:innen: Rajat Kapoor, Satya Bhabha, Shahana Goswami,
FSK: ab 12 Jahren
Vertrieb: Concorde
Kinostart: 28.03.2013
DVD-VÖ: 20.08.2013