Gebhardt – Geb Heart: Musikalischer Weltenbummler

Vierzehn Jahre lang hat Håkon Gebhart für die norwegischen Alternative Prog-Rock Götter Motorpsycho getrommelt. Dann war lange nix zu hören von dem Mann hinter dem Drum Kit. Bis nun im September 2022 das neue Album von Gebhardt bei Apollon Records erscheint. Eine Wundertüte voll alternativem Neofolk und anderen Genre-Grenzgängen.

Die Cover-Collage erinnert an das grafische Werk von John Heartfield, der in den 20er Jahren auch und vor allem für den Berliner Malik-Verlag die Buchumschläge gestaltete. Aber es geht in dem schön gestalteten Klapp-Cover auch engagiert und collagiert weiter. Das Zusammenfügen von Schnipseln hat auch musikalische Methode. Aber dazu später mehr. Zur Musik auch später.

Auf der CD sind 14 Tracks verzeichnet von denen 4 mit einem Sternchen versehen sind, das darauf hinweist, es handelt sich um Bonus-Tracks. Die unterscheiden sich insofern vom Rest des Liedguts, als dass sie instrumental sind. Ich bin ja aufgewachsen und musikalische sozialisiert mit der Idee und dem Konzept, dass ein Album keine willkürliche Ansammlung von Tracks ist, sondern zumindest in der Reihenfolge eine gewisse Dramaturgie steckt. Nun denn, Håkon Gebhardt beginnt die CD mit einem Bonustrack.

Und tatsächlich sind auf der Vinylversion wie sie auf der Labelseite im Internet angeboten wird auch „nur“ 10 Songs. Auf Gebhardts Bandcamp-Seite muss man die Abbildungen studieren, um zu checken, dass das volle Brett nicht auf Vinyl zu haben ist. Das finde ich mal etwas sperrig und nicht gerade fanfreundlich. „Geb Heart“ erscheint auf Apollon Records und die Scheibe wird EU-weit über Plastichead.com per Mail Order vertrieben.

„She’s adrenalin into his veins“

„Geb Heart“ beginnt (als CD) mit dem instrumentalen Schildkrötenmarsch „March of the Tortoise“. Ein alternativer countryesquer Treck nach Westen. Hier hört man die Pferde traben und die Kutscher klapprig mitsummen. Instrumental ist da durchaus eine Nähe zu Tom Waits in seinen rumpeligen Phasen festzustellen.
Weiter geht’s mit dem eigentlichen Opener „Breakup, Breakdown“ ein treibender Song mit tollen treibenden Vocals. Auch hier rumpelt es im Karton und wer hinhört, kann auch Einflüsse von Kaizers Orchestra feststellen.

„None of This is Mine“ ist epischer Pop mit vielen Beatles-artigen Vokal-Harmonien. Das erinnert stark an selige Britpop Zeiten. „That Day“ hat eine schräge Klampfe zu bieten und einen handgemachten Industrial-Beat bevor das Break dann in einen progressiveren Part übergeht. „That Day“ ist vielleicht am ehesten, was die geneigte Hörerschaft von einem „Schlagzeuger-Soloalbum“ erwarten würde. Aber Gebhardt ist Multinstrumentalist und macht alles mit Mari Simonelli zusammen. Wie sich nach kurzer Internet-Recherche herausstellt, ist das Frau Gebhart, die unter anderem auch Gitarre spielt.

„she gives him love“

„I Want to Know“ ist dann fast schon Gothic in seiner Melancholie und die Streicher kratzen am Schwülstigen bis die coole Gitarre einsetzt. „Monkey Sievert“ mag einen Bezug zu Sievert Hoyem, dem Sänger der Norweger Madrugada haben, der auch Solosachen veröffentlichte, aber so genau habe ich nicht auf den Text geachtet. Musikalisch ist das flotter, groovy Britpop und macht richtig Laune.

„Beautiful Girl“ erinnert dann eher an schwedischen Gitarrenpop. Geht flott nach vorne und hat so eine Melodie wie sie beim Roskilde-Festival jede dritte skandinavische Band vorträgt. „Fixing Things“ ist eine gestandene Ballade, die mir persönlich etwas zu überkandidelt ist, beziehungsweise deutlich zu Mainstream-Pop.

Anschließend wird’s wieder alternativer und auch kantiger. „The Third Song“ haut einen Uptempo-Beat an und groovt sich stark ein. Die Melodie im Refrain kenne ich definitiv von R.E.M., aber wen stört‘s. „Distant Stars“ ist eine schöne ruhige Nummer, die im Ohr bleibt. Im Ohr bleibt auch „Please don’t go away“ mit seiner naiven Kinderliedermelodie. Das gemahnt mich schmerzlich an den süßlichen Pop, den Angelo Branduardi in den Achtzigern so darbot.

„and then the pain“

Glücklicherweise geht es mit drei weiteren Bonus-Songs zum Endspurt. „Mariba Waltz“ ist wieder alternativ und kauzig, hat Anklänge an die belgische Alternative Rock Szene Antwerpener Schule mit Zita Swoon, Deus und Konsorten. „Marc the Riffler“ hat einen „Farfisa-Groove“ Marke Tom Waits zu bieten und zum Abschluss geht’s mit dem „Title Track“ in Richtung Gestirne. Spaciger, tranceartiger Rock mit progressiven Elementen und vielleicht die Nummer, die „Motorpsycho“ am nächsten ist.

Håkon Gebhart lebt scheinbar schon länger in Florenz, zumindest sagt die Bandcamp-Seite das aus und die Aufnahmen sind naheliegender Weise ebenfalls in Florenz entstanden. Als Mitglied von Motorpsycho von 1991 bis 2005 hat Hakan Gebhardt die stilprägenden und experimentellen Phasen der Band mitgestaltet und vielleicht sind Motorpsycho nach seinem Weggang auch festgelegter und in ihrem Prog-Rock berechenbarer geworden. Auf jeden Fall ist auch „Geb Heart“ von musikalischer Neugier und Experimentierfreudigkeit geprägt, ohne dabei den eigenen Sound zu opfern. Das ist schon sehr gelungen.

Alles in allem macht „Geb Heart“ durchaus Laune und hat für offene Ohren, die nicht nur auf rockige Klänge stehen, abwechslungsreiche, stimmungsvoll produzierte alternative Pop-Musik zu bieten. Allerdings muss ich das noch einschränken: Weil meine Lieblingssongs eher gegen Anfang und Ende der Scheibe lokalisiert sind, und es im Mittelteil doch bisweilen arg seicht wird, könnte ich die Vinyl Version nicht uneingeschränkt empfehlen. Das Digital-Album oder die Compact Disc allerdings schon.

CD-Album-Wertung: 8 out of 10 stars (8 / 10)

Gebhardt – Geb Heart
Genre: Alternative, Folk, Rock
Länge CD : 14 Tracks, 51 Minuten, N, 2022
Interpret: Hakan Gebhardt
ISBN: 7090039725800
Label: Apollon (Norwegen)
Vertrieb: Mailoder via Plastichead.com oder Stickman Records
VÖ: 23.09.2022

Gebhardt bei Bandcamp

Gebhardt bei Apollon records