Mitte der 1970er Jahre ging von London aus eine musikalische Revolte um die Welt, die mit Regeln und Erwartungen brach und die Musikindustrie für immer veränderte. Mitten drinnen in diesem Auge des Orkans, der innerhalb von Monaten ein selbstzerstörerisches Fieber entfachte, waren die Sex Pistols. Quasi die Poster Boys des Punk. Die Graphic Novel „Sex Pistols“ von Autor Jim McCarthy und Zeichner Steve Parkhouse bringt die Bandgeschichte und den Zeitgeist auf den Punkt. Im März 2021 ist die wilde Story in deutscher Fassung bei Panini Comics erschienen.
Während ihres kurzen und skandalträchtigen Bestehens veröffentlichten die Sex Pistols tatsächlich nur ein Album: „Never Mind the Bollocks – Here’s the Sex Pistols“. Doch die Band hatte bis dahin bereits einen so furiosen Ruf und die Scheibe wurde sozusagen auf der Stelle Kult. Bis heute sind die eingängigen, simplen Punk-Songs der Band Klassiker und Symbole jugendlichen Aufbegehrens. Etliche Musiker und Bands wurden von den Pistols beeinflusst.
Dabei verwirren sich bereits als die Band zwischen 1976 und 1978 besteht die Fakten mit dem Mythos, den Manager Malcolm McLaren ganz gezielt anheizt, um die verruchten Status der Band zu etablieren. Seine Methode die Band bekannt zu machen, besteht zu einem guten Teil in Antiwerbung für das eigene „Produkt“ und negativer Kampagnen um die Band selbst.
Doch die Sex Pistols waren auch eine Band, die ihre eigene Vorstellung davon hatte, wie die eingefahrenen und erstarrte Musikbranche zwischen Dinosaurier-Rock und nichtssagender Tanzmusik entkrustet werden sollte. Dabei entstand die Musik der Sex Pistols nicht aus dem luftleeren Raum, sondern hatte durchaus Vorbilder aus früheren Zeiten. Das was heute als Protopunk und Garagensound der 60er bekannt ist wie auch die Rückbesinnung auf die wilden Jahre des Rock’n’Roll sorgten schließlich für die befreiend schlichte und eingängige Musik der Sex Pistols.
Von all diesen Entwicklungen und den Szenebefindlichkeiten Mitte der 70er in London erzählt die Graphic Novel kenntnisreich und typisch britisch mit einer knackig punkigen Anti-Haltung. Dabei ist das weite Feld des Punk literarisch und populärkulturell und musikwissenschaftlich bereits so hell ausgeleuchtet, so dass für Musikinteressierte und ältere Punks hier kaum etwas Neues zu finden ist – außer dem Ansatz des Graphischen Erzählens. Bereits ins Ende der aktiven Zeit der Sex Pistols fiel der Film „The Great Rock’n’Roll Swindle“, in dem Malcolm McLaren collagenartig die Bandhistorie umreißt und als von ihm selbst groß angelegten Coup, um die Musikindustrie auszunehmen. Auch der sehenswert alberne dadaistische Film trüg zur Legendenbildung bei und mehr muss niemand über die Sex Pistols wissen.
Sicher, es gab über die Jahrzehnte immer wieder Reunions (logischerweise ohne den verstorbenen Sid Vicious), die im Nachhinein den Legendenstatus der Band eher beschädigten, was den Musikern, die Geld brauchten allerdings herzlich egal zu sein schien. Aber all das führt dann schon zu weit.
Die Kreativen, die sich an die „Sex Pistols“ Graphic Novel machen, sind selbst Veteranen der britischen Comic-Szene und insofern berufen, sich des Sujets anzunehmen. Autor Jim McCarthy ist auch Comic-Zeichner und Musikjournalist, war bei „2000 a.D.“ beteiligt, arbeitete am „Judge Dredd“-Magazin und als Autor an „Hellblazer“ mit, bevor er sich nach der Jahrtausendwende auf biographische Graphic Novels bekannter Musiker und Bands spezialisierte. Für den Verlag Omnibus press entstanden unter anderem Graphic Novels über Kurt Cobain, Michael Jackson, Eminem und Metallica und eben 2008 auch über die „Sex Pistols“.
Zeichner und Illustrator Steve Parkhouse, dessen kommentiertes Skizzenbuch die Graphic Novel vervollständigt und ein bisschen Hintergrundeinblicke gibt, ist ebenfalls ein alter Hase in der britischen Comic-Szene. Seit 1967 zeichnet er dort Comics. Nach Stories für Marvel Comics und für das „2000 a.D.'“-Magazin sind vor allem seine Arbeiten für die „Doctor Who“-Comics bekannt und auch ein Beitrag zu dem „Sandman“-Universum von Neil Gaiman. Die Sex Pistols Graphic Novel ist eine der jüngeren Arbeiten von Parkhouse.
Womit wir bei der Stilistk der Graphic Novel sind. McCarthys Erzählen ist eine Mischung aus Bewusstseinsstrom, Stichwort-Kladde und musikalischen Verweisen, die sich schwer in die deutsche Sprache integrieren lassen, da sich immer die Frage stellt, ob Songtexte besser übersetzt werden und mit Fußnoten ausgestattet, oder ob man die oftmals ikonischen Zeilen nicht einfach im Original wirken lässt. Übersetzer Stefan Dinter findet dabei eine gute funktionierende Mischung. Wobei einige der unzähligen musikszenigen Nerdverweise von McCarthy sich in der Übersetzung ziemlich verstecken. Aber das liegt in der Natur der Sache. Wer beispielsweise die frühen und mittleren „Hellblazer“-Comics kennt, wird mit dem Erzählstil weniger Probleme haben als solche Leser, die vor allem amerikanische Superhelden-Comics gewohnt sind.
Überhaupt Hellbzazer: auch das Artwork erinnert im Seitenaufbau, in der Panelabfolge immer wieder an die typisch britische Schnodderigkeit von Steve Dillon. Bisweilen lugt auch ein bisschen Glen Fabry durch, der für etliche Hellblazer Cover verantwortlich zeichnete. Sicher, Steve Parkhouse hat einen eigenen Stil, aber in „Sex Pistols – die Graphic Novel“ orientiert er sich glücklicherweise an dem, was britische Comics für Erwachsene ausmachten.
Die Graphic Novel „Sex Pistols“ ist keine brave Musikerbiographie, sondern zollt dem zwielichtigen rabaukenhaften Ruf des legendären Punk-Outfits stilistisch Tribut und bringt so das Chaos, den Dreck und die Wut auf die rund 100 Seiten dieses lesenswerten und empfehlenswerten Trips in die Anfangstrage des Punk. „Sex Pistols – Die Graphic Novel“ bietet Punkfans, Musikliebhabern und Comic-Fans gleichermaßen feinen Lesestoff.
Comic-Wertung: (7,5 / 10)
Sex Pistols – Die Graphic Novel
OT: Sex Pistols – The Graphic Novel
Genre: Graphic Novel, Musik, Biographie
Autor: Jim McCarthy
Zeichner: Steve Parkhouse
Übersetzung: Stefan Dinter
ISBN: 9783741621727
Verlag: Panini, Hardcover, 100 Seiten
VÖ: 23.03.2021