Ursprünglich war die Örtlichkeit, die als „Monte Verita“ im schweizerischen Ascona bekannt wurde, eine Naturheilanstalt. Bald wird daraus ein Treffpunkt für Freigeister aller Art. In dem historischen Drama von Stefan Jäger verschlägt es eine junge Mutter in diese bunte Kommune. „Monte Verità“ lebt vor allem von einer Besetzung mit starken Frauen und seiner unaufgeregten Schilderung.
Anno 1906 flieht die junge Mutter Hanna Leitner (Maresi riegner) aus ihrer Wiener Ehe. Zuvor war sie wegen ihrer Atemnot sogar beim Psychiater in Behandlung. Doch jener Otto Gross (Max Hubacher) bricht die Therapie ab, da er dringlichst nach Monte Verità am Lago Maggiore reisen muss. Nachdem der Gatte und Fotograf Leitner die ehelichen Pflichten seiner Gattin zu rabiat einfordert, flieht Hanna kurzentschlossen dem Doktor hinterher.
Doch in Ascona angekommen, stellt Hanna fest, das hier vieles anders ist als sie erwartet. Die junge Frau hadert nicht nur mit sich selbst, sondern auch mit den Sinnsuchern, die sich hier versammeln, der vermeintlichen Freiheit, der Abwesenheit von Regeln und Rollen. Doch ermutigt von der Gründerin Ida Hofmann (Julia Jentsch) und neugierig gemacht von der ehemaligen Lehrerin Lotte Hattemer (Hannah Herzsprung) beginnt die junge Mutter sich mit der Fotografie zu beschäftigen, während sie die Therapieansätze der Umgebung auf sich wirken lässt.
„Gib dem Berg ein bisschen Zeit. Lass ihn auf dich wirken.“ (Ida Hofman)
Es ist immer wieder schön, wenn die Gegenwart entdeckt, dass sie nicht alles gerade erfunden hat. Im Fall von Bäumeumarmen, Wassergymnastik, Ökolandbau und „Flower Power“ waren es ebenso wie beim Kräuterbonbon die Schweizer vom Monte Verità. Wobei das nur die halbe Wahrheit darstellt, denn hier befindet sich nur der Ort. Die Menschen kamen von überall, der Grundgedanke kam wohl von den Emanzipationsbemühungen der Gründerin Ida Hofman.
Und auch diese Idee der freigeistigen, reformatorischen Bewegung existiert nicht im luftleeren Raum. Es gab bereits Vegetarismus, die Wandervogelbewegung, im Bauhaus wird Kunst, Architektur und Leben anders gedacht. Die großen Revolutionsgedanken des Kommunismus und Anarchismus hingegen hatten Europa und die Welt ohnehin schon längst ins Wanken gebracht.
In dieses weite Feld entlässt das Drama „Monte Verità“ seine Heldin, die im Brief an die Töchter erzählt, was sie umtreibt. Immer wieder wird die Realität des Berghains mit der Erinnerung an das eheliche Wien kontrastiert. Immer wieder kommen Hanna Zweifel, und auch hier, im scheinbar geschützten Raum, ist sie nicht vor männlicher Übergriffigkeit gefeit.
„Ich habe nicht aufgehört zu arbeiten. Alles kann Therapie sein, auch die körperliche Liebe.“ (Otto Gross)
In dem Drama „Monte Verità“ geht es vor allem um die Selbstermächtigung der Frau aus einer gesellschaftlichen Rolle der Unterdrückung und Reduzierung heraus. Am Beispiel der Protagonistin wird dies ebenso deutlich wie nachvollziehbar. Leider ist der emotionale Kern des Dramas damit aber auch so vorhersehbar wie unausweichlich. Die familiäre Rollenverteilung ist übermäßig deutlich patriarchalisch und beinahe redundant dargestellt.
Ebenso ist es ein Trugschluss zu erwarten, dass die fiebrige Aufbruchsenergie der neuen und experimentellen Lebensweisen sich im Film auch gleichermaßen aufregend wiederfinden müsse. Oftmals sieht dann etwas piefig und harmlos aus, was die Welt in Aufruhr versetzen soll. Das ist auch in „Monte Verità“ der Fall, lässt sich aber schwerlich abstellen. Entweder ermöglicht ein Film dem Publikum eine emotionale Teilhabe in Form einer Identifikationsfigur, oder er verschreibt sich dem revolutionären Impuls. Beides hat Vor- und Nachteile und ist letztlich insofern akademisch, als dass die Herstellung ohnehin bereits gelaufen ist.
„Meinem eigenen Atem lauschend sehe ich meinen Weg vor mir, sehe ich euren Weg vor mir, meine Töchter. (Hanna Leitner)
Wie in dem Künstlerdorf Worpswede in „Paula“ ist in „Monte Verità“ die Welt eine von Männern dominierte. Wie in „Euphoria“ (2017) ist die Schwesternschaft nicht immer im Sanatorium zu heilen. Der Irrwitz eines Zauberbergs wie in Radu Judes „Scarred Hearts“ wirkt nicht gerade über Empathie. Oder Film als Medium verzichtet auf den historischen Kontext und begibt sich gleich an „Die Überglücklichen“, an aktuelle und akute Ränder der Gesellschaft, wo Frauen immer noch Männer als Probleme haben. Insofern schlägt sich „Monte Verità“ ganz gut. 2014 gab es bereits eine wenig beachtete Spiel-Doku über Monte Verità namens „Freak Out“.
Am Ende dann kommt, was bei historischen Filmen scheinbar unabdingbar: Die Verortung in der Geschichtsschreibung und der Hintergrund für die (fiktive) Nische, die das Drama füllt. Der Berg, der eigentlich ein Hügel ist, vereinsamt; Gipfelkreuze verwittern und die Karawane zieht weiter, in diesem Fall nach Südamerika.
Das Drama „Monte Verità“ begibt sich auf historische Spurensuche in eine Phase des gesellschaftlichen Aufbruchs. Am Beginn des 20. Jahrhunderts regt sich aller Orten Aufbegehren gegen das erstarrte Gesellschaftsmodell und die Aussteiger sammeln sich zum Experimentieren. Das Publikum sieht durch die Augen eines Neuankömmlings wie sich Möglichkeiten und Wege auftun. Regisseur Stefan Jäger inszeniert mit ruhiger Hand, mitunter etwas behäbig, aber das starke Frauenensemble ist den Gang ins Kino allemal wert.
Film-Wertung: (6 / 10)
Monte Verità – Der Rausch der Freiheit
OT: Monte Verità
Genre: Drama, Zeitgeschichte
Länge: 117 Minuten, CH/D/A, 2021
Regie: Stefan Jäger
Darsteller:innen: Maresi Riegner, Julia Jentsch, Hannah Herzsprung,
FSK: ab 12 Jahren
Vertrieb: CDM
Kinostart: 16.12.2021