Der Name der Hauptfigur in der hochgelobten und mehrfach ausgezeichneten, schwarzhumorigen, britischen Comedy-Serie ist Programm: Wie eine Sack voller Flöhe saust Phoebe Waller-Bridge in ihrer Paraderolle über den Bildschirm. Sprunghaft, rastlos, chaotisch, anarchisch und vor allem bissig. Justbridge Entertainment bringt die erste Staffel der höchst sehenswerten, aber sehr speziellen Serie nun für das klassische Home-Entertainment auf DVD und Blu-ray auf dem Markt.
Wie verschafft sich jemand am schnellsten Aufmerksamkeit? Frau Fleabag spricht die Zuschauer einfach unvermittelt an. Auf der heimischen Couch ist das erst einmal ungewöhnlich, wenn es dann noch mit dem ersten Gag zotig und im Selbstversuch um Analverkehr geht, sollte sich das Publikum sortiert habe: in jene, die darüber lachen können, und jene, denen diese Art von zynischem Humor zu anstößig ist.
Dabei lohnt es sich durchaus, am Bildschirm zu bleiben, denn die spontane Sex-Nummer mit einem Unbekannten ist nicht nur in der sprunghaften Persönlichkeit der Hauptfigur begründet, sondern ist zugleich Anzeichen einer Problembewältigungsstrategie und Symptom eines modernen, urbanen Lifestyles.
„Ich finde es ziemlich unangebracht auf dem Friedhof zu joggen. Du gibst mit deinem Leben an.“ (Claire)
Aber der Reihe nach. Fleabag (Phoebe Waller-Bridge) ist eine junge alleinstehende Frau um die Dreißig, die in London ein nicht gerade rentables Café betreibt. Das hat sie mit ihrer besten Freundin zusammen aufgebaut, aber die Freundin hatte einen tödlichen Verkehrsunfall. Nun sitzt Fleabag zusammen mit Meerschweinchendame Hillary in dem meistens leeren Café und ist traurig, wütend und verwirrt.
Da hilft es auch nicht, dass die ganze Familie etwas verschroben ist. Schwester Claire (Sian Clifford) ist eher unglücklich verheiratet und die beiden Schwestern treffen sich meisten nur bei Terminen, die ihr hilfloser Vater für die Töchter verabredet hat. Sei es die Routine-Untersuchung beim Frauenarzt oder das Seminar zur Emanzipation, anders kann der Vater seine Zuneigung und Verantwortung scheinbar nicht zeigen. Das mag vornehmlich an den schlechten Gewissen liegen, das Daddy hat, weil er mit Muttis bester Freundin zusammen ist, seit Mutti an Brustkrebs gestorben ist. Weder Claire noch Fleabag können ihre Stiefmutter (Olivia Coleman) ausstehen; was übrigens auf Gegenseitigkeit beruht.
„Du hast mich erwischt! Ich trage nicht dauernd eine Vagina durch die Gegend. Das wäre viel zu provokativ!…Er schnallt’s nicht!“ (Fleabag)
Bei Fleabags munter wechselnden Sexualpartnern ist bisweilen ein verzweifelter dabei, wie der mit den Hasenzähnen, den sie zu Clairs Geburtstagsparty mitschleppt oder jener Kneipenschönling, den Zuschauer:innen schon vom Anfang kennen. Der darf dann auch als Fleabags Begleitung zum Familienessen herhalten, auch und gerade weil da Potential drinsteckt, jemanden zu schockieren.
Außerdem gibt es in den kurzen und knackigen sechs Episoden der ersten Staffel „Fleabag“ noch eine Schweige-Meditations-Seminar für Frauen, das zeitgleich stattfindet mit dem lautstarken Seminar für Männer, die Probleme im angemessenen Umgang mit Frauen haben, und das Publikum wird mit moderner Kunst bekannt gemacht.
Es fällt fast schwer, die Schauspielerin und Autorin Phoebe Waller-Bridge nicht automatisch mit ihrer eigenwilligen Protagonistin gleichzusetzen, schließlich basiert die für die BBC produzierte Serie von 2016 auf dem gleichnamigen Ein-Personen-Theaterstück von 2013, mit dem Waller-Bridge beim Theater-Festival in Edinburgh brillierte. Vor allem weil die Hauptfigur, konstant die so genannte „Vierte Wand“ durchbricht, also konstant mit dem Publikum redet, während der Handlung weitergeht. Andere Serienformate wie „House of Cards“ haben dieses Stilmittel auch genutzt, aber bei weitem nicht so ausufernd und bizarr wie „Fleabag“.
Wer sich darauf einlassen kann, wird mit einer sehenswerten, zurecht hochgelobten, bissigen Comedy-Serie belohnt. Sicherlich muss man in Sachen Humor auch ein dickes Fell haben, dem Fleabag mags direkt konfrontativ und auch ein bisschen versaut und psychotisch. Das merkt auch Freund Harry bei der Ninja-Überraschung unter der Dusche.
Das unterscheidet „Fleabag“ auch von anderen sehenswerten weiblichen Comedy-Serien-Formaten wie etwa „Miranda“. Mal gucken, wann die Moralaposteln in den Zuschauer:innen zum Vorschein kommen, sich die Betroffenheit einstellt und die Schamgrenze erreicht ist – auch in Sachen Fremdschämen. Und weil Fleabag dauernd mit einem redet, meint das Publikum irgendwann auch beobachtet, abgecheckt zu werden.
Diese Meta-Betrachtungsebene trägt noch weiter zu der Vielschichtigkeit der scheinbar offensiven Comedy-Serie bei. Dabei wird hier nicht wie bei Woody Allen auf den Neurosen moderne Großstädter herumgeritten und endlos diskutiert, sondern hineingegriffen mitten ins moderne Leben. So bildet sich aus den vielen kleinen Szenen und Momenten und Erinnerungen schließlich das Bild einer im Grunde tragischen Geschichte und auch das Portrait einer ganzen Generation und keineswegs nur der Frauen.
„Fleabag“ ist ein knalliger, schräger Comedy-Paukenschlag direkt ins Gesicht des Publikums. Die Sprunghaftigkeit hat ebenso Methode wie die forsche, zynische Anmache. Schonungslose aber mitfühlende Einsichten in das Leben und Sterben im modernen und hippen London.
Serien-Wertung: (8 / 10)
Fleabag – Staffel 1
OT: Fleabag Season 1,
Genre: TV-Serie, Komödie, Drama,
Länge:ca. 180 Minuten (6 x 30Minuten), UK, 2016
Idee: Phoebe Waller Bridge
Regie: Harry Bradbeer et al.
Darsteller:innen: Phoebe Waller-Bridge, Sian Clifford, Olivia Coleman,
FSK: ab 16 Jahren
Vertrieb: Justbridge Entertainment
DVD- & BD-VÖ: 14.05.2021