Lost in Work: Fortschritt und sinnstiftende Erzählung

Der Untertitel von Amelia Horgans Sachbuch über Arbeit weckt Hoffnung: „Dem Kapitalismus entkommen“ scheint erst einmal und grundsätzlich eine gute Richtung zu sein, wenn sich jemand mit Arbeit beschäftigt. Dabei lässt sich der englische Titel „Lost in Work“ auf zwei Arten lesen: Haben wir uns in der Arbeit verloren? Oder hat die Arbeit uns verloren? „Lost in Work“ erscheint in deutscher Übersetzung im März 2022 in der Edition Konturen. Eine Buchvorstellung.

Das Sachbuch „Lost in Work“ geht in neun Kapiteln, die sich auch als einzelne Essays lesen lassen, drei grundsätzlichen Fragen nach: 1: Was ist Arbeit überhaupt? 2. Warum fühlen sich so viele Menschen damit unglücklich? 3. Was können wir dagegen tun? Die englische Wissenschaftlerin, Journalistin und Autorin Amelia Horgan beschäftigt sich in ihrem gerade auf Deutsch erschienenen Buch mit diesen Fragen rund um das Thema Arbeit.

Interessant und lesenswert ist das Buch in vielerlei Hinsicht. Dabei bezieht sich Einiges, aber nicht alles, auf Situation der Arbeit in Großbritannien, der Heimat der Autorin. Vieles lässt sich übertragen oder auf kapitalistische Wirtschaftssysteme weltweit anwenden. Das Buch entstand mitten in der Covid19 Pandemie und ist somit auch hinsichtlich der Datenlage und der zitierten Studien ausgesprochen aktuell.

„Der Kampf um die Definition von Arbeit ist nicht nur Gegenstand einer trockenen akademischen Debatte. Er bestimmt die Rechte, die jemand hat, wenn er misshandelt wird.“ (S. 55)

Allerdings soll an dieser Stelle ebenfalls erwähnt werden, dass „Lost in Work“ schon auf eine wissenschaftlich interessierte Leserschaft abzielt. In dem Wiener Verlag Edition Konturen erscheinen auch immer wieder Bücher über Wissenschaftsthemen. Diese wenden sich gleichermaßen an interessierte „Laien“, sollen aber eben auch für andere Wissenschaftler:innen von Interesse sein. Das ist nicht immer leicht zu lesen.

Außerdem sei kurz darauf hingewiesen, dass bei Brutstatt.de in den kommenden Wochen und Monaten weitere Bücher zum Thema Arbeit vorgestellt werden. Nachdem die Pandemie hierzulande das Arbeitsleben ziemlich auf dem Kopf gestellt hat, scheint es einerseits schwer denkbar zurückzukehren zur „Arbeitsnormalität“, andererseits ist genau das massiv zu beobachten.

„Die Kontrolle bei der Arbeit war der erfolgreichste Einzelfaktor zur Erklärung der wesentlich höheren Sterberate von niedrigeren Beamten, die in denselben Regierungsstellen arbeiten.“ (S. 85)

Zeitweise bestand für bestimmte Berufe eine Home Office Pflicht, während andere Wirtschaftsbereiche wie etwa die Veranstaltungsbranche, quasi komplett zum Erliegen gekommen sind. dort würden massiv Arbeitskräfte freigesetzt. Aktuell ist durchaus zu beobachten, dass alte Rollen- und Arbeitsmuster wieder in Mode kommen. Mit all diesen Fragen beschäftigt sich auch „Lost in Work“.

Ausgangspunkt von Amelia Horgans Betrachtungen und Untersuchungen ist die Frage, warum sich so viele Menschen in ihrer Arbeitssituation unglücklich fühlen? Es scheint der gängigen von der Wirtschaft und Gesellschaft propagierten Sichtweise, dem Fortschrittsnarrativ, zu widersprechen, dass schlechte Arbeitsbedingungen und schlechte Jobs der Vergangenheit angehören. Ebenso raten Psychologen und Berufsberaten Arbeitssuchenden immer wieder, dass Arbeit Spaß machen soll. Das kann für die/ den Einzelne:n durchaus Druck aufbauen und die Unzufriedenheit noch verstärken.

„Der verspielte Co-Working Space-bewohnende Start-up-Beschäftigte, mag in gewisser Weise paradigmatisch für die heutige Wirtschaft sein, aber er repräsentiert auch die wenigen Auserwählten, für die ein „Spaßjob“ möglich ist.“ (S. 64)

Aber damit wären wir schon mittendrin in „Lost in Work“. Ohne überhaupt zu wissen, was Arbeit alles ist und was alles Arbeit ist. Das Problem in der aktuellen Phase des kapitalistischen Wirtschaftens ist auch immer eines der Abgrenzung. Grenzen von Arbeit und Freizeit verschwimmen. Erreichbarkeit außerhalb von Arbeitszeiten wird oft erwartet. Wer seine Hobbies nicht zu einem Nebenerwerb oder zu Geld macht, scheint Chancen und Potentiale ungenutzt zu lassen. Andererseits verschwindet das soziale Miteinander, die Nachbarschaftshilfe und die unentgeldliche Hilfe immer mehr aus unseren Gesellschaften.

All dies hängt zusammen und hat vielschichtige Ursachen, die zumeist in irgendeiner Weise im Kapitalistischen Wirtschaftssystem der unbeschränkten Profitmaximierung begründet liegen. Auswege für die/den Einzelne:n und für die Gesellschaft sind nicht einfach zu erkennen und dann auch noch umzusetzen. Der Ausblick in „Lost in Work“ fällt dann etwas weniger spektakulär aus als angesichts des Untertitels „Dem Kapitalismus entkommen“ zu hoffen war. Vielmehr gehen die diskutierte Selbstermächtigung, die stärkere oder wiedererstarkende Organisation der Arbeitenden und ein gesellschaftliches Umdenken und Umsteuern in eine kapitalismus-kritische Richtung, aber ein Entkommen ist weiter nicht in Sicht – oder ich habe etwas überlesen.


„Wir wissen jedoch, dass die Zahl der Beschäftigten im öffentlichen Unternehmen aufgrund von Outsourcing und Privatisierung zwischen 1979 und 1991 um mehr als 1,5 Millionen gesunken ist.“ (S. 71)

Auch scheint mir, dass nicht alle Kapitel gleichermaßen fundiert und gleichgewichtig behandelt werden. Die Analyse und Definition dessen, was Arbeit genannt werden kann, ist deutlich wissenschaftlicher und ausgefeilter als etwa das Kapitel über Widerstand bei der Arbeit, dass quasi zivilen Ungehorsam und Verweigerungshaltung als Mittel der Arbeitsverweigerung beleuchtet. Hier geht es eher philosophisch zu.

Dennoch weiß Amelia Horgan viele Aspekte des Themas „Arbeit“ zur Diskussion zu stellen und so ein Nachdenken über Arbeit als wesentlichen Teil des Lebens und existenzsichernde Maßnahme anzuführen. Daraus kann durchaus eine lebendige gesellschaftliche Debatte entstehen. Arbeit als Teil von Leben, Wirtschaft und Gesellschaft kann und sollte immer reflektiert werden und keinesfalls ein Selbstzweck sein.

Amelia Horgan: Lost in Work – Dem Kapitalismus entkommen
OT: Lost in Work. Escaping Capitalism., Pluto Press, London, 2021
Länge: 192 Seiten, Broschur mit Fadenheftung
Genre: Sachbuch, Arbeit, Gesellschaft
Autorin: Amelia Horgan
Übersetzer: Georg Hauptfeld
ISBN 978-3-902968-73-9
Verlag: Edition Konturen, Wien, Hamburg
VÖ: 08.03.2022
auch als E-Book erhältlich

Lost in Work auf der Verlagsseite
Amelia Horgan bei Pluto Press
Diskussion über „Lost in Work“ (englisch)