Rotor – 7: Album Review

Zu behaupten die Rocker von Rotor wären zurück, fühlt sich falsch an. Sie waren ja nie weg. Vielleicht hat das Quartett mit der Wahlheimat Berlin ein eigenes Tempo, einen eigenen Groove – auch was Veröffentlichungen angeht. Und dann kommt noch die Covid-Zwangspause dazu. Zivilisation ist auf Grund gelaufen, sozusagen. Nun im Februar 2023 steht „Sieben“, herausgegeben von „Noisolution“ in allen Playlisten und hoffentlich auch in den entsprechenden Läden. So feiern Rotor ihr 25-jähriges Bandbestehen mit einem neuen Album. Ach ja, für alle die es nicht wissen: Rotor spielen instrumentale Rockmusik. Und „Sieben“ ist ein Meisterwerk, ein Manifest.

Seit 1998 musikzieren Rotor in und um Berlin mit schweren Grooves und schweren Gitarren und ohne Gesang. Ausnahmsweise ist mal ein Gastmusiker und -sänger an Bord. Wie etwa Doom-Legende Scott „Wino“ Weinrich, der auf „Vier“ Rotors „The Obsessed“-Cover Version „Neatz Brigade“ veredelt. Aber das ist Schnee von gestern.

Was einst mit viel Wüstenrock-Anleihen und als Trio begann hat sich spätestens seit Vergrößerung der Band um eine zweite Gitarre mit Album „Fünf“ (2016) verselbständigt und geht einer eigenen Idee von Sound und Musik nach. Die Ausweitung der musikalischen und stets instrumentalen Kampfzone führt folgerichtig zur der Lemmy huldigenden Selbsteinschätzung: „We are Rotor and we play instrumental Rock“. Kategorien sind was für Leute mit Aufmerksamkeitsdefizit.

Eins zwei – Polizei…

Bevor es in ein paar Absätzen (endlich !) an die aktuelle Musik geht, vielleicht noch Überlegungen zur Verschrobenheit der Band und der kolportierten Neigung zu Zahlenspielen. Sieben Alben in 25 Jahren sind kein so schlechter Schnitt. Guckt man sich Metallica an, brauchen die seit „Reload“ (1997) mehr als fünf Jahre für ein neues Album. Wobei das kommende auch schon wieder exemplarisch durchexerziert, wie heutzutage medienwirksame Musikveröffentlichung geht. Aber ich schweife ab.

Sieben also, die in unserem Kulturkreis „göttliche“ Zahl, weil sie sich aus „drei“ für die Dreifaltigkeit und aus „vier“ für die Elemente zusammensetzt. Rotor nun wieder haben als Trio vier Alben eingespielt und zu viert nun drei. Da kommt das Gehirn schon ins Rotieren. Aber wir sind hier nicht in der Kabbala und auch nicht beim Mathcore. Alles Spielerei.

So wie auch die Coverwelten. Bei „Fünf“ wurde es kaleidoskopartig, weil auch der Sound sich öffnetet und neben der arg schweren Riffigkeit andere Elemente zuließ, „Sechs“ zeigt der Hörerschaft krautrockige Faschingshafte Kauzigkeit mit asiatischem Einschlag und musizierendem Humor. Da kommt schon mal eine schräge Nähe zu Tschaika 21/16 auf. Und nun also diese angeschnittene Leuchtkugel, über der sich das modifizierte Bandlogo manifestiert (Grafik: Marco Baale). Es werde Licht.

Wir wussten schon immer, dass die Sonne der ultimative Rotor (nicht nur) unseres Seins ist. Nun haben wir die musikalische Bestätigung. Was von da aus abstrahlt, formt sich zu einer Erscheinung, die am schwarzen Horizont schwebt wie einst „Superman“ als Heilsbringer am Ende von Bryan Singers 2006er Remake. Die Genesis weiß, erst Himmel und Erde und dann sprach er: Es werde Licht. Oder eben Rotor verzichten auf Sprech und es werde Sound. AC/DC meinen dazu: „Let There Be Rock“.

Instrumental Rock!

Es brummt kurz, schwillt an und die Gitarre rifft los. Dann setzt der Rest ein und „Reibach“ entwickelt sich als grooviger Opener, der treibend, schwer und trocken durchzieht. Eine der Gitarren übernimmt dabei die Führung und bei soviel eingängiger Melodie braucht niemand einen Gesang. Tempo mal angezogen, wieder gebremst und ewig singt die Lead Gitarre. Kurzweilige vier Minuten. Starker Auftakt.

„Auf Grund“ wurde kurz vor Album-Release als Video-Single ausgekoppelt und hat vielleicht den zugänglichsten „Rock-Appeal“. Entspannter Auftakt mit sich steigernder Dynamik und ein anderer Gitarrenton, der die Hörerschaft durch die Landschaft leitet. Die zweite Klampfe schiebt dann fast unmerklich ein anderes Thema rein und der Ausblick verschiebt sich. Zum Refrain gibt es dann Verzerrer satt und das Riff holt auch die letzten Überlebenden aus dem havarierten Szenario.

drei vier – Offizier…

„Aller Tage Abend“ mag nun inhaltlich den finalen Teil der musikalischen „Welt am Abgrund“-Kausalkette darstellen, oder bereits den Reboot nach dem Auf Grund Laufen. Jedenfalls sind die melodiösen Gitarrenparts zum Niederknien schön und haben mit fiesem Rock exakt nix mehr zu tun. Selbst in den verzerrten Parts ist der Sound so singend und melodisch, dass die Gitarrenharmonie auf die Tränendrüse drückt. Was für eine geile Ballade!

Aber Rotor wären nicht Rotor, wenn sie da nicht dramaturgisch entgegenwirken könnten und wollten. „Schabrake“ ist ein Maelstrom, der sich sehr schwer und Doom Metal artig anschickt, alles plattzumachen. Wieder diese irren Twin-Gitarren, aber in völlig anderem musikalischen Zusammenhang. Ich kann mir nicht vorstellen, dass der Song etwas mit Reitsport oder Fensterbehängen zu tun hat. Das klackernd reduzierte Schlagzeug nach drei Minuten mag mich Lügen strafen. Fertig mit Headbangen.

fünf sechs – alte Hex…

„Mäander“ ist mit sieben Minuten der längste Song auf dem Album, und wieder verlassen Rotor das groovige Terrain, um sich flussgleich treiben zu lassen. Das Hin- und Herschaukeln der Wellen ist förmlich hörbar. Was keineswegs heißt, der Song hätte keine Struktur oder kein Ziel. Im Gegenteil: die Komposition ist komplex und dynamisch. Dramatik und Tempo werden unentwegt angezogen. Der Bach nimmt mehr Wasser auf, wird Fluss, wird Strom auf dem Weg ins Meer. Da sind noch Untiefen und Kasakaden zu überwinden, bevor es in einem Ozean aus Sound endet. Das Momentum der Bewegung kommt zu Stillstand.

Folgerichtig kloppt der Schlagwerker zum Auftakt von „Kahlschlag“ auch erstmal allein auf die Pauke. Aufwachen! Aber was für eines. So schwer, doomig, verzerrt und walzend fühlt sich wohl ein verkatertes Auf-die-Seite-Wälzen an. Doch der Klangkörper erhebt sich aus der Liegeposition und nimmt Rhythmus auf. Tribal, treibenden, angespannt, nackenbrechend und doch stetig wie ein Fließband. Bis die Fertigungsstraße birst und erstmal alles wieder einsortiert werden muss. Weiter geht’s. Immer weiter, bis dir die Puste ausgeht.

Sieben …

„Sieben“ also, titelgebender Abschlusssong. Wieder melodisch im Anfang, Streicher sind zu hören. Akustik-Gitarren, die um ein Western-Thema tanzen bis es dann doch noch kraftvoll aber immer melodiös nachhause geht. Eine reife Leistung, ein würdiger Abschluss und ein großartiger Song.

Rotor haben nie viel Gewese um die Musiker als Individuen gemacht. Immer steht der Sound im Vordergrund. Die Songs sind das Ziel und zumindest seit „Fünf“ ist es offener und weiter geworden im musikalischen Kosmos der Wahlberliner. Da ist Raum für so viel mehr als Heavy Rock und so viel Musikalität, dass all die Elemente sich zu großartigen Kompositionen vereinigen.

Selbstredend kommt dann noch der Sound dazu. Sound ist alles. Rotor haben klare Vorstellungen wie sie rüberkommen wollen, wo die musikalische Heimat und die Komfortzone liegen. Ein langjährig eingespieltes Team setzt die musikalischen Visionen um. Kongenial gemixt von Charlie Paschen, himmlisch gemastert von Willi Dammeier, eingespielt von Rotor.

Über die Jahre haben sich die Instrumentalrocker Rotor völlig zurecht eine ergebene und loyale Fangemeinde erspielt und sind ihrer musikalischen Vision ohne Scheuklappen treugeblieben. Ich feier‘ das! Ich freu mich auf die Tour. „Fünf“ und „Sechs“ waren bereits großartig, „Sieben“ ist ein episches Meisterwerk. Durchlauf um Durchlauf gibt es neue Sounds zu entdecken, und dabei rockt die Scheibe vom Start weg.

Album-Wertung: 10 out of 10 stars (10 / 10)

Rotor: 7
Genre: Instrumental Rock
Länge: 38 Minuten, D, 2023
Interpret: Rotor
Label: Noisolution
Vertrieb: Edel
Album-VÖ: 10.02.2023

Facebook Rotor
Rotor bei Bandcamp
Bandprofil bei Noisolution
Webseite Rotor

Tracklist

  • Reibach
  • Auf Grund
  • Aller Tage Abend
  • Schabracke
  • Mäander
  • Kahlschlag
  • Sieben

Line Up
Marco Baale – Bass
Tim Mentzel – Gitarre
Martin Fischer – Gitarre
Milan Pfützenreuter – Schlagzeug

Tourdaten:

15.04.2023 DE – Leipzig, Conne Island
16.04.2023 DE – Hannover, Mephisto
17.04.2023 DE – Rostock, JAZ
18.04.2023 DE – Hamburg, Knust
19.04.2023 NL – Nijmegen, Merleyn
20.04.2023 LU – Luxembourg, Kulturfabrik
21.04.2023 DE – Köln, Gebäude 9
22.04.2023 DE – Mannheim, Forum
24.04.2023 CH – Winterthur, Gaswerk
25.04.2023 DE – München, Feierwerk
26.04.2023 AT – Wien, Arena
27.04.2023 DE – Nürnberg, Z-Bau
28.04.2023 AT – Linz, Kapu
29.04.2023 DE – Dresden, Chemiefabrik