Jazz an einem Sommerabend: All of Newport

Für viele, die sich mit Dokumentar-und Musikfilmen beschäftigen, gehört „Jazz an einem Sommerabend“ zu den schönsten und wichtigsten Zeugnissen beider Kategorien. Der Vogue-Hausfotograf Bert Stern wurde 1958 eingeladen, beim „Newport Jazz Festival“ mit der Filmkamera Eindrücke zu sammeln. Herausgekommen ist Sterns einziger Film – und ein Meisterwerk, das an Direktheit, Spontaneität und Filmtechnik noch immer die Standards setzt. Der Film wurde in 4K restauriert und Rapid Eye Movies bringt das unvergleichliches Erlebnis ab dem 5. August 2021 zurück auf die Leinwand.

Eine Jazz-Kapelle fährt laut musizierend im offenen Automobil durch die Straßen. Das Chico Hamilton Quintett probt im Motel. Der Kommandant eines Marine-Kreuzers sagt im Radio das Wetter für den Americas Cup an. Louis Armstrong erzählt Witze über Europa. Und an der felsigen Küste spielt ein Trio aus Trompete, Kontrabass und Trommel für die Seehunde.

All diese scheinbar beiläufigen aber außergewöhnlichen Momente werden in „Jazz an einem Sommertag“ von drei Kameraleuten festgehalten. Der Modefotograf Bert Stern, der für die Vogue arbeitet und dort Stanley Kubrik kennenlernt, wollte schon immer einen Film drehen. Und so war er angetan, dass ihn die Gönner des Newport Jazzfestival, Elaine und Louis Lorillard fragten, ob er nicht Lust habe, beim Festival 1958 ein paar Eindrücke zu sammeln.

Die Lorillards versprachen sich davon vielleicht Publicity für das seit 1954 stattfindende mehrtägige Jazz-Event an der Küste des Bundestaates Rhode Island. Stern und zwei seiner Kollegen filmten vier Tage lang und hatten hinterher genug Material daraus einen abendfüllenden Film zu machen. Abstruser Weise wird im Abspann der Doku auch ein Drehbuch erwähnt, für das Albert D’Annibale und Arnold Perl zuständig zeichnen.

Eindrücke eines Festivals

Dabei wirkt „Jazz an einem Sommerabend“ so derart spontan und beinahe uneditiert, dass man es für „Direct Cinema“ halten könnte. Was es in gewisser Weise auch ist, denn in jedem noch so authentischen Dokumentarwerk werden editorische Entscheidungen vorgenommen und Momente ausgelassen. Hier aber wird das spontane und impulsive Material in einer bestimmten Weise zusammengeführt, die darauf abzielt, sowohl Eindrücke der Stimmung, des Publikums als auch der Musiker und der Auftritte zu einem Ganzen zusammenzufügen, das sowohl authentisch ist als auch ein bestimmtes Lebensgefühl vermittelt.

Bert Stern und seine Kollegen Courtney Hesfela und Raymond Phelan filmten nicht ohne Plan, aber doch ohne großes Equipment. Viele der Aufnahmen setzten dennoch Maßstäbe. Wie etwa die minutenlangen Großaufnahmen der Musiker wie etwa Anita O’Day und auch das Filmen gegen das direkte Sonnenlicht war seinerzeit ein experimentelles Wagnis.

Aber all die Technik und die Details verschwinden jedoch schnell hinter der Wirkung von „Jazz on a Sommer’s Day“. Das Publikum kommt in der Hafenstadt an, schaut sich um, bekommt Eindrücke und dann fängt auch so langsam die Musik an zu spielen. Im Verlauf des Tages rücken die Auftritte in den Vordergrund. Und gegen Ende des Films, der weit in die Nacht hinein geht, spielt sich das Filmgeschehen fast ausschließlich auf der Bühne und im Auditorium ab. Die fulminanten Auftritte von Lewis Armstrong und Mahalia Jackson beenden den Festivaltag und den Film.

Ein Klassiker des Dokumentarfilms erstrahlt neu

Im Verlauf von „Jazz an einem Sommerabend“ kommt eine Vielzahl von Jazz-Musikern zum Zug. Vom Jimmy Giuffre Trio über George Shearing, über Thelonius Monk, Gerry Mulligan bis hin zu Dinah Washington. Die genaue Liste lässt sich bei „Wikipedia“ nachlesen.

Bereits bei seiner Veröffentlichung 1960 wurde „Jazz on a Summer’s Day“ gefeiert und als innovatives Meisterwerk gefeiert. Es dauerte dennoch beinahe vierzig Jahre bis Bert Sterns einziger Film in die National Film Registry aufgenommen wurde, jenes Verzeichnis besonders erhaltenswerter amerikanischer Filme. Die 4K-Restaurierung ließ dann wiederum etliche Jahre auf sich warten. Das Warten hat sich gelohnt: „Jazz an einem Sommerabend“ funkelt und strahlt und reißt mit, selbst wenn man kein ausgewiesener Jazz-Fan ist.

Bert Stern sagte einmal über „Jazz an einem Sommerabend: „Wir haben viel gewagt, es hätte auch in die Hose gehen können…Wir wollten einen „glücklichen“ Jazzfilm machen.“ Das ist mehr als gelungen. Pflichtveranstaltung.

Film-Wertung: 9 out of 10 stars (9 / 10)

Jazz an einem Sommerabend
OT: Jazz on a Summer’s Day
Genre: Dokumentarfilm, Musik,
Länge: 85 Minuten, USA, 1959
Regie: Bert Stern
Mitwirkende: Mahalia Jackson, Anita O’Day, Chuck Berry, Lewis Armstrong,
Fsk: ohne Altersbeschränkung
VertrieB: Rapid Eye Movies
Ursprünglicher Kinostart: 19.02.1960
Kinostart 4K-Version: 05.08.2021