Ein „Blade Runner“-Comic scheint eigentlich keine sonderlich gute Idee zu sein. Der Roman wie auch die Verfilmung besitzen seit langem Kult-Status. Auch die filmische Fortsetzung „Blade Runner 2049“ sorgte für Furore. Und dennoch ist dieser Tage bei Panini Comics die erste in sich abgeschlossene Story einer neuen Comic-Serie erschienen. Was also kann ein Comic zum Thema noch bringen? Eine ganze Menge. Mit gebotener Skepsis und notwendiger Offenheit gelesen mutiert „Blade Runner 2019 – Los Angeles“ zu einer echten Überraschung
Es gibt so Rezensionen, die sind insofern undankbar, weil man als Schreiberling wieder die ganze Welt erklären muss, um einen Zusammenhang zu schaffen, bevor man sich überhaupt auf das eigentliche Produkt stürzen kann. Der Comic „Blade Runner 2019“ ist so eine Sysyphosaufgabe. Bevor ich nun aber lauter frustrierte Leser habe, schlage ich folgende Vorgehensweise vor: In den folgenden drei Absätzen geht‘s um die Eckdaten zu „Blade Runner“, anschließend geht es um den vorliegenden Comic-Sammelband von Panini Comics. Also, mitzählen nicht vergessen und auf geht’s.
Im Jahr 1968 veröffentlichte der amerikanische Science-Fiction-Schriftsteller Philip K. Dick den Roman „Do Androids dream of electric Sheep?“ (Träumen Androiden von elektrischen Schafen). Darin wird eine Dystopie erzählt, in der humanoide Roboter ein Bewusstsein erlangen und die Menschheit so vor ethische Probleme stellen, da Androiden nicht länger nur Maschinen sind. Heute gilt Dick als einer der großen amerikanischen Schriftsteller, lange Zeit aber hielt sich der Vielschreiber mit Veröffentlichungen in Pulp Magazinen über Wasser.
Im Jahr 1982 erschuf Regisseur Ridley Scott eine Verfilmung dieses Romans, der unter den Titel „Blade Runner“ in die Kinos kam. Aus der Vorlage wurde ein solider Film Noir in einem futuristischen Setting das im Jahr 2019 spielt. Aus den Androiden wurden von Menschen kaum unterscheidbare Replikanten, ursprünglich von der Tyrell Corporation für extraterrestrische Einsätze produziert. Der abgehalfterte aber erfolgreiche Replikanten-Jäger aka Blade Runner Deckert (Harrison Ford) verliebt sich während der Suche nach einer Gruppe rebellierender Replikanten unter der Führung von Roy Batty (Rudger Hauer) ausgerechnet in ein künstliches Wesen. „Blade Runner“ fiel zwar anfangs bei Publikum und Kritik durch, wurde aber aufgrund seines großartigen und düsteren Settings, seiner Kulissen, seiner philosophischen Implikationen und seiner Film-Musik schnell zum Kult. Der Film kursierte auch relativ fix in unterschiedlichen Schnittversionen.
Im Jahr 2018 legt Regisseur Denis Villeneuve („Prisoners“, Arrival“) mit „Blade Runner 2049“ eine langerwartete Fortsetzung von „Blade Runner“ vor. Die Geschichte handelt von Blade Runner ‚K‘ (Ryan Gosling), der angesetzt wird um einen bestimmten Replikanten zu finden, dabei aber auf einen Mythos stößt, nämlich, dass sich Replikanten fortpflanzen können. Die hochgelobte Fortsetzung punktet mit stimmiger Weiterentwicklung der futuristischen Welt und der Optik ebenso wie mit einer klugen Geschichte, die auf dem Vorgänger basiert. Für die Story zeichnen Hampton Fencher undMichael Green verantwortlich.
Jener Michael Green hat auch die Geschichte im Comic „Blade Runner 2019“ verfasst. Dabei orientiert man sich vor allem an dem ersten „Blade Runner“ Film, der ja 2019 spielte. Die Tyrell Corporation hat gerade erst zu Beginn des 21. Jahrhunderts Roboter der Nexus-Generation erschaffen. Diese Replikanten wurden jedoch auf der Erde für illegal erklärt, weil die Menschheit sich vor den überlegenen Maschinen fürchtete. Dennoch gibt es auf der Erde noch Replikanten, die von den speziellen Blade Runner Einheiten gejagt werden.
Detective Aahna Ashina, genannt Ash, tut ihren Dienst in Los Angeles und wird eines Tages damit beauftragt, die Tochter des Wissenschaftlers Alexander Selwyn, dem Chef der Caanan Corporation, wurde entführt. Was die ganze Sache etwas delikat macht, ist die Tatsache, dass ein Replikant die Tochter entführt hat, und zwar jenes weibliche Modell, das der Gründer der Tyrell Corporation Selwyn schenkte, nachdem dessen Frau gestorben war. Für Ash ein vertrackter Job. Vor allem, weil die Polizistin so ihre eigenen Wehwehchen hat und von kostspieligen Maschinen und Behandlungen abhängig ist.
„Blade Runner 2019“ gibt sich gar nicht erst die Mühe, seine Vorbilder zu verleugnen oder zu versuchen krampfhaft originell zu sein. Und das ist genau die richtige Herangehensweise für eine Story, die in so ikonischer Umgebung spielt. Michael Green, der für sein Drehbuch zu „Logan: the Wolverine“ immerhin Oscar-nominiert war, ist als Drehbuchautor ein Meister seines Faches, hat allerdings auch „The Green Lantern“ verbrochen.
In „Blade Runner 2019“ hält Green die Geschichte schlicht und actionreich. Es geht um einen klaren Polizeijob, aber die Situation ist keineswegs so klar, wie man es Ash erzählt hat. Die abgefuckte Blade Runnerin ist tough und steht ihren beiden Vorgängern im Film in nichts nach. Die Suche gestaltet sich abwechslungsreich, vertrackt und ist clever in Szene gesetzt. Man möchte sagen, die Story weiß mit dem Szenario zu tanzen.
Das Szenario wiederum ist angemessen dystopisch und Fans werden sich gleich wohlfühlen. Nerds wird auch auffallen, dass beim Artwork ein paar Sequenzen an den französischen Comic-Künstler Jean Giraud erinnern, dessen Comic „The Long Tomorrow“ als maßgebliche Inspiration für Ridley Scotts Verfilmung gilt. Ansonsten machen Zeichner Andrés Guinaldo und Kolorist Marco Lesko einen starken Job, der die Geschichte unaufdringlich zur Geltung bringt. Gelegentlich streunen die beiden ein paar coole Details ein, die in „Ghost in a Shell“-Manier von Cyborg-Optimierung erzählen, oder nächtliche Straßenschluchten zeigen.
Mit dem Sammelband „Blade Runner 2019: Los Angeles“ liegt Panini die ersten vier US-Hefte der Serie vor, die eine abgeschlossene Story präsentieren. In den USA erscheint „Blade Runner 2019“ bei Titan Comics, einem Verlag, der darauf spezialisiert ist, Film-Franchise auch Comicseiten zu bringen, unter anderem auch „Doctor Who“, „Minions“ und „Life is Strange“. Wie auch bei „Dirk Gentlys Holistischer Detektei“, „Sons Of Anarchy“ oder „Die Flüsse von London“ fährt die Comic-Serie gut damit eine eigenständige Geschichte zu erzählen. Und das Abenteuer geht weiter.
Wer hätte das gedacht“? „Blade Runner 2019“ ist eine wirklich starke Comic-Serie, die nicht nur ein müder Aufguss eines erfolgreichen Filmformates ist, sondern innerhalb einer etablierten futuristischen Welt eine starke und präsente Eigenständigkeit hat. Das dystopische Auftaktabenteuer in Los Angeles überzeigt auf ganzer Linie. Fans dürfen sich freuen, da kommt noch was.
Comic-Wertung (8,5 / 10)
Blade Runner 2019: Los Angeles
OT: Blade Runner 2019 1-4, Titan Comics, 2019
Genre: Comic, Science-Fiction
Autoren: Michael Green, Mike Johnson
Zeichner: Andrés Guinaldo
Farben: Marco Lesko
Übersetzung: Bernd Kronsbein
Verlag: Panini Comics, Softcover, 116 Seiten
VÖ: 24.03.2020