Lore: Flucht durch ein besiegtes Land

Weil ich gerade dabei war, „mein ende. Dein Anfang“ zu besprechen, krame ich auch noch einmal die Film-Besprechung zu „Lore“, heraus, in dem die junge Schauspilerin Saskia Rosendahl 2012 ihr eindrucksvolles Debut feierte. Dass eine australische Regisseurin eine Nazi-Geschichte nach einem britischen Roman mit deutschen Schauspielern verfilmt, ist schon eine seltsame Mischung. Doch „Lore“ ist auch die Geschichte eines brutalen Erwachsenwerdens und die ist sehr trefflich umgesetzt.

Als der zweite Weltkrieg noch in Gang, aber für die Deutschen bereits verloren ist, machen sich die Nazi-Größen daran, ihr Hab und Gut, ihre Familien und ihr Leben zu retten. So auch Lores Vater. Er räumt die Villa und lässt alles abtransportieren. Seine Frau und die vier Kinder werden aufs Land geschickt, um sich dort zu verstecken.

Die fünfzehnjährige Lore (Saskia Rosendahl), aufgewachsen im Glauben an die gute Sache der Nationalsozialisten und deutsche Tugenden bekommt mit, wie der Vater den Schäferhund der Familie exekutiert, weil das Tier nicht mit auf die Flucht kann. Doch auch auf in den süddeutschen Bergen gibt es keine Sicherheit mehr. Der Familie schlägt Ablehnung entgegen und Lores Mutter wird verhaftet.

Alleingelassen macht sich Lore mit den beiden jüngeren Zwillingen und einem Säugling auf den Weg zu der Großmutter, die an der Nordseeküste lebt. Die Kinder haben nichts und eine entbehrungsreiche Reise beginnt. Kurz darauf stößt der undurchsichtige Thomas zu Lore und ihren Geschwistern. Er hat jüdische Papiere und kann den Geschwistern so ermöglichen aus dem amerikanischen in den britischen Sektor zu gelangen. Doch Lore will den „Untermenschen“ nicht um sich haben.

„Lore“ ist ein Teil des Romans „The Dark Room“ (Deutsch: Die dunkel Kammer) der Autorin Rachel Seiffert, die sich in unterschiedlichen Perspektivem mit dem Erbe des Nationalsozialismus beschäftigt. Regisseurin Cate Shortland („Somersault“) hat die Geschichte für die Leinwand adaptiert.

Der Untergang der heilen Welt ereilt die vier Kinder unmittelbar und schlagartig und es fällt vor allem Lore, der ältesten, die nun die komplette Verantwortung trägt, nicht leicht von den erlernten ideologischen Doktrinen zu lassen. Das nationalsozialistische Weltbild hat sich dermaßen in ihr festgesetzt, dass erst die existentielle Not des Überlebens dazu führt, dass Lore ihr Weltsicht ändert, allerdings sehr widerwillig und pragmatisch egoistisch.

Ausgerechnet ein Jude soll für sie und ihre Geschwister die Rettung sein, den weiten Weg zur Sicherheit der Großmutter ermöglichen. Mit sichtbarer Verstörung verkörpert Saskia Rosendahl ( „Mein Ende. Dein Anfang“, „Wir sind jung. wir sind Stark.“)in ihrer ersten Rolle diese undenkbare Notwendigkeit. Und während sich die Kinder fortbewegen, bleibt die Verachtung gegenüber dem vermeintlich weniger wertvollen Menschen stets unterschwellig merkbar.

„Lore“ verzichtet häufig darauf, den Standort der kleinen Schicksalsgemeinschaft zu bestimmen, und beinahe orientierungslos torkeln die Geschwister durch ein geschundenes, besiegtes Land. Doch dem Film geht es nicht um die äußere Realität, sondern er versucht die hilflose Geworfenheit, das Leiden, den Hunger, die Angst in Bilder zu fangen. Dazu bemüht Cate Shortland häufig Großaufnahmen und körperliche Details. Doch das Konzept geht nicht immer auf.

Was hingegen funktioniert auf dieser Reise ist die Entwicklungsgeschichte, das erzwungene Erwachsenwerden, der Hauptfigur. Lore entwickelt sich vom braven deutschen Mädchen zu einer mutterartigen Beschützerin ihrer jüngeren Geschwister und es gelingt ihr, die Geschehnisse auch in ihr Inneres vorzulassen, sodass ihr selbst im Lauf der Reise die Lebenslüge der Eltern, ja die deutsche Verblendung immer klarer wird. Dieser Prozess ist im Film unumkehrbar und großartig auf die Leinwand gebracht.

Wenn man das Drama in „Lore“ als ein Inneres begreift, entwickelt sich die Reise der fünfzehnjährigen Lore durch ein Deutschland am Ende des zweiten Weltkriegs zu einem überzeugenden Psychogramm eines jungen Mädchens, das durch eine Katastrophe gezwungen wird, zu früh erwachsen zu werden. Versteht man „Lore“ allerdings in der Hauptsache als Studie über die deutsche Befindlichkeit am Kriegsende, so lässt sich darüber trefflich diskutieren. Dennoch bleibt „Lore“ ein starkes Drama.

Film-Wertung: 7 out of 10 stars (7 / 10)

Lore
OT: Lore
Genre: Drama,
Länge: 116 Minuten, D, AUS2012
Regie: Cate Shortland
Darsteller: Saskia Rosendahl, Nele Trebs, Kai-Peter Molina
FSK: ab 16 Jahren
Vertrieb: Indigo
Kinostart: 01.11.2012
DVD-VÖ: 31.05.2013