Wer erinnert sich nicht an die Bowling-Nemesis des „Dude“ im Kult Klassiker der Coen-Bruder „The Big Lebowski“? Jesus Quintana ist zurück! …und hat Besseres zu tun, als zu kegeln. Um das an dieser Stelle eindeutig und unmissverständlich klarzustellen: „Jesus Rolls“ ist kein Film der Coen-Brüder und keine Fortsetzung von „The Big Lebowski“! Allenfalls ein loses Spin off, aber ein ausgebufftes. John Turturro hat sich in „Jesus Rolls“ erneut das Haarnetz über die geflochtenen Zöpfchen gestülpt und nimmt das Publikum mit auf einen sehr unterhaltsamen halbseidenen Roadtrip.
Gerade aus dem Knast entlassen, wird Jesus Quintana (John Turturro) von seinem Kumpel Petey (Bobby Canavale, „Blue Jasmine“) abgeholt und hat nichts Besseres vor als erste einmal eine Spritztour in einem Oldtimer zu machen. Der Wagen ist „geliehen“, schließlich muss Jesus die Gelegenheit ergreifen, wenn sie sich bietet, und es ist eben sein Stil, Mann.
Immerhin gehört der Wagen Friseurmeister Paul Dominique (Jon Hamm), dem Boss von Marie (Audrey Tatou), die die beiden Kumpel lange nicht gesehen haben. Dass Der Hairstylist Petey noch in den hintern schießt wäre nicht nötig gewesen, aber was soll‘s. Erstmal kommen der frisch entlassene Jesus und Kumpel Petey bei Marie unter. Anschließend unternehmen die drei zusammen muntere Ausfahrten in geliehenen Fahrzeugen.
Die Rolle des „Jesus Quintana“ gehört sicher zu den ikonenhaftesten, die Schauspieler John Turturro in seiner Karriere hingelegt hat. Es wird auch kolportiert, dass alle anderen Charaktere in „The Big Lebowski“ aus dem Bekanntenkreis von Joel und Ethan Coen („Hail, Cesar“) entlehnt sind, Turturro aber quasi mit der fertigen Jesus-Figur auftauchte, die dann so ins Drehbuch übernommen wurde.
Als Darsteller gehört John Turturro („Barton Fink“) von Beginn an zu der Coen-Brüder–Posse. Darüber hinaus ist der gefragte Schauspieler auch als Filmmacher und Autor. Zuletzt konnte er mit seiner Serienadaption von Umberto Ecos „Der Name der Rose“ Erfolge feiern. Kritiker haben bereits seine ambitionierten frühen Filme („Illuminata“) begeistert. Als Filmmacher wirkt Turturro ziemlich europäisch inspiriert, sein lange gehegter Wunsch ein Remake von Bertrand Bliers „Les Valseuses“ (deutsch: „Die Ausgebufften“, 1974) zu drehen, wirkt authentisch.
Aber an so einen „Skandalfilm“ der quasi ohne Handlung die erotischen Abenteuer zweier anarchischer Jungspunde zeigt, muss man sich erst einmal heranwagen. Sicher, der US-Filmmarkt hat eine Abneigung gegen Untertitel und produziert immer wieder (auch zeitnahe) Kopien ausländischer Filme, aber eine anarchische Erotikkomödie aus den 1970ern ist nicht gerade die erste Wahl, wenn es um potentielle Blockbuster geht. John Turturro muss also etwas anderes im Sinn gehabt haben.
Und mit den überkandidelten Bowling-Star Jesus Quintana, der auch aufgrund eines Missverständnisses als Päderast im Knast saß, hat John Turturro („Transformers“) ein perfektes Vehikel um das „Savoir-vivre“, das wissen, wie es sich gut leben lässt, der Filmvorlage aus Zeit und Raum zu transportieren – mitten hinein in eine puritanische USA unter einem populistischen Präsidenten. So wird aus dem jugendlichen Erotikcharme eine Lebensphilosophie, die um ihr Außenseiter-Dasein weiß und sich auch nicht darum schert, was andere Leute denken.
Es wird auch gebowlt, und das mit Lust, Humor und Tango. Es gibt auch Slapstick und subtile albernen Witze wie den egomanen Schriftzug des Friseurmeisters, der nicht in eine Fensterzeile passt. Und es gibt großartige Frauenrollen, aber das war bereits im Original mit Miou-Miou, Jeanne Mareau und Isabelle Huppert der Fall. In „Jesus Rolls“ hat Susan Sarandon eine großartige Restaurant-Szene und Audrey Tatou hat sichtlich Spaß dabei, gegen „Amelie“ anzuspielen. Die deutsche Synchronfassung gibt sich alle Mühe, den Slang des Originals zu übertragen, was über weite Strecken gut gelingt, aber gerade Tatous Marie kommt im Original viel charmanter rüber.
Zuschauer:innen müssen sich erst an den wieder freigesetzten Jesus gewöhnen, der muss seien zweifelhaften Ruf erst einmal abstreifen um dann lustvoll sympathisch den Tag zu pflücken. Dermaßen entwaffnend freizügig und tiefenentspannt anders haben lange keine Filmfiguren mehr agiert. Dabei ist diese gereifte Version der „Asugebufften“ sowohl Remake als auch Fortschreibung und ein Gedankenexperiment, wie Menschen sich ihre Freiheit über Jahre und Jahrzehnte erhalten können. Oder einfach ein sympathisches Road Movie mit coolen Karren, starken Frauen und zwei selbstbewussten Außenseitern.
Haben sich die Zuschauer erst einmal von den Erwartungen gelöst, die John Turturro mit der Wiederbelebung des Jesus Quintana geschürt hat, entspinnt sich eine moderne, absurde humorvolle Abenteuerreise die Zuschauer:innen einfach genießen können. „Jesus Rolls“ lässt sich aber auch als Kommentar zum Trump-Amerika deuten und ist in aller Bescheidenheit eine flockige und eigenwillige Version eines Klassikers des französischen Autorenfilms. Mit offenen Augen zu genießen.
Film-Wertung: (7 / 10)
Jesus Rolls – Niemand verarscht Jesus
OT: The Jesus Rolls
Genre: Komödie, Drama
Länge: 85 Minuten, USA, 2019
Regie: John Turturro
Darsteller:innen: John Turturro, Bobby Canavale, Susan Sarandon, Audrey Tatou
FSK: ab 16 Jahren
Vertrieb: Eurovideo
VoD: 25.03.2021
DVD-& BD-VÖ: 09.04.2021